Keine 7% für gemeinnützige Gastronomie und Toilette

von Prof. Dr. Claus Koss, veröffentlicht am 21.11.2019

§ 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG gehört zu den "Kopfschmerzregelungen" im Steuerrecht: dreimal gelesen, dann immer noch unsicher, welcher Steuersatz im konkreten Fall anzuwenden ist? Der Bundesfinanzhof (BFH) hat jetzt noch eine 'bittere Pille' hinzugefügt: eine steuerbegünstigte Körperschaft erhält nicht grundsätzlich den ermäßigten Umsatzsteuersatz, auch wenn eine wirtschaftliche Aktivität der Verwirklichung satzungsmäßiger Zwecke dient (BFH, Urteil v. 23.07.2019 - XI R 2/17). Im entschiedenen Fall ging es um ein Bistro und eine kostenpflichtige öffentliche Toilettenanlage.

Paragrafen mit "gilt nicht" und "gilt nur" in zwei aufeinander folgenden Sätzen sind immer mit Vorsicht zu genießen, ganz besonders, wenn zum "gilt nur" auch noch ein "nicht in erster Linie" hinzutritt. Denn bei gesetzlichen Fiktionen in Kombination mit dem wertenden Begriff "in erster Linie" kann die Auslegung des einen Gesetzesanwenders leicht von der des anderen abweichen. Ein Musterbeispiel ist der streitgegenständliche § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG. Der Reihe nach: § 12 Abs. 2 Nr. 8 Bst. a) UStG gesteht steuerbegünstigten Körperschaften den ermäßigten Steuersatz bei ihren Leistungen zu. Wirtschaftlich kommt dies einer Subvention gleich. Wenn der Ausgangsumsatz mit 7% USt besteuert wird, kann die Vorsteuer trotzdem in voller Höhe (in der Regel: 19%) gezogen werden, macht eine Umsatzsteuer-Ersparnis von bis zu 19% minus 7% gleich 12% aus. Bei Einrichtungen, in den beispielsweise Schwerbehinderte arbeiten, kann diese Begünstigung Sinn machen, da jemand mit einer Behinderung im Regelfall nicht in gleichem Maße produktiv sein können wie die Konkurrenz. ABER: dieser Regelfall wird gleich in Satz 2 von § 12 Abs. 2 Nr. 8 Bst. a) UStG zurückgenommen: für Leistungen im wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gilt der Regelsteuersatz. Das ist verständlich, da dieser Teil der steuerbegünstigten Organisation wie alle anderen Unternehmen behandelt werden soll. Doch dann kommt der Horror jeden Gesetzesanwenders in in § 12 Abs. 2 Nr. 8 Bst. a) Satz 3, erste Alternative UStG: Für den Zweckbetrieb soll der ermäßigte Umsatzsteuersatz zwar auch grundsätzlich gelten, aber nicht, 

wenn der Zweckbetrieb nicht in erster Linie der Erzielung zusätzlicher Einnahmen durch die Ausführung von Umsätzen dient, die in unmittelbarem Wettbewerb mit dem allgemeinen Steuersatz unterliegenden Leistungen anderer Unternehmer ausgeführt werden, 

Erste Frage: Was bedeutet "nicht in erster Linie"? Zweite Frage: Wann stehen Umsätze "in unmittelbarem Wettbewerb"?
Fangen wir mit der zweiten Frage an: gibt es Umsätze von Zweckbetrieben, die nicht in direkter Konkurrenz mit Regelversteuerern stehen? Der Verfasser kann sich das nur bei Beratungsstellen vorstellen, wo die Kosten regelmäßig höher sind als die Erträge. Auch im Gesundheitswesen mag es Randbereiche geben, wo kein Privater eine/n Pfleger/in hinschickt. Aber bei der Gastronomie oder Pachttoiletten findet sich wahrscheinlich immer jemand, der es an entlegenen 'Örtchen' versucht.
Die Definition "nicht in erster Linie" ist meines Erachtens schlicht nicht anwendbar. Heißt das: "nein, ich möchte ja gar kein Geld haben" oder "na ja, wenn kein Verlust herauskommt"?

