Messungen durch Private: Unglaubliches aus Hessen!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 18.01.2020
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht2|2160 Aufrufe

Da ist man sprachlos. Die Frau hat Geschwindigkeitsüberwachungsfirma. Ihr Mann ist der angestellte "Messbeamte". Der misst und wertet aus. Erst bekam die Firma der Frau 70  Prozent aller Einnahmen (Sicher ein guter marktwirtschaftlicher Anreiz), später gab es eine andere Vereinbarung. Eigentlich hätte man den Mann auch noch die Bußgeldbescheide schreiben und die Bußgelder vollstrecken lassen können. Alles aus einer Hand halt. Hauptsache der Rubel rollt. Das AG hatte Bedenken und so auch freigesprochen. Die StA dagegen meinte, dass das alles schon o.k. sei. Gut, dass das OLG Frankfurt das nicht ganz so lustig fand und deutliche Worte fand. Schlimm natürlich, dass sicher zahlreiche Bürger durch derartige Tricksereien Geldbußen bereits zahlen mussten und sicher auch Fahrverbote über sich haben ergehen lassen müssen. Für mich ist das ein Skandal, zumal die Messungen durch Private ein Standard-OWi-Thema sind.

 

Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Hanau gegen das Urteil des Amtsgerichts Hanau vom 26. Juni 2019 wird als unbegründet verworfen.

 Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens fallen der Staatskasse zur Last.

 Gründe: 

 I.

 Das Regierungspräsidium Kassel hat mit Bußgeldbescheid vom 15. Februar 2019 gegen den Betroffenen wegen einer am XX. November 2018 um 13:41 Uhr in Hammersbach begangenen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 28 km/h eine Geldbuße in Höhe von 80,- € festgesetzt. Ferner wurde gegen den Betroffenen ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Auf seinen form- und fristgerechten Einspruch hin hat das Amtsgericht Hanau den Betroffenen mit Urteil vom 26. Juni 2019 „aus tatsächlichen Gründen“ freigesprochen.

 Nach den Feststellungen des Amtsgerichts wurde die verfahrensgegenständliche Messung durch den Zeugen Z1 durchgeführt. Der Zeuge Z1 ist Angestellter bei einem von seiner Ehefrau geführten Unternehmen X. Auf der Grundlage eines Vertrags zur Arbeitnehmerüberlassung zwischen der X und der Gemeinde Hammersbach führte er nach eigenen Angaben im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung die Verkehrsüberwachung im ruhenden und fließenden Verkehr für die Gemeinde Hammersbach - wie im Übrigen auch für die Gemeinden Niederdorfelden und Schöneck - durch. Als Messgerät kam ein von der Gemeinde Hammersbach von der Firma1 gemietetes Gerät zum Einsatz, auf dass der Zeuge Z1 unmittelbar Zugriff hatte. Der Zeuge Z1 führte die Messung durch, wertete die Messergebnisse aus und gab im Anschluss daran einen Stick mit den Daten an das Ordnungsamt ab, wo das Verfahren fortgeführt wurde. Die Orte und Zeitpunkte der Geschwindigkeitsmessungen sowie die Art der Kontrolle wurden vom Ordnungsamt der Gemeinde ausgewählt. In der Vergangenheit hatte die Gemeinde Hammersbach 30% von den durch die Durchführung von Verkehrskontrollen erzielten Einnahmen und der Zeuge Z1 bzw. seine Ehefrau 70% erhalten. Nachdem dies untersagt wurde, findet keine Gewinnbeteiligung mehr statt. Die X stellt der Gemeinde für die Tätigkeit des Zeugen Z1 Rechnungen entsprechend einer Vergütung nach TVÖD.

 Der Landrat des Main-Kinzig-Kreises bestellte den Zeugen Z1 mit Bestellungsschreiben vom 26. Juni 2008 gemäß § 99 Abs. 3. S. 3 HSOG zum Ordnungspolizeibeamten für den Dienstbereich der Gemeinde Hammersbach und übertrug ihm u. a. die Aufgabenbereiche „Überwachung des ruhenden Verkehrs“, „Überwachung des fließenden Verkehrs“ und „Durchführung von Geschwindigkeitsmessungen mit dem Geschwindigkeitsmessgerät Einseitensensor ES 1.0“. In dem Bestellungsschreiben heißt es u. a. ferner, dass die Bestellung zum Ortpolizeibeamten keinen Einfluss auf sein Angestelltenverhältnis habe. Die Befugnisse des Zeugen als Ortspolizeibeamter wurden mit Schreiben vom 14. August 2015 um die Aufgaben ergänzt, Geschwindigkeitskontrollen mit den Messgeräten Leivtec XV3 und Vitronic Poliscan Speed durchzuführen.

