Die gute Nachricht - in Berlin braucht es keinen nächtlichen Eildienst in Strafsachen! Aber ich warte mal, bis das BVerfG "dazwischenhaut"

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 12.02.2020
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht9|5025 Aufrufe

Manchmal staunt man nicht schlecht. Noch im letzten Jahr erklärte das BVerfG den durchaus erstaunten deutschen Juristinnen und Juristen (vereinfacht formuliert): Der Richtervorbehalt ist toll! Er ergibt sich aus dem GG! Und das GG gilt auch nachts! Viele fanden das überraschend. Das BVerfG forderte daher auch einen nächtlichen Eildienst, wenn es Bedarf gibt. Und der sei zu prüfen - vor allem an den Gerichten am Sitz der StA! Das BerfG gab den Ball so zurück an die Amtsgerichte. Keinen wundert es, was die Amtsgerichte in ganz Deutschland daraufhin machten: Sie ließen die Luft aus den ihnen zugespielten Bällen. Oder anders: Keines (!) richtete daraufhin einen nächtlichen Eildienst ein. Ich tippe einmal: Das BVerfG hat sich die Wahrnehmung des "Beurteilungs- und Prognosespielraums" durch die deutschen Amtsgerichte anders vorgestellt. Und noch kurioser: In Berlin wurde der nächtliche Strafrechtseildienst auch noch Anfang 2020 eingestellt. Erstaunlich. Ich hoffe, das liegt etwa daran (Vorsicht: Klischee!), dass am Görlitzer Park die Dealer mittlerweile einfach früher nach Hause gehen, als in vergangenen Jahren. Kein Mensch muss daher nachts mehr mit Bedarf an richterlichen Eilentscheidungen rechnen. Mich beruhigt das. Meine eigenen Berlinerfahrungen haben mich zwar scheinbar anderes gelehrt - aber vielleicht wurde mir am Görli in den letzten Jahren tatsächlich immer nur Rasen angeboten, nicht aber meines vorurteilsbeladenen Denkens entsprechend "Cannabis". Ich befürchte aber, dass das BVerfG da ganz wenig Humor verstehen wird. Dort wird sicher in naher Zukunft ganz schnell und ganz scharf entschieden werden - wie anders sollen die Richterinnen und Richter dort auch reagieren, wenn nirgends in Deutschland nachts dem GG Geltung verschafft wird....

 

Ach so. Zur Erinnerung hier nochmals die Leitsätze des BVerfG aus dem letzten Jahr

 

 

Aus Art. 13 GG ergibt sich die Verpflichtung der staatlichen Organe, dafür Sorge zu tragen, dass die effektive Durchsetzung des grundrechtssichernden Richtervorbehaltes gewährleistet ist. Damit korrespondiert die verfassungs-rechtliche Verpflichtung der Gerichte, die Erreichbarkeit eines Ermittlungs-richters, auch durch die Einrichtung eines Bereitschaftsdienstes, zu sichern.

Zu den Anforderungen an einen dem Gebot der praktischen Wirksamkeit des Richtervorbehalts entsprechenden richterlichen Bereitschaftsdienst gehört die uneingeschränkte Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters bei Tage, auch außerhalb der üblichen Dienststunden. Die Tageszeit umfasst dabei ganzjährig die Zeit zwischen 6 Uhr und 21 Uhr. Während der Nachtzeit ist ein ermittlungsrichterlicher Bereitschaftsdienst jedenfalls bei einem Bedarf einzurichten, der über den Ausnahmefall hinausgeht.

Ob und inwieweit ein über den Ausnahmefall hinausgehender Bedarf an nächtlichen Durchsuchungsanordnungen die Einrichtung eines ermittlungs-richterlichen Bereitschaftsdienstes zur Nachtzeit erfordert, haben die Gerichtspräsidien nach pflichtgemäßem Ermessen in eigener Verantwortung zu entscheiden. Für die Art und Weise der Bedarfsermittlung steht ihnen ein Beurteilungs- und Prognosespielraum zu.

BVerfG, Beschluss vom 12.03.2019 - 2 BvR 675/14, NJW 2019, 1428 (m. Anm. Krumm)

 

   

 

Das BVerfG gibt dann noch in den Gründen folgende Hinweise:

Für den ermittlungsrichterlichen Aufgabenbereich obliegt es daher den Präsidien der Amtsgerichte am Sitz der Staatsanwaltschaft oder ihrer Zweigstelle (vgl. § 162 Abs. 1 Satz 1 StPO) oder – im Falle der Bereitschaftsdienstkonzentration nach § 22c GVG – dem Präsidium des Landgerichts im Einvernehmen mit den Präsidien der einbezogenen Amtsgerichte (vgl. § 22c Abs. 1 Satz 4 GVG), eine Prognoseentscheidung darüber zu treffen, ob und inwieweit in dem betroffenen Gerichtsbezirk ein über den Ausnahmefall hinausgehender praktischer Bedarf für die Einrichtung eines nächtlichen ermittlungsrichterlichen Bereitschaftsdienstes besteht (vgl. Kissel/Mayer, GVG, 9. Aufl. 2018, § 21e Rn. 136 und § 22c Rn. 1).