Der BFH hat die Probleme mit § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG richtig erkannt: es ist eine zwar nicht offensichtliche, aber doch europarechtlich unzulässige Subvention. Wer ein Bistro und eine öffentliche Toilette betreibt, tritt in Konkurrenz zu Regelversteuerern. Das Unternehmen darf daher richtigerweise keinen ermäßigten Steuersatz in Anspruch nehmen. Im entschiedenen Fall kann nicht einmal das Argument angeführt werden, die evtl. geringere Produktivität schwerbehinderter Mitarbeiter/innen rechtfertige eine Subvention. Denn ausweislich des Tatbestands bekamen die behinderten Mitarbeiter/innen einen geringeren Stundenlohn als die nicht-behinderten. Es bestand somit ein wirtschaftlicher Ausgleich. Auch erhielt die steuerbegünstigte Körperschaft Zuschüsse für den Betrieb.

Bedauerlicherweise hat der BFH in dem Urteil keine Hinweise zum Ausgangspunkt des Rechtstreits gegeben. Denn der Betriebsprüfer hatte die Auffassung vertreten, dass es sich bei der Gastronomie um einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb handelte, somit § 12 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 UStG einschlägig ist. Gerade bei Betrieben, in denen benachteiligte Menschen arbeiten, ist die Abgrenzung zwischen wirtschaftlichem Geschäftsbetrieb und Zweckbetrieb schwierig.

Aus betriebswirtschaftlicher Sicht wird steuerbegünstigten Körperschaften zu empfehlen sein, wirtschaftliche Aktivitäten, die in Konkurrenz zu anderen nicht-steuerbegünstigten Unternehmen stehen, so zu gestalten, dass diese auch ohne 12% Umsatzteuerersparnis auskommen. So hat sich der Verfasser erklären lassen, das Menschen mit Autismus in bestimmten Bereichen der EDV produktiver sind als Menschen ohne Beeinträchtigungen, weil sie sich weniger ablenken lassen. Zweite Alternative ist es, gezielt in Bereiche zu gehen, wo ohnehin der ermäßigte Umsatzsteuersatz gilt, beispielsweise bei der Essenslieferung (so auch der Hinweis des BFH, a.a.O., Rz. 24) oder im Hotelgewerbe.

Aus Perspektive des Gesetzgebers wünscht sich der Verfasser, dass der Gesetzgeber den steuerbegünstigten Körperschaften klare steuerrechtliche Vorgaben gibt, sie also nicht mehr in der Ungewissheit lässt, ob sie nun eine Rückstellung für das Betriebsprüfungsrisiko bei der Umsatzsteuer bilden sollen oder nicht?

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Um Ihre Fragen beantworten zu können, muss man die Entstehungsgeschichte des § 12 Abs. 2 Nr. 8 Bst. a) UStG in den Blick nehmen. Im Kern sollten damit die Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) gefördert werden. Dahinter stand der Gedanke, dass dort etwas mit den Händen geschaffen wird, was der Förderung bedarf, weil es selbst bei niedriger Entlohnung der behinderten Menschen und direkter Förderung auf dem Markt kaum wettbewerbsfähig ist und die Förderung niemand stört, weil die Umsätze gering sind. Es musste nicht die gesamte Arbeit in der Werkstatt geleistet werden, aber Beitrag zur Wertschöpfung musste aber erkennbar sein (10%).

Dann kam eine oder einige dieser Werkstätten auf die schlaue Idee Computer anzukaufen, Software aufzuspielen und die Computer zum ermäßigen Steuersatz weiter zu verkaufen (ca. 2002 bis 2005). Banken, Versicherungen und Behörden (alle ohne Vorsteuerabzug) griffen begeistert zu, weil die Steuerermäßigung im Bruttopreis erkennbar war. Der Beitrag zur Wertschöpfung war dabei zwar verschwindend, aber die Finanzämter wehrten sich kaum. Dagegen gingen die Wettbewerber zu Recht auf die Barrikaden.

