AG Villingen-Schwenningen legt dem BVerfG vor: "Alleinrennen = Verfassungsgemäß?"

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 02.02.2020
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht3|4360 Aufrufe

Oftmals sind amtsgerichtliche Vorlagen ans BVerfG eher humoresk. Ich erinnere mich noch an eine Vorlage des "Handyverstoßes", der der Misserfolg bereits auf die Stirn geschrieben stand. Beim so genannten "Alleinrennen" sieht das anders aus - ich kann da das AG Villingen-Schwenningen gut verstehen. Hier nur die Leitsätze:

 

1. § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB ist verfassungswidrig unbestimmt.

 2. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG kann sowohl aus einer Verletzung des Normenklarheitsgebots als auch des Grundsatzes der Gewaltenteilung resultieren. Dabei ist der Gesetzgeber in der Pflicht, die Grenzen der Strafbarkeit selbst zu bestimmen und sie nicht den Gerichten zu überlassen. Beide Aspekte des Art. 103 Abs. 2 GG sind vorliegend verletzt.

 3. Art. 103 Abs. 2 GG verpflichtet die Gerichte dazu, durch eigene Auslegung zur Normklarheit beizutragen (Präzisierungsgebot). Dabei ist es den Gerichten verboten, Tatbestandsmerkmale von Normen zu verschleifen oder deren Grenzen zu verwischen (Verschleifungs-/Entgrenzungsverbot). Sollte eine Auslegung nicht möglich sein - wie dies vorliegend der Fall ist - mit der einzelne Tatbestandselemente trennscharf abgegrenzt werden können, so verletzt die Norm das Normenklarheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG.

 4. Während die Tatbestandsmerkmale „Nicht angepasste Geschwindigkeit“, „grob verkehrswidrig“, und eingeschränkt „rücksichtslos“ noch voneinander abgegrenzt werden können, so ist das Tatbestandsmerkmal „um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen“ unter Anwendung anerkannter Auslegungsmethoden nicht bestimmbar.

AG Villingen-Schwenningen BeckRS 2020, 167

 

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3 Kommentare

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Der Beschluss hat zu Recht einige Gedanken der aktuellen Diskussion aufgegriffen, wie sie auch im Beschluss des KG Berlin vom KG Berlin vom 15. April 2019 – (3) 161 Ss 36/19 (25/19) aufblitzen. Das KG meint, dass im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 Abs. 2 GG) eine zurückhaltende Anwendung des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB angezeigt sei, hat aber die Frage nicht dem BVerfG vorgelegt, sondern die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 4. Dezember 2018 nach § 349 Abs. 2 StPO mit kürzestmöglicher Begründung verworfen, weil es der Täter in dem Fall offenbar darauf angelegt hatte, den Straftatbestand, wie lax man ihn auch immer auslegen wollte, zu erfüllen.

Tatsächlich wäre ein konkreterer Tatbastand besser gewesen. M.E. können 40 km/h in einer Wohnstraße durchaus als Alleinrennen durchgehen. Aber war das gewollt? Man könnte ja auch in das Gesetz reinschreiben, wann in einer bestimmten Situation ein "Alleinrennen" vorliegen soll (z.B. Autobahn ab Tempo 300 km/h, Landstraße ab Tempo 140 km/h, innerorts ab Tempo 80, In T 30-Zone ab Tempo 60, in Wohnstraße ab Tempo 30 km/h, bei Geschwindigkeitsbegrenzungen durch Vz: Höchstgeschwindigkeit plus 30 km/h). Dabei kann man sich darauf stützen, dass die Straßen in der Regel so gebaut werden, dass man sie mit der geplanten Geschwindigkeit plus 20 km/h noch recht sicher nutzen kann, wenn keine anderen Verkehrsteilnehmer vorhanden sind. Darüber wird es in jedem Fall mit km/h überproportional gefährlicher.

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Zum Verfahren: Sehr zu begrüßen, dass ein Amtsgericht seine Vorlagepflicht hier einmal ernst nimmt. Wenn, was nicht selten vorkommt, die Anrufung des BVerfG durch eine Partei erfolgt und diese bestenfalls auch noch gewinnt, ohne dass eine Vorinstanz vorgelegt hätte, zeigt das m. E. schon auf, dass die Vorinstanzen ihre Aufgabe nicht optimal erfüllt haben.

Zur Sache: Die Norm ist alles andere als glücklich formuliert. Ob sie dadurch verfassungswidrig ist... schwierig. Vielleicht ist sie verfassungsgemäß, wenn man sie rettend sehr eng auslegt. Dann aber verliert sie vielleicht weitgehend ihren Sinn. Beste Reaktion wäre m. E., dass der Gesetzgeber nachflickt, bevor die Justiz es mal wieder retten muss.
Schwierig am Grundkonzept der Norm ist m. E., dass ganz entscheidend auf das Motiv der Tat abgestellt wird. Wer  rücksichtslos, grob verkehrswidrig usw. mit 200km/h durch eine Spielstraße rast, um seine Stimme für die Europawahl abzugeben, handelt vielleicht nur ordnungswidrig. Wer um des Rasens willen rast, soll nach dem StGB bestraft werden. Das mag man strafpolitisch noch mittragen. Aber für die Praxis wirft dieser Ansatz m. E. zu große Probleme auf. Und ich persönlich habe auch Zweifel, dass die Abgrenzung nach Motivlage zu gerechten Ergebnissen führt. Mich erinnert das an die Probleme mit dem moralisch ebenfalls überfrachtenen § 211 StGB.

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