Einwurf in den Hausbriefkasten um 13:25 Uhr - Zugang noch am gleichen Tag?

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 29.10.2019
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht6|11504 Aufrufe

Mit einer größeren "Segelanweisung" zur Feststellung, wann üblicherweise Hausbriefkästen geleert werden, hat der Zweite Senat des BAG einen Kündigungsrechtsstreit an das LAG Baden-Württemberg zurückgeschickt.

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer von der Beklagten erklärten außerordentlichen Kündigung. Das Unternehmen hat seinen Sitz in Baden-Württemberg, der Arbeitnehmer wohnt auf der anderen Seite des Rheins im elsässischen B. Dort wird die Post früh am Vormittag ausgetragen, die Zustellung ist bereits um 11.00 Uhr beendet. Die Beklagte ließ das Kündigungsschreiben durch Boten am Freitag, den 27.1.2017, um 13:25 Uhr in den Hausbriefkasten des Klägers einwerfen. Dieser erhob am Montag, den 20.2.2017, Kündigungsschutzklage. Das LAG hat die Klage wegen Versäumung der Drei-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG als unbegründet abgewiesen (§ 7 KSchG): Das Kündigungsschreiben sei noch am 27.1.2017 zugegangen, Fristablauf sei daher bereits der 17.2.2017 gewesen.

Dem mochte das BAG so nicht folgen:

Es ist Aufgabe des Berufungsgerichts festzustellen, wann nach der Verkehrsanschauung mit der Entnahme des am 27. Januar 2017 gegen 13:25 Uhr in den Hausbriefkasten eingeworfenen Briefs zu rechnen war. ... Bundesarbeitsgericht und Bundesgerichtshof haben bislang die Annahme einer Verkehrsanschauung, wonach bei Hausbriefkästen im Allgemeinen mit einer Leerung unmittelbar nach Abschluss der üblichen Postzustellzeiten zu rechnen sei, die allerdings stark variieren können, nicht beanstandet. ... Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts stellen die örtlichen Zeiten der Postzustellung nicht unbeachtliche individuelle Verhältnisse des Empfängers dar. ... Das Landesarbeitsgericht wird Tatsachenfeststellungen zu einer (ggf. gewandelten) Verkehrsanschauung betreffend den Zeitpunkt der Leerung von Hausbriefkästen in dem von ihm als maßgeblich angesehenen räumlichen Gebiet (Französische Republik, Département Bas-Rhin oder Wohnort des Klägers) zu treffen haben, wonach eine solche noch bis 13:25 Uhr zu erwarten ist. Hierzu bedarf es allerdings eines substanziierten Tatsachenvortrags der Beklagten, die für den ihr günstigen Umstand eines Zugangs des Kündigungsschreibens noch am 27. Januar 2017 die Darlegungs- und Beweislast trägt.

Verwundert hat mich vor allem die Aussage zur Darlegungs- und Beweislast: Im Grundsatz ist es sicher richtig, dass die Arbeitgeberin den Zugang des Kündigungsschreibens darzutun und im Streitfall zu beweisen hat. Allerdings waren Tatsache und Uhrzeit des Einwurfs nach dem vom BAG mitgeteilten Tatbestand unstreitig. Dann ist es für mein Verständnis nunmehr Sache des Klägers, die ihm günstige Verkehrsübung darzutun, dass ihm das Kündigungsschreiben an diesem Tag nicht mehr im Rechtssinne zugegangen ist - denn davon hängt die ihm günstige Tatsache der Wahrung der Klagefrist ab.

BAG, Urt. vom 22.8.2019 - 2 AZR 111/19, BeckRS 2019, 24702

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6 Kommentare

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Dann ist es für mein Verständnis nunmehr Sache des Klägers, die ihm günstige Verkehrsübung darzutun, dass ihm das Kündigungsschreiben an diesem Tag nicht mehr im Rechtssinne zugegangen ist...

Dem kann ich mich nicht anschließen. Der Nachweis der rechtzeitigen Zustellung der Kündigung obliegt der Klägerin. Wenn die Briefkastenleerung für diesen Tag üblicherweise schon abgeschlossen ist, erfolgt die Zustellung erst am nächsten Tag, nämlich der nächsten Leerung des Hausbriefkastens. Das BAG hat hier auch mal Recht.

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Dem kann ich mich nicht anschließen. Der Nachweis der rechtzeitigen Zustellung der Kündigung obliegt der Klägerin.

Jetzt habe ich wieder einmal die Parteirollen verwechselt. Dieser blöde Fehler passiert mir doch immer wieder. Richtig soll es natürlich heißen: Der Nachweis der rechtzeitigen Zustellung der Kündigung obliegt der Beklagten.

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Die Beklagte beruft sich auf § 7 KSchG, wonach die Kündigung als von Anfang an wirksam gilt, wenn die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung nicht rechtzeitig geltend gemacht worden ist. Wenn also die Beklagte sich darauf beruft, die Klage sei verspätet erhoben, muß sie die Zustellung der Kündigung (schon) am 27.1. beweisen. Mich überzeugt das.

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Der Zugang ist ein einheitliches positives Tatbestandsmerkmal, das zu Gunsten der Beklagten geht. Teil der Definition des Zugangs ist, dass dieser dann bewirkt ist, wenn nach der Verkehrsanschauung mit einer Kenntnisnahme (Leerung) zu rechnen ist. Das ist also auch ein positives Tatbestandsmerkmal und gehört zum Zugang. Wieso sollte dafür die Klägerseite darlegungs- und beweisbelastet sein?

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Also mich wundert ja, dass jemand, der seinen Briefkasten vor 13:00 Uhr leert, von seinem Anwalt nicht einfach dahin beraten wird, die Klage einen Tag vor der Frist einzuwerfen. Dieser Umweg nur wegen der Formalien ist seiner Sache sicherlich nicht dienlich, wenn er denn wirklich Kündigungsschutz haben möchte.

Außerdem wundert mich die Rechtsprechung zu der Frage der Leerungszeit doch sehr. Denn z.B. lassen die Verwaltungsgrichte die Aufstellung eines temporären Parkverbots vier Tage vor einer Baumaßnahme ausreichen, um Jemanden, der sein Fahrzeug vor der Aufstellung zu Recht dauerhaft geparkt hat und dann zwei Wochen in den Urlaub flog, die Kosten des Abschleppens aufzuerlegen. Denn mit de Aufstellung des Verkehrszeichens sei ihm die Möglichkeit der Kenntnisnahme gegeben worden. Und diese Möglichkeit reiche. Da wird nicht mal unterstellt, dass jeder Kfz-Halter täglich einmal das Umfeld seines Kfz in Augenschein nimmt.

Da geht es auch um Rechtsfrieden. Und der kann nur hergestellt werden, wenn man z.B. formale Prozeßvoraussetzungen nicht durch aufwendige Sachverständigengutachten und Aussagen der Postzusteller zur üblichen Postauslieferungszeit ermitteln muß.

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