BMF versuchte im Februar 2006 mit einem Schreiben gegenzusteuern. Dann wurde der sehr kryptische Satz 3 an § 12 Abs. 2 Nr. 8 Bst. a) UStG angehängt. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich, dass die Politiker selbst mit der Formulierung nicht glücklich waren und wohl hofften, die Gestaltungen, die es bis in eine Sendung der Reihe PlusMinus (am 11. Januar 2005, wenn ich das noch richtig weiß) und in die Tagespresse geschafft hatten, würden zukünftig ein wenig zurückhaltender sein, während die Finanzämter ob der Komplexität des Satzes Abstand davon nehmen würden, ausgerechnet diesen Satz zu interpretieren. Die Gesetzesänderung wurde wiederum durch ein BMF-Schreiben erläutert. Aber auch der Umsatzsteuer-Anwendungserlass ist in dem Punkt so kryptisch, wie die Norm, die auslegen soll.

Danach schien Ruhe zu herrschen. Allerdings hat sich die „Branche“ weiter entwickelt. Seit ca. 15 Jahren werden Integrationsbetriebe ähnlich wie WfbM behandelt. Nur werden dort andere Dinge getan. Dort werden mehr Dienstleistungen erbracht (u.a. Fahrradreparatur, Gastronomie, Hotelbetrieb, Betrieb von Rechenzentren, Einzelhandel). So kam es vor, dass Fahrradreparaturen und die anderen o.g. Dienstleistungen, aber auch Einzelhandelsware zum ermäßigen Steuersatz abgerechnet wurden – und zwar ggü. Endverbrauchern ohne Vorsteuerabzug.

Die handelenden Personen hatten nicht mal Bedenken, dass in die Zeitung zu setzen In einem Artikel im Hamburger Abendblatt vom 3. Januar 2015: „Wo Hamburgs Steuererklärungen sicher lagern“ heißt es: „Hinzu kommt, dass ein Integrationsbetrieb nur einen Umsatzsteuersatz von sieben Prozent in Rechnung stellen muss und nicht 19 Prozent wie sonst für solche Dienstleistungen üblich.“. Leistungen eines Rechenzentrums in aller Öffentlichkeit zu 7% - das ist schon frech!

Am 15. Januar 2016 berichtete der Stern unter dem Titel: „Warum Bundesbehörden Aufträge an eine Behindertenwerkstatt vergeben“ unter Berufung auf einen Bericht im Manager Magazin vom 12. Januar 2016: „Renditejäger aus der Behindertenwerkstatt“, wiederum über Computer zum ermäßigten Steuersatz. Klar, dass wieder Behörden ohne Vorsteuerabzug große Stückzahlen abnahmen – und das Bundesfinanzministerium mit dabei. Die alten Zeiten waren zurück, auch wenn nur die Behinderten nicht nur Software aufspielten, sondern „an den Computern tüftelten“. Die Wettbewerbsverzerrung soll erheblich gewesen sein.

Ungefähr zu dieser Zeit lagen dann plötzlich auf den Rezeptionen von Hotels, die von Integrationsbetrieben geführt wurden, zu Tränen rührende Aufrufe, wie schrecklich es wäre, wenn die durch die o.g. Artikel wieder angefachte Diskussion ihnen den ermäßigten Steuersatz nähme. Das war lustig, weil ¾ der Umsätze im Hotelgewerbe ohnehin ermäßigt besteuert werden.

Die jüngeren Artikel kann man noch heute im Internet recherchieren. Die Artikel aus den Jahren bis 2007, die aber ähnlich Klagen der Wettbewerber aufnahmen, sind heute nicht mehr zu finden (so viel zum Thema: „Das Internet vergisst nicht“).

Und nun endlich dieses Urteil, betroffen eine Gastronomie. § 12 Abs. 2 Nr. 8 Bst. a) UStG hat „nur“ 12 Jahre gebraucht, um seine Zähne zu zeigen. Mal sehen, was nun passiert.

Eientlich wäre eine direkte Fördweerung einzelner Projekte ehrlicher und besser auf das jeweilige Problem zuzuschneiden. Aber die steuerliche Förderung hat den Vorteil, dass Bund und Länder sich die Förderung nach einem bekannten Schlüssel teilen. Dumm nur, dass ganz nebenbei die Eigenmittel der Europäischen Union dadurch geschmälert werden.

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