 Das Amtsgericht hat unter Bezugnahme auf die sog. „Lauterbach-Entscheidung“ des Senats (Beschluss vom 26. April 2017 - 2 Ss-OWi 295/17, NStZ 2017, 588 ff.) in der selbständigen Durchführung der gegenständlichen Messung und deren Auswertung durch den Zeugen Z1 als privatrechtlich tätiger Person einen Bruch in der Beweismittelkette angenommen, da die Messdaten zu keinem Zeitpunkt in der Kontrolle des Hoheitsträgers selbst befanden. Dies habe zur Folge, dass das Ergebnis der Messung nicht zu verwerten sei.

 Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft Hanau mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Rechtsbeschwerde. Sie ist der Auffassung, dass die durch die Messung gewonnenen Beweismittel zwar tatsächlich auf nicht rechtsstaatliche Weise erzielt und bewertet worden seien. Allerdings gebe es keinen allgemeinen Grundsatz, wonach ein Beweiserhebungsverbot ein Beweisverwertungsverbot nach sich ziehe. Die Auswertung der digitalen Falldateien und damit sie rechtsstaatliche Beweisführung sei im vorliegenden Fall nachholbar, weswegen das Amtsgericht den Betroffenen nicht hätte freisprechen dürfen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Rechtsbeschwerdebegründung wird auf Bl. 93 ff. d. A. Bezug genommen.

 Die Generalstaatsanwaltschaft ist in ihrer Stellungnahme vom 10. September 2019 der Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Hanau beigetreten.

 II.

 Die zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

 Die vorliegend durch den Zeugen Z1 durchgeführte Messung ist gesetzeswidrig. In der Folge hätte das Regierungspräsidium Kassel keinen Bußgeldbescheid erlassen dürfen.

 Der Senat hat in seiner Grundsatzentscheidung vom 06. November 2019 (2 Ss-OWi 942/19 - sog. „Freigericht“-Entscheidung) zur Verkehrsüberwachungen durch private Dienstleister ausgeführt, dass die im hoheitlichen Auftrag von einer privaten Person durchgeführte Geschwindigkeitsmessung keine Rechtsgrundlage hat und infolgedessen das Regierungspräsidium Kassel keinen Bußgeldbescheid hätte erlassen dürfen.

 Der Senat hat in dieser Entscheidung ausführlich dargelegt, dass die Überwachung des fließenden Verkehrs Kernaufgabe des Staates ist. Sie dient dem Schutz des Lebens und der Gesundheit der am Verkehr teilnehmenden Bürger. Sie ist eine hoheitliche Aufgabe, die unmittelbar aus dem Gewaltmonopol folgt und deswegen bei Verstößen berechtigt, mit Strafen und/oder Bußgeldern zu reagieren. Sie ist ausschließlich Hoheitsträgern, die in einem Treueverhältnis zum Staat stehen, übertragen. Will ein staatliches Exekutivorgan die ihm gewährte Regelungs- und Sanktionsmacht delegieren, muss es dafür eine im Rahmen eines gesetzgeberischen Verfahrens durch die parlamentarische Repräsentation der Bevölkerung (Legislative) ergangene Ermächtigungsgrundlage haben. Soweit es sich nicht ohnehin um absolute hoheitliche Kernaufgaben handelt, die von einem derartigen Verfassungsrang sind, dass sie grundsätzlich nicht übertragbar sind, wozu insbesondere Justiz, Polizei und die Fiskalverwaltung gehören, muss in dieser Ermächtigungsgrundlage klar und eindeutig bestimmt sein, was übertragen wird, warum es übertragen wird, wie es übertragen wird und wie es kontrolliert wird (vgl. z.B. § 27c Abs. 2 LuftVG). Eine derartige Rechtsgrundlage, die eine Übertragung der staatlichen Verkehrsüberwachung auf private Dienstleister ermöglicht, ist nicht erlassen worden.

