Kiffender Heranwachsender im OWi-Verfahren: Entbindung von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen findet gleichwohl nach "normalen" Maßstäben statt

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 02.11.2019
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|2671 Aufrufe

Die Entbindung des Angeklagten von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen ist immer wieder gerne Gegenstand von Gerichtsentscheidungen. Hier hatte der Betroffene eine Drogenfahrt nach § 24a StVG hingelegt. Zum Termin wollte er nicht erscheinen. Ein Entbindungsantrag, dessen sonstige gesetzliche Voraussetzungen gegeben waren, wurde abgelehnt. Der Betroffene erschien erwartungsgemäß nicht. Das AG verwarf den Einspruch. FALSCH!

 

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Erfurt vom 30.11.2018 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Amtsgericht Erfurt zurückverwiesen.

 Gründe: 

 I.

 Mit Bußgeldbescheid vom 08.02.2018 wurde gegen den Betroffenen wegen des Führens eines Kraftfahrzeugs unter Wirkung des berauschenden Mittels Tetrahydrocannabinol eine Geldbuße in Höhe von 500 € festgesetzt und ein Fahrverbot für die Dauer von 1 Monat angeordnet.

 Auf den dagegen eingelegten Einspruch des Betroffenen beraumte das Amtsgericht Erfurt Termin zur Hauptverhandlung auf den 30.11.2018 an.

 Mit Schriftsatz vom 16.11.2018 räumte der Verteidiger für den Betroffenen die Fahrereigenschaft ein und erklärte, der Betroffene werde in der Hauptverhandlung keine weiteren Angaben zur Sache machen.

 Das Amtsgericht lehnte den Entbindungsantrag mit Beschluss vom 19.11.2018 ab und verwarf - nachdem weder der Betroffene noch der Verteidiger im Termin zur Hauptverhandlung am 30.11.2018 erschienen waren - den Einspruch mit Urteil vom 30.11.2018 gemäß § 74 Abs. 2 OWiG.

 Gegen das - dem Verteidiger am 07.12.2018 zugestellte - Urteil legte dieser mit Schriftsatz vom 10.12.2018 (eingegangen beim Amtsgericht Erfurt am selben Tag) Rechtsbeschwerde ein, die er mit Schriftsatz vom 09.01.2019 (eingegangen beim Amtsgericht Erfurt am 10.01.2019) mit der Sach- und Verfahrensrüge näher begründete.

 Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft beantragt in ihrer Stellungnahme vom 06.02.2019, das Urteil des Amtsgerichts Erfurt vom 30.11.2018 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Erfurt zurück zu verweisen.

 II.

 Die gemäß § 79 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat mit der Verfahrensrüge der Verletzung von §§ 73 Abs. 2, 74 Abs. 2 OWiG (vorläufig) Erfolg.

 Gemäß § 73 Abs. 2 OWiG hat das Gericht den Betroffenen von seiner Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, sich in der Haupthandlung nicht zur Sache zu äußern und seine Anwesenheit zur zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Davon ist regelmäßig dann auszugehen, wenn der Betroffene die Fahrereigenschaft eingeräumt und im Übrigen erklärt hat, sich nicht weiter zur Sache zu äußern. In einem solchen Fall ist seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich. Das gilt auch dann, wenn - wie hier - über ein Fahrverbot zu entscheiden ist, da der Betroffene zwar berechtigt, aber nicht verpflichtet ist, an einer weiteren Aufklärung der persönlichen Verhältnisse mitzuwirken (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 08.11.2012 - 2 Ss-OWi 181/12 -, Rn. 4, juris m.w.N.).

 Nach dieser Maßgabe hätte der Antrag des Betroffenen auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung vom Amtsgericht nicht abgelehnt werden dürfen. Der Betroffene hatte in seinem Entbindungsantrag vom 16.11.2018 die Fahrereigenschaft eingeräumt und erklärt, weitere Angaben zur Sache in der Hauptverhandlung nicht zu machen. Angesichts dessen gab es keinen sachlichen Grund für die Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung.

 Auch der vom Amtsgericht herangezogene Umstand, dass es sich um ein Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen einen Heranwachsenden im Zusammenhang mit dem Führen eines Fahrzeugs unter Drogen handelt, rechtfertigt eine Ablehnung des Entbindungsantrags nicht. § 50 Abs. 1 JGG findet in Ordnungswidrigkeitenverfahren, in denen Heranwachsende sanktionsrechtlich wie Erwachsene behandelt werden (KK-OWiG/Rengier, 5. Aufl. 2018, OWiG § 12 Rn. 15, OLG Frankfurt, a.a.O.), keine Anwendung. Bei der Bemessung der gegen einen Heranwachsenden zu verhängen Geldbuße sind allein die nach § 17 Abs. 3 OWiG maßgeblichen Umstände zu berücksichtigen.

 Schließlich trägt auch der Umstand, dass sich das Amtsgericht einen persönlichen Eindruck von dem bereits wegen eines BtMG-Vergehens vorbelasteten Betroffenen verschaffen wollte, die Ablehnung des Entbindungsantrags nicht, da das Amtsgericht weder mitteilt noch sich aus den Umständen ergibt, welcher weitere Erkenntnisgewinn aus der Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung angesichts der bereits vorhandenen Beweismittel zu erwarten sein könnte (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.02.2018 - IV-2 RBs 16/18 -, Rn. 6-8, juris). Die Frage, ob ausnahmsweise von der Verhängung einer Fahrverbotes unter angemessener Erhöhung des Bußgeldes nach § 4 Abs. 4 BkatV abgesehen werden kann, rechtfertigt die Ablehnung eines Entbindungsantrages ebenfalls nicht, weil es dafür grundsätzlich nicht auf den persönlichen Eindruck von dem Betroffenen in der Hauptverhandlung ankommt (OLG Hamm, Beschluss vom 01.07.2008 - 5 Ss OWi 415/08 -, Rn. 12, juris).

 Vor diesem Hintergrund hätte das Amtsgericht dem Entbindungsbegehren des Betroffenen entsprechen müssen, was auch nach der mit Beschluss vom 19.11.2018 erfolgten Ablehnung noch möglich gewesen wäre (vgl. Senatsbeschluss vom 04.01.2006 - 1 Ss 224/05 -, Rn. 19, juris). Die Verwerfung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid wegen unentschuldigten Ausbleibens in der Hauptverhandlung erweist sich damit als rechtsfehlerhaft, so dass das angefochtene Urteil aufzuheben (§§ 353 StPO, 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG) und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht zurück zu verweisen (§ 79 Abs. 6 OWiG) war.

OLG Jena Beschl. v. 11.7.2019 – 1 OLG 131 SsBs 24/19, BeckRS 2019, 19687

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