Gastbeitrag: "Tempo 10-Zone"

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 12.03.2020
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht2|3363 Aufrufe

Dr. Frank Bokelmann hatte mir bereits in der Vergangenheit ein paarmal kleinere Darstellungen als "Gastbeitrag" zugesandt. Hier mal wieder etwas:

 

Nun gibt es aber schon wieder ein neues Unterthema zum ewigen Thema "zulässige Verkehrszeichen", das schon vor 10 Jahren einige Spuren in der StVO hinterließ.

„Das Verkehrsschild "Tempo 10-Zone" ist kein zulässiges Verkehrszeichen“, entschied das OVG Berlin mit Urteil vom 21. November 2019, 1 B 16.17. Damit hob es ein anders lautendes Urteil des VG Berlin vom aus dem Mai 2015 auf.

http://www.gerichtsentscheidungen.berlin-brandenburg.de/jportal/?quelle=...

Das Urteil, nach dem ausschließlich Tempo 30- und Tempo 20-Zonen eingerichtet werden dürfen, dürfte auch eine Reihe von Kommunen kalt erwischen, da diese Zonen häufig in dicht befahrenen schmalen Innenstadtgassen mit hohem Fußgängeraufkommen (z.B. Bahnhofumfeld) eingerichtet werden, bei denen die Auszeichnung als verkehrsberuhigter Bereich mit Zeichen 325.1 nicht in Betracht kommt, weil die Fußgänger auf die Gehwege verwiesen werden sollen. In Berlin jedenfalls war das Urteil Ende November, als es schriftlich noch nicht vorlag, ein großes Thema in den Medien (Pressemitteilung des Gerichts: https://www.berlin.de/gerichte/oberverwaltungsgericht/presse/pressemitte... )

Dank der wasserdichten Begründung in den Rn. 23 – 26 dürfte das Urteil aber bis zu einer korrigierenden Änderung der StVO Wirkung über Berlin hinaus beanspruchen können:

 

„23   Nach dem Wortlaut des § 45 Abs. 4 Halbsatz 1 StVO dürfen die Straßenverkehrsbehörden „den Verkehr nur durch Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen regeln und lenken“. Was unter dem Oberbegriff „Verkehrszeichen“ zu verstehen ist, wird in der Straßenverkehrsordnung abschließend definiert. Verkehrszeichen sind allein die in § 39 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 StVO genannten Gefahrzeichen (§ 40 StVO), Vorschriftzeichen (§ 41 StVO) und Richtzeichen (§ 42 StVO) sowie Zusatzzeichen. Letztere treffen für sich allein keine eigenständige Regelung, sondern sind regelmäßig unmittelbar unterhalb derjenigen Verkehrszeichen angebracht, auf die sie sich beziehen (§ 39 Abs. 3 Satz 1 und 3 StVO). Welche Gefahr-, Vorschrift- und Richtzeichen zulässig sind, ist in den Anlagen 1 bis 3 der StVO geregelt (vgl. § 40 Abs. 6, § 41 Abs. 1, § 42 Abs. 2); die Verkehrseinrichtungen (§ 43 Abs. 1 StVO) ergeben sich aus der Anlage 4 (§ 43 Abs. 3 Satz 1 StVO).

24   Den Umfang der zulässigen Abweichungen von den Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen bestimmt § 39 Abs. 9 Satz 1 StVO. Danach können “die in den Anlagen 1 bis 4 abgebildeten Verkehrszeichen … auch mit den im Verkehrszeichenkatalog dargestellten Varianten angeordnet sein“, der vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur im Verkehrsblatt veröffentlicht wird (§ 39 Abs. 1 Satz 2 StVO). Daraus folgt im Umkehrschluss zunächst, dass bei den abgebildeten Verkehrszeichen grundsätzlich keine Abweichungen zulässig sind, denn schon die Formulierung „auch“ lässt auf eine vom Verordnungsgeber angenommene Notwendigkeit zur ausdrücklichen Erweiterung der Normengrundlage schließen, die nicht erforderlich wäre, wenn § 45 Abs. 4 Halbsatz 1 StVO („nur“) nicht abschließend gemeint wäre. Sollen gleichwohl Varianten angeordnet werden, beschränkt § 39 Abs. 9 Satz 1 StVO diese auf die im amtlichen Verkehrszeichenkatalog dargestellten.

