Corona – Einführung der digitalen Hauptversammlung

von Prof. Dr. Jochem Reichert, veröffentlicht am 24.03.2020
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In Anlehnung unseres Beitrags vom 23. März 2020, in dem wir auf die Möglichkeiten präsenzloser Veranstaltungen durch gesetzliche Neuerungen für Gesellschaften in Artikel 2 des Gesetzesentwurfs zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (im Folgenden „Entwurf“) allgemein hinwiesen, befassen wir uns in folgendem Beitrag mit den Neuerungen für die AG, KGaA und – mit kleinen Unterschieden – die SE zur Durchführung virtueller Hauptversammlungen:

Möglichkeit der Online-Teilnahme

Auf einer ersten Stufe kann der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats Aktionären ermöglichen, an Hauptversammlungen abweichend der derzeitigen Fassung von § 118 Abs. 1 S. 2, Abs. 2, Abs. 4 AktG auch ohne ausdrückliche Satzungsermächtigung durch Online-Teilnahme bzw. durch Briefwahl teilzunehmen oder Bild- und Tonaufnahmen in der Hauptversammlung zuzulassen (§ 1 Abs. 1 Entwurf). Hierdurch wird dem Vorstand erleichtert, auf derzeit erschwerte Bedingungen von Präsenzversammlungen zu reagieren.

Ausschluss der physischen Präsenz

In einem weiteren Schritt kann der Vorstand – wiederum mit Zustimmung des Aufsichtsrats – die physische Präsenz der Aktionäre oder ihrer Bevollmächtigten an der Hauptversammlung ausschließen. Mit dieser Vorschrift wird den mittlerweile weitreichenden Versammlungsverboten und Kontaktbeschränkungen Rechnung getragen; Hauptversammlungen wären nach derzeitigem Stand unter den gegebenen Beschränkungen nicht durchführbar. Der Entwurf knüpft in § 1 Abs. 2 an vier Voraussetzungen, die zur ordnungsgemäßen Durchführung kumuliert vorliegen müssen. Danach erfordert die Abhaltung einer virtuellen Hauptversammlung, dass

  • die Bild- und Tonübertragung der gesamten Versammlung erfolgt,
  • die Stimmrechtsausübung der Aktionäre über elektronische Kommunikation (Briefwahl oder elektronische Teilnahme) sowie Vollmachtserteilung möglich ist,
  • den Aktionären eine Fragemöglichkeit im Wege der elektronischen Kommunikation eingeräumt wird und
  • den Aktionären, die ihr Stimmrecht nach Nummer 2 ausgeübt haben, in Abweichung von § 245 Nummer 1 des Aktiengesetzes unter Verzicht auf das Erfordernis des Erscheinens in der Hauptversammlung eine Möglichkeit zum Widerspruch gegen einen Beschluss der Hauptversammlung eingeräumt wird.

Ausweislich der Entwurfsbegründung muss die Bild- und Tonübertragung für die Versammlung insgesamt erfolgen, wobei eine technisch einwandfreie Übertragung bei jedem Aktionär nicht vorausgesetzt wird. Auch hinsichtlich der Beteiligungsmöglichkeiten für Aktionäre sieht die Entwurfsbegründung Unterschiede zur üblichen Präsenzversammlung vor. So soll der Vorstand nach § 1 Abs. 2 S. 2 Entwurf die Beantwortung der Fragen in Abweichung von § 131 AktG nach pflichtgemäßem Ermessen ausüben. Inhaltlich könne das pflichtgemäße Ermessen beispielsweise dergestalt ausgeübt werden, dass Fragen zusammengefasst, im Interesse anderer Aktionäre sinnvolle Fragen ausgewählt bzw. institutionelle Investoren mit bedeutenden Stimmanteilen bevorzugt werden. Zur besseren Vorbereitung soll der Vorstand auch entscheiden können, dass Fragen bis spätestens zwei Tage vor der Hauptversammlung elektronisch – beispielsweise an eine hierfür angegebene E-Mail-Adresse – eingereicht werden.

