Kammergericht: Alleinrennen-Tatbestand ist verfassungsgemäß / Es kommt nicht nur auf die fahrzeugbezogene Höchstgeschwindigkeit an

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 02.03.2020
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht3|3238 Aufrufe

Vor einigen Tagen hatte ich im Blog das AG Villingen-Schwenningen, das der - wohl gut vertretbaren - Ansicht ist, § 315d StGB sei hinsichtlich des Alleinrennens verfassungswidrig. Das Kammergericht sieht dies derzeit ganz anders - hier die Leitsätze:

 

1. Die Regelung des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB verstößt bei einschränkender Auslegung des Tatbestandes nicht gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG. (Rn. 6)

 2. Bloße Geschwindigkeitsüberschreitungen sind nicht von der Strafbarkeit nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB erfasst. Zu der geforderten Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, müssen die Urteilsgründe konkrete Feststellungen zu den Umständen sowie dem Vorstellungsbild des Täters enthalten, die sein Verhalten von bloßen bußgeldbewehrten Verkehrsverstößen abheben und diesen den Charakter eines nachgestellten Kraftfahrzeugrennens geben. (Rn. 14)

 3. Im Rahmen der Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, wird auf die relativ höchstmöglich erzielbare Geschwindigkeit abgestellt, die sich aus der Zusammenschau der fahrzeugspezifischen Beschleunigung bzw. Höchstgeschwindigkeit, des subjektiven Geschwindigkeitsempfindens, der Verkehrslage und der Witterungsbedingungen ergibt; nicht maßgeblich ist dagegen, ob der Täter die Leistungsfähigkeit seines Fahrzeuges vollständig ausreizt (Anschluss an KG BeckRS 2019, 8319; OLG Stuttgart BeckRS 2019, 17075; LG Berlin BeckRS 2019, 5484). (Rn. 29)

KG BeckRS 2019, 35362

 

 

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3 Kommentare

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Der Beschluss des KG vom 20.12.2019 - (3) 161 Ss 134/19 (75/19) ist älter als der Vorlagebeschluss des AG Villigen-Schwennigen (16.1.2020) und kann diesen daher überhaupt nicht berücksichtigen. Im übrigen hat das KG wie schon im April (Beschluss des KG Berlin vom 15. April 2019 – (3) 161 Ss 36/19 (25/19)) in Kenntnis der Diskussion um die Bestimmtheit eine einschränkende Auslegung des Tatbestandes des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB angemahnt. Dass es im April die Verurteilung trotzdem für richtig hielt, hat sich dieser Angeklagte offenbar selbst zuzuschreiben, weil er mal so richtig die Sau rausgelassen hatte. Der Beschluss vom Dezember dürfte mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit im Ergebnis ein für den Angeklagten relativ glückliches Ende mit Bussgeld und Fahrverbot vorbereiten.

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Im Rahmen der Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, wird auf die relativ höchstmöglich erzielbare Geschwindigkeit abgestellt, die sich aus der Zusammenschau der fahrzeugspezifischen Beschleunigung bzw. Höchstgeschwindigkeit, des subjektiven Geschwindigkeitsempfindens, der Verkehrslage und der Witterungsbedingungen ergibt...

Wenn das nicht unbestimmt im Sinne des Rechtsstaatsprinzips ist...

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Hier aktuell etwas Neues zum Thema "Raserparagraph":

"Autoraser müssen vorläufig Führerschein abgeben

Das LG Köln hat zwei Autorasern vorläufig die Fahrerlaubnis entzogen, weil eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie sich wegen Verstoßes gegen § 315d StGB (Verbotene Kraftfahrzeugrennen) strafbar gemacht haben und ihnen deshalb im Hauptverfahren die Fahrerlaubnis endgültig entzogen wird.

Die beiden Ermittlungsverfahren richten sich gegen zwei 22-jährige männliche Beschuldigte. Im ersten Fall ist der Beschuldigte verdächtig, am 24.01.2020 gegen 9.30 Uhr in Bergisch Gladbach ein Kraftfahrzeug mit erheblich abgefahrenen Reifen geführt und dieses bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h auf ca. 72 km/h beschleunigt zu haben, obwohl sich in unmittelbarer Nähe ein Gymnasium und eine Schule befinden. In diesem Bereich sind zudem die Verkehrszeichen 136 (Kinder), 276 (Überholverbot) und 138 (Achtung Radfahrer) angebracht. Der Beschuldigte im zweiten Fall ist verdächtig, am 18.12.2020 gegen 21.30 Uhr in Köln mit mindestens 110 km/h (Tachoablesung) befahren und dabei mehrfach die Spur gewechselt zu haben, um die Lücken zwischen anderen Fahrzeugen für ein schnelleres Vorankommen zu nutzen. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit in diesem Bereich beträgt 50 bzw. 70 km/h.
Das Amtsgericht hatte eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis abgelehnt.

Das LG Köln auf die Beschwerden der Staatsanwaltschaft den Beschuldigten die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen.

Das Landgericht sah es als wahrscheinlich an, dass sich die Beschuldigten nach der neueren Vorschrift des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB (Verbotene Kraftfahrzeugrennen) strafbar gemacht haben, weil sie sich als Kraftfahrzeugführer im Straßenverkehr mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt haben, um eine möglichst hohe Geschwindigkeit zu erzielen. Das Landgericht ist in beiden Fällen davon ausgegangenen, dass die Fahrer bei den dargestellten Geschwindigkeiten jeweils nicht in der Lage waren, ihr Fahrzeug ständig sicher zu beherrschen.

Den Beschuldigten war daher nach Auffassung des Landgerichts die Fahrerlaubnis vorläufig zu entziehen, weil eine hohe Wahrscheinlichkeit bestehe, dass ihnen im Hauptverfahren die Fahrerlaubnis (endgültig) entzogen wird, § 69 StGB. Begehe nämlich jemand eine Tat nach § 315d StGB, gehe das Gesetz regelmäßig davon aus, dass der Täter als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen sei, § 69 Abs. 2 Nr. 1a StGB.

Beide Beschlüsse (Beschl. v. 26.02.2020 - 101 Qs 7/20 und Beschl. v. 04.03.2020 - 101 Qs 8/20) sind rechtskräftig. Es ist davon auszugehen, dass die Hauptverfahren vor den örtlich zuständigen Amtsgerichten in Bergisch Gladbach und Köln stattfinden werden, wenn die Staatsanwaltschaft Anklage gegen die Beschuldigten erhebt." (Pressemitteilung des LG Köln Nr. 6/2020 v. 06.03.2020 zu LG Köln, B. v. 04.03.2020 - 101 Qs 8/20, 101 Qs 7/20 - juris)

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