BGH: Kein Anspruch eines AG-Vorstandes auf "billiges Ermessen" bei Sonderleistungen

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 19.12.2019
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|9895 Aufrufe

Zum Abschluss der letzten vollen Arbeitswoche des Jahrzehnts noch ein Urteil von dem für das Gesellschaftsrecht zuständigen II. Zivilsenat des BGH in Karlsruhe. Die Entscheidung ist zwar schon drei Monate alt, war mir aber bislang durchgegangen:

Die Vereinbarung in dem Dienstvertrag des Vorstands einer Aktiengesellschaft, nach der der Aufsichtsrat ihm Sonderleistungen nach billigem Ermessen bewilligen kann, es sich dabei um freiwillige Zuwendungen handelt und aus ihnen kein Rechtsanspruch abgeleitet werden kann, begründet keinen Anspruch auf Zahlung einer variablen Vergütung.

Der Kläger, ein ehemaliges Vorstandsmitglied der beklagten Aktiengesellschaft, macht gegen diese einen Anspruch auf Zahlung einer variablen Vergütung in Form eines Bonus für das Jahr 2011 geltend. Der Kläger war seit dem 1.8.1998 als Arbeitnehmer für die Beklagte tätig. Sein Arbeitsvertrag sah neben einer Grundvergütung auch die Zahlung eines Ermessensbonus vor. Zum 1.5.2006 berief die Beklagte den Kläger für zunächst zwei Jahre in ihren Vorstand. Dabei wurde neben dem Ruhen des Arbeitsvertrags vereinbart, dass die materiellen Bedingungen des Arbeitsverhältnisses weiter gelten sollten. Am 18.6.2010 schlossen die Parteien einen Anstellungsvertrag als Mitglied des Vorstands, für das nach der Präambel mit Wirkung zum 1.5.2010 die neuen Bedingungen dieser Vereinbarung gelten sollten. Der Kläger erhielt ein Grundgehalt iHv. 325.000 Euro p.a., dessen Angemessenheit regelmäßig zu überprüft wurde. Bezüglich Sonderzahlungen heißt es in § 3 Abs. 3 des Vertrages:

Der Aufsichtsrat kann nach billigem Ermessen und im Einklang mit geltendem Recht (insbesondere § 87 AktG, soweit anwendbar) zusätzlich zum Jahresbruttogrundgehalt Sonderleistungen, Gratifikationen oder ähnliches einmalig oder wiederholt gewähren. Bei diesen Sonderleistungen, Gratifikationen oder ähnlichem handelt es sich in jedem Falle um freiwillige Zuwendungen. Ein Rechtsanspruch kann aus ihnen nicht abgeleitet werden. Solche Sonderzuwendungen, Gratifikationen oder ähnliches können auch für außerordentliche Leistungen des Vorstandsmitglieds gewährt werden.

Im Jahr 2010 erhielt der Kläger eine Gesamtvergütung von 1,2 Mio. USD, bestehend aus 325.000 Euro Fixgehalt und den Rest Bonusleistungen. Im Jahre 2011 kündigte er selbst fristgerecht seinen Vertrag und wechselte zu einem Konkurrenzunternehmen. Bonuszahlungen wurden ihm nicht mehr gewährt. Das OLG Frankfurt am Main (Urt. vom 18.4.2018 - 4 U 120/17, GWR 2018, 273) hat ihm im Berufungsrechtszug 500.000 Euro zugesprochen.

Die Revision der Beklagten hatte Erfolg und führte zur vollständigen Abweisung der Klage:

(Rn. 16) Nach seinem Wortlaut gewährt § 3 Abs. 3 Satz 1 des Vorstandsdienstvertrags dem Kläger unabhängig von dem Freiwilligkeitsvorbehalt in Satz 2 weder einen Anspruch auf Zahlung einer variablen Vergütung noch eine Ermessensentscheidung des Aufsichtsrats darüber. Aus der Formulierung „kann … gewähren“ ergibt sich hinreichend deutlich, dass der Aufsichtsrat in seiner Entscheidung über die Gewährung von Sonderleistungen, Gratifikationen oder Ähnlichem frei sein soll. Die Sätze 2 und 3 des § 3 Abs. 3 verdeutlichen dies zusätzlich. In Satz 2 ist ausdrücklich geregelt, dass es sich bei Leistungen nach Satz 1 in jedem Fall um freiwillige Zuwendungen handelt und in Satz 3, dass aus ihnen ein Rechtsanspruch nicht abgeleitet werden kann.

(Rn. 26) Entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts bestehen schon Bedenken, diese Rechtsprechung (des BAG zu Freiwilligkeitsvorbehalten in Arbeitsverträgen - C.R.), die zu Vergütungsvereinbarungen mit Arbeitnehmern ergangen ist, ohne Weiteres auf Anstellungsverträge von Vorständen einer Aktiengesellschaft zu übertragen. Zwischen Arbeitsverträgen und Vorstandsdienstverträgen bestehen erhebliche Unterschiede. Insbesondere unterliegt der Vorstand nicht dem Direktionsrecht des Arbeitgebers, sondern er ist als Organ der Aktiengesellschaft persönlich unabhängig und leitet diese unter eigener Verantwortung (§ 76 Abs. 1 AktG). Anders als bei Arbeitnehmern können Zielvereinbarungen mit Vorständen nicht uneingeschränkt geschlossen werden, sondern nur, soweit sie nicht in unzulässiger Weise auf die Leitungsautonomie des Vorstands Einfluss nehmen, weshalb sie an anderen Kriterien ausgerichtet sein müssen als bei einem Arbeitnehmer (...). Der Aufsichtsrat ist nicht befugt, dem Vorstand vorzugeben, wie er seine Dienstleistung im Einzelnen erbringen soll, auch nicht mittels tätigkeitsbezogener Zielvorgaben.

(Rn. 28) Der Freiwilligkeitsvorbehalt benachteiligt den Kläger schon deshalb nicht unangemessen, weil eine konkrete tätigkeitsbezogene Zielvereinbarung nicht getroffen wurde. Mit dem Freiwilligkeitsvorbehalt wird daher kein Vergütungsanspruch auf eine Sonderleistung, der nach den Feststellungen des Berufungsgerichts gerade nicht besteht, nachträglich eingeschränkt.

BGH, Urt. vom 24.9.2019 - II ZR 192/18, BeckRS 2019, 29652

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