Verkehrsgerichtstag 2020: Die Empfehlungen!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 31.01.2020
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht1|2406 Aufrufe

Der Verkehrsgerichtstag ist vorbei. Wie immer gibt es am letzten Tage die Empfehlungen der Arbeitskreise. Zu finden im Volltext HIER. Manches ist sicher sinnvoll - manches klingt etwas komisch, wie etwa die Forderung nach einer Prüfbescheinigung für E-Scooterfahrer oder der Wunsch nach Schwerpunktgerichten für Vermögensabschöpfung. Gut finde ich die Aufforderung an den Gesetzgeber, das "Alleinrennen" einmal vernünftig zu regeln und nicht so unklar formuliert, wie derzeit. Wie auch immer - vielleicht darf man die Vorschläge auch gar nicht zu Ernst nehmen. Wenn man sie als "Denkanstöße" versteht, sind sie sicher gut zu gebrauchen. An dieser Stelle einmal die Empfehlungen der für mich interessantesten Arbeitskreise:

 

 

Arbeitskreis I Grenzüberschreitende Unfallregulierung in der EU   Der Arbeitskreis stellt fest, dass sich die im Interesse der Geschädigten geschaffenen europäischen Regulierungssysteme für internationale Verkehrsunfälle bewährt haben. Er sieht aber folgenden Verbesserungsbedarf: 1. Der Schadenregulierungsbeauftragte ist nach Art. 21 Abs. 5 der EUKraftfahrzeughaftpflichtlinie 2009/103/EG berechtigt und verpflichtet, begründete Ansprüche der Geschädigten unabhängig von Vorleistungen des ausländischen Versicherers zu befriedigen. Für den Fall, dass der ausländische Versicherer dem Schadenregulierungsbeauftragten die Aufwendungen nicht erstattet, sollte der europäische Gesetzgeber eine Garantiehaftung der Entschädigungsstelle schaffen. 2. Der Zugang zu Informationen über das Schadensersatzrecht in den EUMitgliedstaaten ist zu verbessern. Zu diesem Zweck sollte die EU-Kommission der Rechtspraxis Hilfsmittel zur Ermittlung des ausländischen Schadensersatzrechts bereitstellen (im Anschluss an den 47. VGT 2009). 3. Der Arbeitskreis fordert, zur Unterstützung der Prozessgerichte bei der Anwendung ausländischen Straßenverkehrs- und Schadensrechts ein System nach dem Vorbild der Verbindungsrichter des Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen zu schaffen. 4. Die unmittelbare Beweisaufnahme durch das Prozessgericht im Ausland sollte erleichtert werden (z.B. durch erweiterte Zulassung der Vernehmung durch Videokonferenz). 5. Zur Durchführung von Gerichtsverfahren bedarf es einer Klarstellung der Abgrenzung von materiellem und prozessualem Recht (z.B. Beweisanforderungen, Ehegatte als Zeuge). 6. Die in einigen Mitgliedstaaten bestehenden unangemessen kurzen Verjährungsfristen für Schadensersatzansprüche können bei internationalen Verkehrsunfällen die Durchsetzung der Ansprüche der Geschädigten gefährden. Der Arbeitskreis fordert daher bei der Überarbeitung der EU-Kraftfahrzeughaftpflichtrichtlinie für die Verjährung des Direktanspruchs eine Mindestfrist von drei oder vier Jahren vorzuschreiben. 
 
