Coronapandemie: Neue Herausforderungen für das Verfahrensrecht

von Dr. Oliver Elzer, veröffentlicht am 20.03.2020
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Die Verfahrensvorschriften der ZPO sind für den „Normalfall“ gemacht. Der Gesetzgeber hat für eine Pandemie keine Besonderheiten vorgesehen (siehe aber § 245 ZPO, der womöglich bald die Jokerkarte sein wird). Dies wird sich ändern. Es ist zu hoffen, dass vor allem die Vorschriften auf den Prüfstand gestellt werden, die die Einhaltung von Fristen anordnen. Bereits jetzt, jedenfalls aber in den nächsten Stunden wird z.B. niemand mehr verlangen können, dass eine beklagte Partei binnen einer dazu gesetzten Frist ihre Verteidigungsbereitschaft anzeigt. Ferner sind die Rechtsmittelfristen und die Rechtsmittelbegründungsfristen, soweit solche bestehen, zu überprüfen und anzupassen oder auszusetzen. Auch muss geklärt werden, wie weit § 169 GVG noch greifen kann. Vor allem den § 128a ZPO gilt es, sofern technisch möglich, mit Leben zu erfüllen.

Bis zur einer hoffentlich zeitnahen Reaktion des BMJV bzw. des Gesetzgebers sollte die Richterschaft, soweit diese nicht bereits im Homeoffice ist, sehen, dass es zeitweise kein normales Rechtswesen geben kann. Dazu ein erster Überblick:

  • Fristverlängerungsanträgen ist stattzugeben - mit sehr weiten Fristen.
  • Es ist, soweit wie möglich, vom schriftlichen Verfahren Gebrauch zu machen  - mit sehr langen Fristen (§ 128 ZPO)
  • Soweit es geht, sind Termine zu verlegen (§ 227 ZPO)
  • Es ist in weitem Umfange von § 233 ZPO Gebrauch zu machen (Wiedereinsetzung).
  • Fristen nach § 275 ZPO sind weiträumig zu setzen.
  • Rechtsanwälte sollten grds. nach §§ 296, 531 ZPO als entschuldigt angesehen werden.
  • Corona ist ein wichtiger Grund i.S.v. § 310 Abs. 1 Satz 2 ZPO. Verkündungstermine können also weit hinausgesetzt werden.
  • Die Bestimmung des § 337 ZPO ist weit auszulegen (Versäumnis). Einem Rechtsanwalt, der von auswärts kommt, aber auch dem Rechtsanwalt aus dem Sprengel kann grds. keine Anreise zum Termin angesonnen werden.
  • Wenn möglich sollte in laufenden Kontakt zur Anwaltschaft gesucht werden, inwieweit Verfahren ruhen können und sollten (ggf. auch informell). Dies wird natürlich nicht für alle Verfahren, beispielsweise im Familien- oder Mietrecht, und nicht für die Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz gelten. Allerdings sollte hier überprüft werden, ob es etwa im gewerblichen Rechtsschutz oder beim Schutz der Persönlichkeitsrechte in den sozialen Netzwerken einer kurzen Verschnaufpause bedarf, um den Gerichten Zeit zu geben, sich zu organisieren und sich auf das wesentliche zu konzentrieren.
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5 Kommentare

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Ergänzung Zivilprozess:

(1) Die durch aufgehobene Termine gewonnene Zeit sollte von den Richtern ganz gezielt genutzt werden, um den Parteien schriftliche Hinweise zu geben - möglichst (wenn es sich eignet) mit einem Vergleichsvorschlag. Allein die Ungewissheit, wie es zeitlich weiter geht, ist ein hoher Stimulus für einen Vergleich oder für einen anderen Weg der Verfahrensbeendigung.

 

(2) Ich habe auch ohne Corona nie verstanden, warum es Gerichtstermine gibt, in denen beide Parteien Bezug auf ihre schriftsätzlich gestellten Anträge und damit der Termin beendet ist. Vielleicht nimmt man die Situation zum Anlass zu überlegen, wie man diese überflüssigen Verhandlungen generell vermeiden kann. §§ 128, 128 a ZPO sind Möglichkeiten - vielleicht gibt es noch andere.

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