 

Ein plausibler Erfahrungswert kann der Umstand sein, dass in Großstädten zur Abend- und Nachtzeit signifikant mehr eilbedürftige Anträge auf Erlass von Durchsuchungsanordnungen anfallen als in ländlichen Gerichtsbezirken (vgl. einerseits BVerfGK 9, 287 <290> zur Großstadt München und andererseits BVerfGK 2, 176 <178> zum Land Brandenburg). Auch können die Grenznähe eines Gerichtsbezirks, wenn sie erfahrungsgemäß in größerem Umfang zu grenzüberschreitender Kriminalität führt, oder der Umstand, dass sich im Gerichtsbezirk ein bekannter Kriminalitätsschwerpunkt befindet, darauf schließen lassen, dass zur Nachtzeit ein über den Ausnahmefall hinausgehender Bedarf an Durchsuchungsanordnungen besteht. Ein solcher erhöhter Bedarf kann schließlich zeitlich begrenzt während der Dauer von Großereignissen auftreten (vgl. z.B. BVerfGK 7, 87 <102> zur Erforderlichkeit der Einrichtung eines richterlichen Eildienstes zur Nachtzeit aufgrund von zu erwartenden gefahrenabwehrrechtlichen Masseningewahrsamnahmen anlässlich eines Castor-Transports). Maßgeblich sind stets die spezifischen Verhältnisse im einzelnen Gerichtsbezirk, so dass sich generelle Vorgaben verbieten.

 

 

 

 

 

 

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9 Kommentare

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Das ist kein Berliner Spezifikum. In der Hauptstadt eines süddeutschen Bundeslandes wurde ebenfalls der seit fast 20 Jahren bestehende nächtliche richterliche Bereitschaftsdienst zum 01.01.2019 abgeschafft.

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Gut dass die Richter sich nicht mehr jeden Blödsinn gefallen lassen, den die weltfremden Elfenbeinturmbesetzer in Karlsruhe meinen, aus dem GG ableiten zu müssen.

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Es ist ja genau die Erfüllung der vom BVerfG gestellten Aufgabe, das an den PRAKTISCHEN ERFORDERNISSEN auszurichten. Und die sehen eben anders aus, als die hohen Herren sich das im Elfenbeinturm vorstellen. Dass bisher bestehende Dienste nicht mehr erforderlich sind, lässt sich auch aus der Änderung hinsichtlich der Blutentnahmen erklären. Also, Herr Krumm: Cool bleiben.

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Ob und inwieweit ein über den Ausnahmefall hinausgehender Bedarf an nächtlichen Durchsuchungsanordnungen die Einrichtung eines ermittlungsrichterlichen Bereitschaftsdienstes zur Nachtzeit erfordert, haben die Gerichtspräsidien nach pflichtgemäßem Ermessen in eigener Verantwortung zu entscheiden. Für die Art und Weise der Bedarfsermittlung steht ihnen ein Beurteilungs- und Prognosespielraum zu.

BVerfG, Beschluss vom 12.03.2019 - 2 BvR 675/14, NJW 2019, 1428 (m. Anm. Krumm)

Die Diskussion, was die Justiz zu tun pflegt, wenn sie nach "pflichtgemäßem Ermessen" handelt, hatten wir, glaube ich, schon mal. 

Aus der PM:

Eine daraufhin durchgeführte Auswertung der derzeit beim Amtsgericht Tiergarten bestehenden nächtlichen Rufbereitschaft zwischen 21:00 Uhr abends und 6:00 Uhr morgens hat ergeben, dass dieser Dienst, der schon nach der Änderung des § 81 a StPO betreffend Blutentnahmen im Jahre 2017 deutlich weniger frequentiert wurde, jedenfalls für Durchsuchungsanordnungen in der Nachtzeit selten öfter als einmal pro Nacht angerufen wurde...

Hierbei handelt es sich offensichtlich um einen "über den Ausnahmefall hinausgehenden praktischen Bedarf" iSd Bundesverfassungsgerichts, es sei denn, man sähe einen Bedarf deshalb nicht, weil er der Richter ohnehin nur als "Nick-Richter" alles abnickt, was Ihm Staatsanwaltschaft und Polizei anträgt...

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"Selten öfter als einmal pro Nacht" klingt danach, als wäre eine Durchsuchungsanordnung einmal in der Nacht die Regel, ginge also "über den Ausnahmefall hinaus" . Vielleicht war das aber auch nur vom AG Tiergarten falsch formuliert.

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Warum sollte das flasch formuliert sein? Die dort meinen offenbar sprichwörtlich, "ein Mal ist kein Mal", was im Rechtssinne aber eben nicht zutrifft, sondern einen echten Bedarf bezeichnet.

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Waere ja mal interessant, was der Steuerzahler dazu sagt, wenn ein volles Richterpensum verballert wird, um einen Anruf zur Nachtzeit entgegenzunehmen.

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