BAG: Benachteiligung schwerbehinderter Bewerber im öffentlichen Dienst

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 29.01.2020
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht2|3493 Aufrufe

Diskriminierungsklagen abgelehnter schwerbehinderter Bewerber sind keine Seltenheit und Arbeitgeber sind gut beraten, insbesondere den Anforderungen des § 164 SGB IX genauestens zu entsprechen. Die Rechtsprechung des BAG ist hier ausgesprochen streng und die Erfolgsaussichten der Kläger folglich sehr groß. Besondere Pflichten treffen öffentliche Arbeitgeber. Geht dem öffentlichen Arbeitgeber die Bewerbung einer fachlich nicht offensichtlich ungeeigneten schwerbehinderten oder dieser gleichgestellten Person zu, muss er diese nach § 165 S. 3 SGB IX zu einem Vorstellungsgespräch einladen. Das Unterlassen einer Einladung zu einem Vorstellungsgespräch stellt nach der Rechtsprechung ein Indiz iSv. § 22 AGG dar, das die Vermutung begründet, dass der/die Bewerber/in wegen seiner/ihrer Schwerbehinderung bzw. Gleichstellung nicht eingestellt wurde. Diese Vermutung kann der Arbeitgeber nach § 22 AGG widerlegen. An die Widerlegung wiederum stellt die Rechtsprechung strenge Anforderungen. Das zeigt exemplarisch eine gerade bekanntgemachte BAG-Entscheidung (Urteil vom 23. Januar 2020 - 8 AZR 484/18, PM 5/20). Der Fall spielt pikanterweise in der Justiz:

Der Kläger bewarb sich Anfang August 2015 mit einer E-Mail auf eine für den OLG-Bezirk Köln ausgeschriebene Stelle als Quereinsteiger für den Gerichtsvollzieherdienst. Die Bewerbung war mit dem deutlichen Hinweis auf seinen Grad der Behinderung von 30 und seine Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen versehen. Der Kläger wurde, obwohl er fachlich für die Stelle nicht offensichtlich ungeeignet war, nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Daraufhin hat der Kläger mit seiner Klage vom beklagten Land eine Entschädigung iHv. 7.434,39 Euro verlangt. Das beklagte Land NRW hat demgegenüber geltend gemacht, die Bewerbung des Klägers sei aufgrund eines schnell überlaufenden Outlook-Postfachs und wegen ungenauer Absprachen unter den befassten Mitarbeitern nicht in den Geschäftsgang gelangt. Schon aus diesem Grund sei der Kläger nicht wegen der (Schwer)Behinderung bzw. Gleichstellung benachteiligt worden. Das LAG hatte dem Kläger die Hälfte des eingeklagten Betrags zugesprochen. Das BAG bestätigt diese Entscheidung: Der Kläger habe Anspruch auf eine Entschädigung aus § 15 Abs. 2 AGG. Das beklagte Land hätte den Kläger, dessen Bewerbung ihm zugegangen war, nach § 82 Satz 2 SGB IX aF (jetzt § 165 S. 3 SGB IX) zu einem Vorstellungsgespräch einladen müssen. Die Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch begründe die Vermutung, dass der Kläger wegen seiner Gleichstellung mit einer schwerbehinderten Person benachteiligt worden ist. Das beklagte Land habe diese Vermutung nicht widerlegt. Insoweit könne sich das beklagte Land nicht mit Erfolg darauf berufen, die Bewerbung sei nicht in den Geschäftsgang gelangt. Dass ihm trotz Zugangs der Bewerbung ausnahmsweise eine tatsächliche Kenntnisnahme nicht möglich war, habe das beklagte Land nicht vorgetragen. Auch die Höhe der Entschädigung sei im Ergebnis nicht zu beanstanden.

 

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2 Kommentare

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Dass ihm trotz Zugangs der Bewerbung ausnahmsweise eine tatsächliche Kenntnisnahme nicht möglich war, habe das beklagte Land nicht vorgetragen.

Das scheint in dieser behaupteten Eindeutigkeit aber wohl nicht richtig zu sein. Das Land hat nämlich schon "geltend gemacht, die Bewerbung des Klägers sei aufgrund eines schnell überlaufenden Outlook-Postfachs und wegen ungenauer Absprachen unter den befassten Mitarbeitern nicht in den Geschäftsgang gelangt" (PM 5/20). Das LAG Köln, U. v. 23.8.2018 - 6 Sa 147/18, Rdnr. 38, hatte m. E. noch völlig richtig gesagt, dass quasi Dummheit nicht vor Strafe schützt: "Scheitert die Verwirklichung eines individuellen Anspruchs, dessen Ziel es ist, im öffentlichen Dienst - als Vorbild für den Rest der Arbeitgeber - die Benachteiligungen von Schwerbehinderten zu bekämpfen, an der Größe eines Emailpostfachs, so liegt ein grundlegender Organisationsfehler vor". Solche Dummheiten und dummen Ausreden sollten generell als Entschuldigung ausscheiden und das sollte man auch so sagen und sagen dürfen.

Die LTO-Presseschau:

BAG zur Benachteiligung Schwerbehinderter: Nun schreibt auch community.beck.de (Markus Stoffels) über die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, wonach das Oberlandesgericht Köln einen schwerbehinderten Bewerber zum Vorstellungsgespräch hätte einladen müssen. Dem Kläger steht nun eine Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zu.

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