Nicht geringe Menge des Cathinon-Derivats Methylon

von Dr. Jörn Patzak, veröffentlicht am 06.10.2019
Rechtsgebiete: StrafrechtBetäubungsmittelrecht|3099 Aufrufe

Detlev Schmidt hat in seinem aktuellen Beitrag in seiner wie immer sehr lesenswerten Reihe „Die Entwicklung des Betäubungsmittelstrafrechts“ in der NJW auf eine Entscheidung des LG Hechingen hingewiesen, das die nicht geringe Menge von Methylon sachverständig beraten auf 30 g Methylonbase festgesetzt hat (NJW 2019, 2980, 2983). Methylon ist ein Cathinon-Derivat, das mit der 26. BtMÄndVO v. 20.7.2012 in das BtMG aufgenommen wurde. Es ist chemisch mit den Amphetaminen verwandt und ähneln ihnen auch in ihrer Wirkung mit (leichter) Euphorie, die durch Rededrang und gelegentlich Hyperaktivität gekennzeichnet ist. Bekannte Nebenwirkungen sind: Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel, Zittern, Schweißausbrüche, Fieber, Herzrasen, Bluthochdruck, Lethargie, Angst- und Unruhezustände, Verwirrtheit, Halluzinationen und Psychosen (BR-Drs. 317/12, S. 9). Die Vorinstanz war noch – sich an einer Entscheidung des BGH zur nicht geringen Menge von Pentedron orientierend (BGH NStZ-RR 2017, 47) - von einer nicht geringen Menge von 15 g Methylonbase ausgegangen.

Die Entscheidungsgründe des LG Hechingen lauten u.a. wie folgt (Urt. v. 9.11.2018, 11 Ns 13 Js 311/15 = BeckRS 2018, 42739):

„Für Amphetamin hat der Bundesgerichtshof in Strafsachen die Grenze zur nicht geringen Menge bei 200 Konsumeinheiten zu je 50 mg Amphetaminbase und damit bei 10 g Amphetaminbase gezogen (BGHSt 33, 169; 35, 43). Die bei dem Angeklagten aufgefundene Wirkstoffmenge von 6,2 g Amphetaminbase erreicht hiervon 62%.

Dass unter Berücksichtigung des aufgefundenen Methylonhydrochlorids der Grenzwert zur nicht geringen Menge im Sinne des § 29a BtMG überschritten wurde, ergibt sich aus den Ausführungen des in der Hauptverhandlung vernommenen Sachverständigen Dr. Lassahn vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg.

Ausgehend von der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. etwa BGHSt 57, 60) ist der Grenzwert zur nicht geringen Menge eines Betäubungsmittels in Abhängigkeit von dessen konkreter Wirkungsweise und Wirkungsintensität festzulegen. Maßgeblich ist zunächst die äußerst gefährliche, gar tödliche Dosis des Wirkstoffs. Fehlen hierzu gesicherte Erkenntnisse, was nach den Ausführungen des Sachverständigen bei Methylon der Fall ist, so errechnet sich der Grenzwert als ein Vielfaches der durchschnittlichen Konsumeinheit eines nicht an den Genuss dieser Droge gewöhnten Konsumenten, welche zu bemessen ist nach Maßgabe der Gefährlichkeit des Stoffes, insbesonders seines Abhängigkeiten auslösenden oder sonst die Gesundheit schädigenden Potenzials. Nach den Ausführungen des Sachverständigen liegen zum Konsumverhalten bei Methylon bislang keine fundierten und wissenschaftlich belastbaren Daten vor. In Konsumentenberichten, die über das Internet zugänglich seien, würden ecstasyähnliche Wirkungsweisen wie euphorische und antidepressive Wirkungen beschrieben und Dosierungen bei oraler Anwendung im Bereich von 100 bis 150 mg für einen leichten und 150 bis 250 mg für einen schweren Rauschzustand angegeben, bei nasaler Anwendung 35 bis 80 mg für einen leichten und 80 bis 150 mg für einen schweren Rauschzustand. Solches sei plausibel, da es sich bei Methylon um ein Amphetaminderivat aus der Familie der Cathinone handle, so dass auch ähnliche Wirkungen zu erwarten seien. Die Erlebnisberichte seien durchaus als glaubwürdig einzustufen, da es für deren Urheber keine Veranlassung gebe, die Rauschwirkung unzutreffend darzustellen. Die Angaben seien aber wissenschaftlich nicht abgesichert und zudem zumeist von Konsumenten abgegeben worden, bei denen von einer erheblichen Drogenerfahrung und entsprechender Gewöhnung auszugehen sei, weshalb die durchschnittliche Dosis für eine nicht konsumgewöhnte Person deutlich niedriger anzusetzen sein dürfte. Da sich somit auch zum Konsumverhalten keine ausreichend fundierten Erkenntnisse gewinnen lassen, komme es entscheidend darauf an, ob es nach Struktur, Wirkungsweise und Gefährlichkeit vergleichbare Wirkstoffe gibt, zu denen bereits ausreichend gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, so dass hieraus Analogieschlüsse auf die Wirkung gezogen werden könnten. Dies ist nach den Ausführungen des Sachverständigen bei dem einzigen, als Appetitzügler zugelassenen Arzneimittel Amfepramon der Fall, weil dieses Medikament als Cathinon-Derivat sowohl einen ähnlichen chemischen Aufbau, als auch eine ähnliche Wirkungsweise zeigt wie Methylon. Aufgrund des Durchlaufens des Medikamentenzulassungsverfahrens liegen zu Amfepramon auch ausreichend fundierte und wissenschaftlich abgesicherte Studien insbesondere auch zur Wirkungsweise und Dosierung vor. Dementsprechend könne zur Ermittlung des Schwellenwertes die Dosierungsempfehlung für das Arzneimittel Amfepramon auch für Methylon herangezogen werden. Davon ausgehend könne eine Konsumeinheit von 50 mg bis 75 mg, bezogen auf nasale oder auch orale Applikation, für einen Drogenunerfahrenen als wirksame Dosis für Methylon zugrundegelegt werden. Die zugrundegelegte Einzeldosis bezogen auf einen Drogenunerfahrenen von 75 mg lässt sich nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. L. zudem zwanglos mit den Konsumentenberichten drogengewöhnter Personen zur Dosierung von Methylon aus dem Internet in Einklang bringen. Dies entspricht nach den Ausführungen des Sachverständigen dem Ergebnis einer zu Methylon für das Bundeskriminalamt gefertigten gutachterlichen Stellungnahme des dort eingesetzten Sachverständigen Dr. R. D. vom Bundeskriminalamt Wiesbaden, der zudem einen Richtwert von 200 Konsumeinheiten zur Ermittlung der nicht geringen Menge vorgeschlagen habe. Dieser wäre dementsprechend bei 15 Gramm Methylonbase, entsprechend 17,64 Gramm Methylonhydrochlorid, erreicht.