 Zuständig für die kommunale Verkehrsüberwachung ist der Bürgermeister als Ortspolizeibehörde. In dieser Funktion ist er kein kommunales Selbstverwaltungsorgan, sondern Teil der Polizei und unmittelbar der Dienst- und Fachaufsicht des Innenministeriums unterworfen. Er hat sich im Rahmen seiner polizeilichen Tätigkeit zwingend an Recht und Gesetz zu halten, und er haftet als Ortspolizeibehörde für die Gesetzmäßigkeit seiner polizeilichen Tätigkeit. Für die kommunale Verkehrsüberwachung bedeutet dies, dass die Überwachung von ihm als „Ortspolizeibehörde“ durchgeführt wird. Verwendet er dabei Verkehrsüberwachungstechnik, hat er zu garantieren, dass die nach Maßgaben des Mess- und Eichgesetzes von der PTB in der Zulassung der Verkehrsmesstechnik vorgegebenen Anforderungen eingehalten werden und der behauptete Verkehrsverstoß in einem in sich geschlossenen System der Beweisführung prozessual einer gerichtlichen Überprüfung genügt. Der Senat hat in mehreren Entscheidungen (grundsätzlich im Beschluss v. 26.04.2017 - 2 Ss-OWi 295/17, sog. „Lauterbach-Entscheidung“) ausgeführt, dass bei der Verkehrsüberwachung des fließenden Verkehrs beim Einsatz technischer Verkehrsüberwachungsanlagen die Hinzuziehung und Übertragung von Aufgaben an private Dienstleister bzw. Personen, die nicht in einem Dienst- und Treueverhältnis zum Staat stehen, ausgeschlossen ist (vgl. dazu auch Hornmann, HSOG, 2. Aufl., § 99 Rdn. 34 f). Die Ortspolizeibehörde ist daher nur berechtigt, die Verkehrsüberwachung durch eigene Bedienstete (mit entsprechender Qualifikation) vorzunehmen.

 Der Zeuge Z1 ist kein Bediensteter der Gemeinde Hammersbach. Die Überlassung des Zeugen Z1 an die Gemeinde im Wege der Arbeitnehmerüberlassung von der X ist rechtswidrig.

 Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) regelt ausdrücklich nicht die Übertragung hoheitlicher Aufgaben. Es dient vielmehr dazu, den Missbrauch von Arbeitnehmerüberlassung im privatwirtschaftlichen Bereich einzudämmen und den durch die Europäische Union vorgegebenen Rechten und Schutzregelungen für den Europäischen Rechtsraum mehr Geltung zu verschaffen. Es ist vom Grundsatz darauf ausgerichtet, Regelungen zu schaffen, durch die eine im Rahmen einer wirtschaftlichen Unternehmung kurzfristig auftretende Tätigkeitsspitze durch zeitlich befristete Hinzuziehung fremder Arbeitskräfte ausgeglichen werden kann. Aus diesem Grund sind Arbeitnehmerüberlassungen erlaubnispflichtig und bei fehlender Erlaubnis nach § 9 AÜG unwirksam (vgl. zur Ausnahme § 1 Abs. 3 Nr. 2c) AÜG i.V.m. im öffentlichen Dienst geltenden Personalgestellungen nach § 4 Abs. 3 TVöD / TV-L / TV-H als lex specialis).

 Vorliegend ist für die Übertragung der hoheitlichen Verkehrsüberwachung weder grds. der Anwendungsbereich des AÜG eröffnet, noch lag hier eine Erlaubnis vor oder waren überhaupt die gesetzlichen Regelungen für Personalgestellung beachtet worden. Von besonderer Bedeutung ist aber, dass selbst nach den Regelungen des AÜG (die Anwendbarkeit unterstellt) der entliehene Arbeitnehmer - hier der Zeuge Z1 - durch die Überlassung auch nicht Bediensteter des Übernehmenden (Entleiher) - hier der Gemeinde Hammersbach - hätte werden können (vgl. unzutreffend Meixner/Friedrich, HSOG, 12. Aufl., § 99 Rdn. 7, da contra legem § 10 AÜG). Nach dem AÜG bleibt der entliehene Arbeitnehmer (der Zeuge Z1.) grds. Arbeitnehmer des verleihenden Unternehmens (vorliegend der X). Dass er in den Geschäftsbetrieb des Entleihers eingebunden wird und dem dortigen Weisungsrecht unterliegt, ändert daran nichts.

 An dieser Bewertung ändert auch der Umstand nichts, dass der Zeuge Z1 durch den Landrat des Main-Kinzig-Kreises zum „Ordnungspolizeibeamten“ bestellt wurde. Diese Bestellung ist nichtig.

