BGH schon wieder zur Zugriffsnähe beim bewaffneten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln

von Dr. Jörn Patzak, veröffentlicht am 24.01.2020
Rechtsgebiete: StrafrechtBetäubungsmittelrecht1|5023 Aufrufe

Der BGH hat sich schon wieder mit der Zugriffsnähe hinsichtlich einer Waffe beim bewaffneten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln befasst (siehe dazu auch meinen Blog-Beitrag vom 11.1.2020), diesmal mit einer Revision der Staatsanwaltschaft, die sich gegen die Verneinung  des Qualifikationstatbestandes des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln im Sinne von § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG durch das Landgericht richtet.

In diesem Fall bewahrten die Angeklagten auf dem Balkon auf einer außenliegenden Fensterbank des parallel zur Balkontür verlaufenden Fensters einen Beutel mit 49,46 g Heroin mit einem Wirkstoffgehalt von 18,2% auf, das zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt war. In der Wohnung stand neben der Wohnungseingangstür ein Baseballschläger aus Holz und etwa zwei Meter von der Wohnungseingangstür entfernt lag auf einem Sideboard eine Gasdruckpistole „Colt Defender“, die unter Gasdruck stand und mit Stahlkugeln geladen war. Der Griff der Gasdruckpistole zeigte in Richtung Flur, während der Pistolenlauf parallel zur Wand ausgerichtet und von einem am Sideboard angelehnten Wandgarderobenpanel verdeckt war.

Dies hat der Strafkammer nicht ausgereicht, ein bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG zu bejahen. Angesichts der festgestellten Zugriffshemmnisse zwischen Waffen und Betäubungsmittel („geschlossene Balkontür bzw. das entsprechende Fenster, das gesamte Wohnzimmer, die Wohnzimmertür und die Breite des Flures“) hätten die Angeklagten nicht ohne nennenswerten Zeitaufwand auf die Waffe zugreifen können.

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hat der BGH das Urteil u.a. mit folgender Begründung aufgehoben (BGH, Urt. v. 23.10.2019, 2 StR 294/19 = BeckRS 2019, 34571):

„Im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend hat das Landgericht die Voraussetzungen des Qualifikationstatbestandes des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG zugrunde gelegt. Danach muss der Täter die Waffe oder den gefährlichen Gegenstand bei der Tatbegehung bewusst gebrauchsbereit in der Weise bei sich haben, dass er sich seiner jederzeit bedienen kann. Setzt sich die Tat aus mehreren Einzelakten zusammen, so reicht es nach ständiger Rechtsprechung zur Tatbestandserfüllung aus, wenn der qualifizierende Umstand auch nur bei einem Einzelakt verwirklicht ist (vgl. Senat, Urteil vom 15. November 2017 - 2 StR 74/17, BeckRS 2017, 139279; BGH, Beschluss vom 28. November 2013 - 5 StR 576/13, BGHR BtMG § 30a Abs. 2 Nr. 2 Gegenstand 1; Senat, Urteil vom 28. Februar 1997 - 2 StR 556/96, BGHSt 43, 8, 10 f., jeweils mwN).

Die räumliche Entfernung zwischen dem Aufbewahrungsort der Betäubungsmittel und dem der Waffe bzw. des gefährlichen Gegenstandes zu einem bestimmten Zeitpunkt - etwa dem der Durchsuchung einer Wohnung - hat allerdings lediglich indizielle Bedeutung für die Beurteilung einer jederzeitigen ohne nennenswerten Zeitaufwand und ohne größere Schwierigkeiten zu realisierenden Zugriffsmöglichkeit des Täters. Denn für das Mitsichführen ist angesichts des Zwecks der Qualifikation (dazu näher BGH, Beschluss vom 5. April 2016 - 1 StR 38/16, BGHR BtMG § 30a Abs. 2 Mitsichführen 13) die Zugriffsmöglichkeit des Täters des Betäubungsmitteldelikts auf Waffen oder sonstige Gegenstände gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 Var. 2 BtMG während irgendeines, aber näher zu bestimmenden Zeitpunkts im gesamten Tatverlauf ausschlaggebend (BGH, Urteil vom 12. Januar 2017 - 1 StR 394/16, BGHR BtMG § 30a Abs. 2 Mitsichführen 14 mwN).

Diese Maßstäbe hat das Landgericht im Rahmen seiner Würdigung nicht ausreichend in den Blick genommen.

Nach den Feststellungen befanden sich die Gasdruckpistole und der Baseballschläger zum Zeitpunkt der Durchsuchung zwar in einem anderen Raum als die zum Handeltreiben bestimmten Betäubungsmittel. Die räumliche Distanz hat aber - wie ausgeführt - lediglich indizielle Bedeutung für die jederzeitige Zugriffsmöglichkeit des Täters während der Tat. Für ein konkretes Verkaufsgeschäft mit dem auf der außenliegenden Fensterbank des Balkonfensters aufbewahrten Heroins hätte es ohnehin des Hervorholens wenigstens eines Teils davon bedurft, so dass dem Aufbewahrungsort zum Zeitpunkt der Durchsuchung für das Mitsichführen der Waffe bzw. des Gegenstandes für sich genommen keine entscheidende Bedeutung zukommen kann (vgl. auch BGH aaO). Insoweit verhält es sich anders als in Konstellationen, in denen die Waffe bzw. der gefährliche Gegenstand in einer Art und Weise gelagert wird, die - wie etwa bei Aufbewahrung in einem verschlossenen Behältnis (vgl. Senat, Beschluss vom 23. Juni 2010 - 2 StR 203/10, NStZ 2011, 99 f.) - den Zugriff auf die Waffe erschwert. Derartige Schwierigkeiten des Zugangs zu der fertig geladenen Gasdruckpistole und dem Baseballschläger sind in objektiver Hinsicht gerade nicht festgestellt. Die Feststellung, dass die Waffe und der Baseballschläger im Flur unmittelbar in Nähe der Wohnungseingangstür lagen, legt vielmehr nahe, dass der zum Handel vorgesehene Betäubungsmittelvorrat durch das durch Waffen vermittelte Gefühl von Sicherheit und Überlegenheit abgesichert werden sollte, was der gesetzgeberischen Zweckbestimmung der Qualifikation entspräche (dazu BGH, Beschluss vom 5. April 2016 - 1 StR 38/16, BGHR BtMG § 30a Abs. 2 Mitsichführen 13).“

 

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