25   Das entspricht dem ausdrücklich erklärten Willen des Verordnungsgebers. So heißt es in der Begründung vom 24. Juli 2012 zur Verordnung der Neufassung der Straßenverkehrs-Ordnung zu § 39 Abs. 9 (BR-Drs. 428/12, S. 140) wörtlich: „Zur Wahrung des Ausschließlichkeitsgrundsatzes, d. h. der Verkehrsteilnehmer hat lediglich die Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen zu beachten, die Gegenstand der StVO oder einer Verkehrsblattverlautbarung des für den Verkehr zuständigen Ministeriums sind (…), ist es erforderlich, einen entsprechenden Verweis auf den Verkehrszeichenkatalog und die dort dargestellten Varianten aufzunehmen und auf den Veröffentlichungsort hinzuweisen, damit jeder Verkehrsteilnehmer von den entsprechenden Verkehrszeichen oder Verkehrseinrichtungen Kenntnis erlangen kann“. Dem folgt der aktuelle Verkehrszeichenkatalog des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (Teil 1. Ziffer 1. (1)): „Der VzKat enthält alle Verkehrszeichen (inkl. Zusatzzeichen) und Verkehrseinrichtungen gemäß §§ 39 bis 43 der Straßenverkehrs-Ordnung sowie zulässige Varianten von diesen. … Der VzKat umfasst alle bundesweit eingeführten und damit amtlich zugelassenen Verkehrszeichen“.

26   Schließlich spricht auch die Systematik des amtlichen Verkehrszeichenkatalogs selbst für seinen abschließenden Charakter. Der Verkehrszeichenkatalog enthält nämlich für Verkehrszeichen, die einen variablen Inhalt vorsehen, ausdrückliche Regelungen zu der Art der möglichen Variablen. Teil 1. Ziffer 2. (5) 4. Spiegelstrich bestimmt: „Verkehrszeichen mit einem veränderlichen numerischen Inhalt werden nicht mehr in allen möglichen Varianten dargestellt. Es wird lediglich ein Zeichen abgebildet. Die Varianten werden über die Unternummer festgelegt. Die Unternummer steht dabei für den Zahlenwert im Zeichen“ (vgl. zum Ausschließlichkeitsgrundsatz bereits: BGH, Beschluss vom 25. Mai 1976 – 4 StR 461/75 –, BGHSt 26, 348-351, Rn. 6; ebenso Wern in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 39 StVO, Rn. 1; Hühnermann in: Burman/Heß, Straßenverkehrsrecht, 25. Aufl. 2018; § 39 Rn. 3 m.w.N.; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., 2019, Einl. Rz. 6 und § 39 Rn. 31).“

 

Danke, Herr Dr. Bokelmann!!!!

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2 Kommentare

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Bei einem Wettbewerb in ironischen Bemerkungen beteilige ich mich auch gerne.

Fürchte aber, nicht allen Lesenden (m/w/d)  steht immer der Sinn danach, denn wer in der momentanen Corona-Krise auch noch seine Kinder bespaßen muß bei geschlossenen Schulen und Kitas, der hat vielleicht auch noch ernste Arbeiten außerdem zu verrichten.

O, da habe ich eine tiefgründige Darlegung des Herrn Dieter Nuhr in Erinnerung. Bekanntlich ist ja immer und stets überhöhtes Tempo an allem schuld. ( Was Polizisten eintragen, wenn sie über die Unfallursache nix recht wissen). Nuhr - einer auf eine Wand gefahren mit 4 km/h. Das war zu schnell, die Wand war langsamer. 

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