Arbeitskreis II Abschied vom fiktiven Schadensersatz?     1. Der Verkehrsgerichtstag hält an seiner Auffassung, dass der Geschädigte seine durch einen Verkehrsunfall verursachten Sachschäden fiktiv abrechnen darf, weiterhin fest (nahezu einstimmig). 2. Die geänderte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur fiktiven Abrechnung von Mängelbeseitigungskosten im Werkvertragsrecht soll auf die Abrechnung von Verkehrsunfallschäden nicht übertragen werden (nahezu einstimmig). 3. Die Rechtsprechung sollte auch weiterhin Fehlentwicklungen und Missbrauchsanreizen im Zusammenhang mit der fiktiven Sachschadensabrechnung bei Verkehrsunfällen entgegenwirken. Einer Änderung der gesetzlichen Grundlage bedarf es insoweit nicht (mit großer Mehrheit). 4. Die Rechtsprechung zur Verweisung auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit bei fiktiver Schadensabrechnung (Werkstattverweis) stellt sich in der Praxis als kompliziert, wenig transparent und für alle Beteiligten sehr aufwändig dar. Der Bundesgerichtshof wird daher gebeten zu überprüfen, ob der Schadensminderungsverpflichtung des Geschädigten bei fiktiver Abrechnung nicht anders nachgekommen werden kann (mit Mehrheit).     
Arbeitskreis III Aggressivität im Straßenverkehr     1. Aggressive Verhaltensweisen im Straßenverkehr gefährden - auch aufgrund neuer Mobilitätsformen - die Verkehrssicherheit. Zur Reduzierung aggressiver Verhaltensweisen sind aufeinander abgestimmte Maßnahmen und ein Miteinander der für die Verkehrssicherheit verantwortlichen Institutionen erforderlich. 2. Im Rahmen einer kontinuierlichen schulischen Verkehrserziehung soll aggressives Verhalten im Straßenverkehr unter sozialen und psychologischen Gesichtspunkten behandelt werden. Diesem Thema ist in den Lehrplänen aller Schulformen deutlich höheres Gewicht beizumessen. 3. Zur Vermeidung aggressiver Verhaltensweisen im Straßenverkehr sollten geeignete präventive Programme (z.B. „Crash-Kurs NRW“, „Peer-Programme“) sowie Interventionsmaßnahmen für auffällige, aggressive Verkehrsteilnehmer (z.B. Anti-Aggressions-Maßnahmen) umgesetzt, weiterentwickelt und evaluiert werden. 4. Die bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten als Reaktion auf aggressive Verhaltensweisen im Straßenverkehr müssen konsequent ausgeschöpft werden. Dazu gehören insbesondere die Beachtung von Mitteilungspflichten (§ 2 Abs. 12 StVG, Nr. 45 MiStra), die Anordnung von Verkehrsunterricht (§ 48 StVO), Seminarteilnahme (§ 153a Abs. 1 Nr. 7 StPO) sowie die Fahrtenbuchauflage (§ 31a StVZO). 5. Die Einführung eines eigenen, punktbewehrten Bußgeldtatbestandes für „aggressives Posen“ im Straßenverkehr wird empfohlen. 6. Der Gesetzgeber wird aufgefordert, Fahrerlaubnisbehörden ein Recht zur Einsicht in das Bundeszentral- / Erziehungsregister einzuräumen. Sofern bei einer Straftat, die im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung steht, Anhaltspunkte für hohes Aggressionspotenzial der beschuldigten Person vorliegen, ist durch die Fahrerlaubnisbehörde die Kraftfahreignung mittels MPU zu überprüfen. 7. Im Hinblick auf den ungenauen Wortlaut des Tatbestandes für den „Alleinraser“ (§ 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB) genügt eine restriktive Auslegung nicht, um das strafbare Verhalten von ordnungswidrigen Geschwindigkeitsüberschreitungen abzugrenzen. Es wird empfohlen, diese Norm so abzuändern, dass der erforderliche Renncharakter des Verhaltens deutlich wird.     