bAV I: EuGH zur Insolvenzsicherung der Grundverpflichtung des Arbeitgebers

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 23.12.2019
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|3562 Aufrufe

In der Weihnachtswoche mal ein wenig betriebliche Altersversorgung: Nach § 1 Abs. 1 Satz 3 des Betriebsrentengesetzes (BetrAVG) muss der Arbeitgeber für die Erfüllung seines Versorgungsversprechens auch dann einstehen, wenn die Versorgung nicht über ihn erfolgt. Diese Bestimmung hat zuletzt mehrfach in denjenigen Fällen Bedeutung erlangt, in denen eine Pensionskasse - mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde (§ 233 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. a VAG) - ihre Leistungen herabgesetzt hat, weil sie die einstmals großzügig versprochene Mindestverzinsung (oft 4%) nicht mehr erwirtschaften konnte.

Umstritten blieb aber, ob im Falle der Insolvenz des Arbeitgebers der PSVaG als Träger der Insolvenzsicherung für diese Leistungen einspringen muss. § 7 BetrAVG erwähnt diese "Grundverpflichtung" als Sicherungsfall nicht und der PSVaG erhält für sie gemäß § 10 BetrAVG auch keine Beiträge. Das BAG hatte aber Zweifel, ob diese Lücke unionsrechtlich hingenommen werden muss und deshalb den EuGH um Vorabentscheidung ersucht (BAG, Beschl. vom 20.2.2018 - 3 AZR 142/16 (A), NZI 2018, 454).

Mit Urteil vom 19.12.2019 hat der EuGH nun erkannt, dass die Insolvenzschutz-Richtlinie ein Einspringen des PSVaG (nur) gebietet, wenn die Betriebsrente um mehr als 50% ausfallen sollte (der von der Pensionskasse weiterhin zu leistende Anteil bleibt durch die Insolvenz des Arbeitgebers ja unberührt) oder der Rentner unter die Armutsgrenze nach den Maßstäben von Eurostat abzurutschen drohte:

1. Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers ist dahin auszulegen, dass er auf eine Situation anwendbar ist, in der ein Arbeitgeber, der Leistungen der betrieblichen Altersversorgung über eine überbetriebliche Einrichtung gewährt, wegen seiner Zahlungsunfähigkeit nicht für den Ausgleich der Verluste einstehen kann, die sich aus der Kürzung der von dieser überbetrieblichen Einrichtung erbrachten Leistungen ergeben, wobei diese Kürzung von der diese Einrichtung überwachenden staatlichen Finanzdienstleistungsaufsicht genehmigt wurde.

2. Art. 8 der Richtlinie 2008/94 ist dahin auszulegen, dass eine wegen der Zahlungsunfähigkeit seiner ehemaligen Arbeitgeberin erfolgte Kürzung der einem ehemaligen Arbeitnehmer gezahlten Leistungen der betrieblichen Altersversorgung als offensichtlich unverhältnismäßig angesehen wird, obwohl der Betroffene mindestens die Hälfte der sich aus seinen erworbenen Rechten ergebenden Leistungen erhält, wenn dieser ehemalige Arbeitnehmer wegen dieser Kürzung bereits unterhalb der von Eurostat für betreffenden Mitgliedstaat ermittelten Armutsgefährdungsschwelle lebt oder künftig leben müsste.

3. Der eine Mindestschutzpflicht vorsehende Art. 8 der Richtlinie 2008/94 kann unmittelbare Wirkung entfalten, so dass er gegenüber einer privatrechtlichen Einrichtung geltend gemacht werden kann, die vom Staat als Träger der Arbeitgeberinsolvenzsicherung im Bereich der betrieblichen Altersversorgung bestimmt worden ist, wenn diese Einrichtung in Anbetracht der Aufgabe, mit der sie betraut ist, und der Bedingungen, unter denen sie sie erfüllt, dem Staat gleichgestellt werden kann, sofern sich die Aufgabe der Sicherung, mit der sie betraut ist, tatsächlich auf die Arten von Leistungen bei Alter erstreckt, für die der in Art. 8 dieser Richtlinie vorgesehene Mindestschutz verlangt wird.

EuGH, Urt. vom 19.12.2019 - C-168/18, BeckRS 2019, 32147 = ECLI:EU:C:2019:1128 - Pensions-Sicherungs-Verein

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