BAG: Wegezeiten nicht mitbestimmungspflichtig

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 20.02.2020
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|2289 Aufrufe

Die Arbeitgeberin - eine Tochtergesellschaft der Berliner Verkehrsbetriebe BVG - streitet mit dem bei ihr gebildeten Betriebsrat darüber, ob die Wegezeiten der Bus- und U-Bahn-Fahrer von ihrer Wohnung zur (ersten) Einsatzstelle mitbestimmungspflichtig sind. Die Dienste der Omnibusfahrer beginnen oder enden bei entsprechendem Umlauf der Buslinie auf dem Betriebshof, anderenfalls an festgelegten Ablöseorten (Einsatz- und Aussetzorte) auf der jeweiligen Strecke. Vergleichbares gilt für die Dienste der U-Bahnfahrer.

Das Fahrpersonal führt auf dem Weg von und zur Arbeit diverse Ausweisdokumente sowie ein von der Arbeitgeberin gestelltes Smartphone bei sich, dessen private Nutzung gestattet ist. Im Übrigen ist es verpflichtet, den Dienst mit bestimmten Arbeitsmitteln anzutreten, welche die Fahrer mangels von der Arbeitgeberin vorgehaltener Rüststellen auf den Wegen zur und von der Arbeit bei sich tragen. Bei den U-Bahnfahrern umfasst das Fahrer-, Tor- und Dreikantschlüssel, Diensttaschenlampe, Warnweste, Arbeitsschutzhandschuhe und Signalpfeife; bei den Omnibusfahrern ein Fahrerabrechnungsmodul, einen Geldwechsler, 30,00 Euro Wechselgeld, Ersatzfahrscheinrollen, Dreikant-/Vierkant- und Toilettenschlüssel sowie Fahrtbericht und Unfallformular.

Der Betriebsrat steht auf den Standpunkt, die Wegezeiten des Fahrpersonals vom und zum Arbeitsort müssten in die Dienstplangestaltung einfließen, weil keine Möglichkeit bestehe, die von der Arbeitgeberin zum Dienstantritt verlangten Betriebsmittel innerbetrieblich zu verwahren. Die Arbeitgeberin begehrt die gerichtliche Feststellung, dass die Wegezeiten von der Wohnung oder dem jeweiligen Aufenthaltsort der Beschäftigten des Fahrpersonals zum Einsatz-/Ablöseort und vom Aussetz-/Ablöseort zur Wohnung oder dem jeweiligen Aufenthaltsort der Beschäftigten des Fahrpersonals keine Arbeitszeit im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne sind und nicht der Mitbestimmung unterliegen. Der Antrag hatte in allen drei Instanzen Erfolg:

1. Der Umfang des - nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG mitbestimmt zu verteilenden - Arbeitszeitvolumens unterliegt nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats.

2. Bei den zeitlichen Aufwänden für das selbstbestimmte Zurücklegen von Wegen zwischen der Wohnung (oder einem anderen selbst gewählten Aufenthaltsort) des Arbeitnehmers zur Arbeitsstelle und zurück handelt es sich nicht um Arbeitszeit im betriebsverfassungsrechtlichen Sinn. Diese Zeiten gehören zum außerdienstlichen Bereich privater Lebensführung. Sie sind in ihrem zwangsläufig variierenden Volumen von den individuellen Entscheidungen des Arbeitnehmers bestimmt und auch keiner Pauschalierung zugänglich.

3. Nichts Anderes gilt, wenn ein Arbeitnehmer während dieser Wege betriebliche Arbeitsmittel bei sich führt (was im zu entscheidenden Streitfall durch das Fehlen betrieblicher Rüststellen bedingt war) oder Dienstkleidung trägt (was im zu entscheidenden Streitfall ohnehin nicht zwingend vorgegeben war).

BAG, Beschl. vom 22.10.2019 - 1 ABR 11/18, BeckRS 2019, 36551

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