Arbeitskreis IV Praxistauglichkeit des Bußgeldverfahrens     1. Der Arbeitskreis empfiehlt mit überwältigender Mehrheit, die Anforderungen an das standardisierte Messverfahren sowie das umfassende Einsichtsrecht in alle Daten und Messunterlagen zu kodifizieren. 2. Die obligatorische Beteiligung der Staatsanwaltschaft im Zwischenverfahren soll abgeschafft werden. 3. Der Arbeitskreis empfiehlt die Einrichtung von Schwerpunktgerichten für Sonderbereiche wie z. B. Vermögensabschöpfung, Gefahrgut- oder Fahrpersonalrecht. 4. Bußgeldverfahren sollen gegen Auflagen eingestellt werden können. 5. Nach erfolgreicher Absolvierung einer verkehrstherapeutischen Nachschulung soll von einem Fahrverbot ganz oder teilweise abgesehen werden können. 6. Zur Vermeidung von Fehlurteilen soll die Rechtsbeschwerde wegen übersehener Verfahrenshindernisse generell zugelassen werden. Ein Verstoß gegen das faire Verfahren ist wie ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör zu würdigen. Außerdem sollen die Oberlandesgerichte Verfahren mit grundsätzlicher Bedeutung stets an den Bundesgerichtshof vorlegen können. Der Verfolgungsbehörde soll nur ein Rechtsmittel zustehen, wenn sie an der Hauptverhandlung teilgenommen hat. 7. Der Arbeitskreis regt an, beim Kraftfahrtbundesamt eine zentrale, tagesaktuell geführte Fahrverbotsdatei zu führen. 
  Arbeitskreis V Elektrokleinstfahrzeuge   1. Der Arbeitskreis stellt fest, dass in vielen Bereichen die für die Nutzung von Elektrokleinstfahrzeugen geltenden Regeln zu wenig bekannt sind beziehungsweise nicht hinreichend beachtet werden. Dieses gilt insbesondere für die Frage der geltenden Promillegrenzen, der zu nutzenden Verkehrsflächen und der zulässigen Fahrzeuge. Der Arbeitskreis setzt sich daher nachdrücklich für mehr Öffentlichkeitsarbeit, vor allem durch Information und Aufklärung auch durch Verleihfirmen, ein. 2. Der Arbeitskreis hält einen Ausbau der für die Nutzung der Elektrokleinstfahrzeuge erforderlichen Infrastruktur für unabdingbar, insbesondere der Radverkehrsinfrastruktur. 3. Der Arbeitskreis fordert eine verbindliche Ausrüstung künftiger einspuriger, im Stehen gefahrener Elektrokleinstfahrzeuge mit Fahrtrichtungsanzeigern. 4. Der Arbeitskreis hält zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Legalisierung weiterer Elektrokleinstfahrzeuge, insbesondere ohne Lenkstange, für nicht sinnvoll. Er empfiehlt eine weitere Beobachtung unter Berücksichtigung der Erfahrungen im Ausland. 5. Der Arbeitskreis stellt fest, dass für die Verkehrssicherheit eine effektive Verfolgung von Verkehrsverstößen erforderlich ist. Zu diesem Zweck muss auch gewährleistet sein, dass die Verleihfirmen die dazu notwendigen Nutzerdaten erfassen und den Verfolgungsbehörden zur Verfügung stellen. 6. Der Arbeitskreis hält die derzeitige Abstellpraxis der Leih-E-Scooter für nicht akzeptabel. Er ist der Auffassung, dass es verbindlicher Vorgaben für Abstellplätze bedarf. Der Arbeitskreis fordert, eine bundeseinheitliche Regelung zu schaffen. 7. Der Arbeitskreis setzt sich mehrheitlich für die Einführung einer Prüfbescheinigung zum Führen eines Elektrokleinstfahrzeuges als Kraftfahrzeug ein. 
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Die LTO-Presseschau:

VGT: Zu den Beschlüssen des Verkehrsgerichtstages berichten lto.de, community.beck.de (Carsten Krumm) und Samstags-FAZ (Reinhard Bingener). Die in Goslar versammelten Experten sprachen sich etwa für einen eigenen, punktebewehrten Bußgeldtatbestand des "aggressiven Fahrens" aus.

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