Hat dieser Grenzwert zunächst noch das Amtsgericht auch deshalb überzeugt, weil der Bundesgerichtshof (NStZ-RR 2017, 47) bereits beim Betäubungsmittel Pentedron - ebenfalls ein Cathinonderivat (CA-001) - mit nach dem Sachverständigen ähnlicher chemischer Struktur und Wirkung einen entsprechenden Grenzwert (15 Gramm Base und 18 Gramm Hydrochlorid ausgehend von 200 Konsumeinheiten zu je 90 mg Pentedronhydrochlorid) ebenso festgelegt hat wie das Oberlandesgericht Nürnberg (Beschluss vom 04.04.2016 - 2 OLG 8 Ss 173/15 -, zit. nach Juris) für das nach den Ausführungen des Sachverständigen ebenfalls nach Struktur und Wirkung ähnliche Betäubungsmittel Methylendioxypyrovaleron (10 Gramm MDPV-Base), so ist der Sachverständige in der Berufungshauptverhandlung hiervon ein Stück weit abgerückt.

Im Zuge der Bestimmung der jeweiligen nicht geringen Menge, die als Ausgangspunkt äußerst gefährliche, gar tödliche Dosierungen zugrunde legen, dürfe das Gefährdungspotenzial der verschiedenen Stoffe im Verhältnis zueinander nicht aus dem Auge verloren werden. Im Laufe des Jahres 2018 sei deshalb eine Arbeitsgruppe von Sachverständigen des Bundeskriminalamts und verschiedener Landeskriminalämter zusammengetreten, die eine Abstimmung der nicht geringen Mengen amphetaminartiger Stoffe erarbeiten sollten. Das Ergebnis, bislang online nur veröffentlicht auf der Homepage der Gesellschaft für Toxikologische und Forensische Chemie (https://www.gtfch.org/cms/: „Herleitung von Grenzwerten der ,nicht geringen Menge' im Sinne des BtMG“; zur weiteren Veröffentlichung bestimmt), berücksichtige, dass hinsichtlich Methylon weniger Intoxikationen bzw. Todesfälle dokumentiert seien als bei Pentedron. Zudem seien die Dosierungsangaben der Konsumentenberichte ebenfalls deutlich höher als bei Pentedron, auch belegten Zellkulturstudien eine geringere Schädlichkeit von Methylon. Es könne vergleichend daher nicht für schädlicher gehalten werden als MDMA, für welches der Grenzwert zur nicht geringen Menge bei 30 Gramm MDMA-Base anzunehmen ist (BGHSt 42, 255; NStZ 01, 381).

Dies überzeugt die Kammer deshalb, weil damit das Cathinonderivat Methylon dem Cathinon gleichgestellt wird, für welches der Bundesgerichtshof ebenfalls 30 Gramm Cathinonbase als Grenzwert ansetzt (NJW 2005, 163). 30 Gramm Methylonbase entsprechen dabei mit dem Faktor 1,176 multipliziert 53,3 Gramm Methylonhydrochlorid.“

Im letzten Satz ist dem LG Hechingen ein Schreibfehler unterlaufen. 30 g Methylonbase entsprechen nicht 53,3 g Methylonhydrochlorid, sondern 35,3 g.

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