 Nach § 99 HSOG können zur Wahrnehmung bestimmter Aufgaben der Gefahrenabwehr oder zur hilfsweisen Wahrnehmung bestimmter polizeilicher Aufgaben Hilfspolizeibeamtinnen und Hilfspolizeibeamte bestellt werden; in den Landkreisen und Gemeinden können sie die Bezeichnung Ordnungspolizeibeamtin oder Ordnungspolizeibeamter führen. § 99 Abs. 3 HSOG regelt die Bestellungskompetenz der Behörden, gestaffelt nach den ihnen jeweils zugewiesenen Funktionen (vgl. zur Gesetzesänderung und Neufassung: Hornmann, HSOG, 2. Aufl., § 99 Rdn. 2 m.w.N.). § 99 Abs. 3 HSOG ist nach Sinn und Zweck der Vorschrift und gemäß der gesetzgeberischen Konstruktion vor dem Hintergrund seines eng auszulegenden Ausnahmecharakters zu Art. 33 Abs. 4 GG so aufgebaut, dass die jeweilige Behörde für die ihr übertragenen Tätigkeiten jeweils „eigene Bedienstete“ und „Bedienstete“ der jeweils nachgeordneten Behörden als „Hilfspolizeibeamte“ bestellen können (vgl. zum Ganzen Hornmann, HSOG, 2. Aufl., § 99 Rdn. 2 ff; 7f und 34 ff).

 Danach ist der Bürgermeister der Gemeinde Hammersbach als Ortspolizeibehörde gem. § 99 Abs. 3 Nr. 2 HSOG befugt zur Wahrnehmung der kommunalen Verkehrsüberwachung, eigene Bedienstete zu Hilfspolizeibeamten bzw. Ordnungspolizeibeamten zu bestellen.

 Da der Zeuge Z1 kein Bediensteter der Gemeinde Hammersbach war, scheidet diese Möglichkeit der Bestellung aus.

 Für die vorliegend tatsächlich vorgenommene Bestellung des Zeugen Z1 durch den Landrat des Main-Kinzig-Kreises fehlen gleich beide Voraussetzungen. Der Zeuge Z1 ist auch kein Bediensteter des Landrats. Die kommunale Verkehrsüberwachung ist auch keine Polizeitätigkeit, die dem Landrat übertragen ist, so dass insoweit dem Landrat auch grds. die Bestellungskompetenz fehlt. Der Landrat war damit für die Bestellung des Zeugen Z1 zum Hilfspolizeibeamten bzw. Ordnungspolizeibeamten offensichtlich sachlich und örtlich unzuständig.

 Nach alledem war der Zeuge Z1 weiterhin Mitarbeiter der X die durchgeführte hoheitliche Verkehrsüberwachung war statt durch die Polizei bewusst rechtswidrig durch einen privaten Dienstleister durchgeführt worden.

 Folge dieses gesetzeswidrigen und teils nichtigen Handelns ist, dass das Verfahren nicht als Grundlage für den Erlass eines Bußgeldbescheids dienen kann. Die gesetzwidrig angeordnete und gesetzwidrig durchgeführte Verkehrsüberwachung unterliegt einem generellen Verfahrensverbot. Die so erhobenen Beweise hätte nicht erhoben werden dürfen und können daher nicht Grundlage einer Sanktionierung sein (Senat, a. a. O.). Vorliegend hätte bereits die hoheitliche Verkehrsüberwachung nicht so durchgeführt werden dürfen, sodass die den Verkehrsverstoß begründenden Beweismittel einem generellen Beweiserhebungsverbot unterliegen. Die die Polizei ist berechtigt (und verpflichtet), hoheitliche Verkehrsüberwachungen zum Schutze von Leben und Gesundheit der Bevölkerung durchzuführen. Dies ist hier nicht geschehen (Senat, a. a. O.).

 Das Amtsgericht hat den Betroffenen daher zu Recht freigesprochen, wenngleich dies auf rechtlichen, nicht tatsächlichen Erwägungen beruht.

OLG Frankfurt BeckRS 2019, 32262

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Die gewollte Intransparenz bei Messverfahren gewinnt m. E. eine andere Qualität, wenn man als möglich erachtet, dass die Erzielung von Profiten nicht nur bei den Herstellern der Messverfahren, sondern auch bei den Benutzern im Vordergrund stehen kann.

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