Hinsichtlich möglicher Antragsrechte der Aktionäre im Rahmen der virtuellen Hauptversammlung positioniert sich der Gesetzesentwurf nicht eindeutig. Nach der Gesetzesbegründung sollen Antragsrechte aber allenfalls den Aktionären zustehen, die im Wege elektronischer Teilnahme an der Hauptversammlung partizipieren und nicht lediglich durch Briefwahl oder Vollmachtsstimmrecht.

Im Zuge der Möglichkeit virtueller Versammlungen wird auch die Anfechtbarkeit der dort gefassten Beschlüsse geändert. Unbeschadet des § 243 Abs. 3 Nr. 1 AktG kann die Anfechtung auch nicht auf eine Verletzung von § 118 Abs. 1 S. 3-5, Abs. 2 S. 2 und Abs. 4 AktG gestützt werden (§ 1 Abs. 7 Entwurf). Ausweislich der Entwurfsbegründung sollen sich Unternehmen nicht nur deshalb gegen die Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung entscheiden, weil sie aufgrund technischer Unwägbarkeiten Beschlussanfechtungen befürchten.

Die Einführung virtueller Versammlungen in Zeiten der Corona-Pandemie erleichtern die Durchführung auch in Zeiten der Versammlungsverbote und Kontakteinschränkungen. Keinen Aufschluss gibt der Gesetzesentwurf indes, inwiefern die weiterhin bestehende Pflicht zur Anwesenheit zumindest des Vorstands an einem Präsenzort gem. § 118 Abs. 3 AktG mit den Kontaktbeschränkungen vereinbar sein soll. Denn auch wenn man dem Aufsichtsrat die vorgesehene Teilnahme im Wege der Ton- oder Bildaufnahme aufgrund der besonderen Umstände gem. § 118 Abs. 3 S. 2 AktG ermöglichen können wird, könnte auch die Präsenzpflicht des Vorstands zu Problemen führen.

Verlängerung der Frist für die Durchführung der Hauptversammlung

Auf den ersten Blick nicht unmittelbar mit der Möglichkeit der virtuellen Hauptversammlung korrespondiert die Verlängerung der Frist zur Durchführung der Hauptversammlung. Nunmehr kann die Hauptversammlung innerhalb des gesamten Geschäftsjahres durchgeführt werden (§ 1 Abs. 5 Entwurf). Bisher sieht § 175 Abs. 1 S. 2 AktG hierfür eine Frist zur Durchführung innerhalb der ersten acht Monate des Geschäftsjahres vor.

Dennoch dürfte diese Verlängerung gleich zweierlei Auswirkungen auf die Durchführung virtueller Hauptversammlungen haben. Zum einen wird den Unternehmen mehr Zeit gegeben, sich auf die insbesondere technischen Anforderungen im Zusammenhang mit virtuellen Versammlungen vorzubereiten. Zum anderen verbleibt Unternehmen, die der Durchführung virtueller Hauptversammlungen skeptisch gegenüberstehen oder sonst geartete Schwierigkeiten bei der Durchführung hätten, die Möglichkeit, die weitere Entwicklung der Pandemie und damit einhergehenden Versammlungsverboten und Kontaktbeschränkungen abzuwarten. Im Falle der bestehenden Frist von acht Monaten dürfte nach derzeitigem Stand der Entwicklung an der virtuellen Versammlung kein Weg vorbeiführen. Hieran könnte sich je nach weiterer Entwicklung mit Verlängerung der Frist etwas ändern.

Eine Ausnahme bilden hiervon jedoch gem. § 1 Abs. 8 Entwurf Unternehmen in der Rechtsform der SE. Diese sind ausdrücklich von der Verlängerung der Frist ausgenommen. Nach der Entwurfsbegründung ist die Ausnahme in der zwingenden unionsrechtlichen Vorgabe des Artikel 54 Absatz 1 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 begründet, wonach die Hauptversammlung zwingend innerhalb von sechs Monaten stattzufinden hat. Es besteht indessen die Möglichkeit, dass die Sechsmonatsfrist durch eine Reaktion auf Ebene der EU kurzfristig ebenfalls verlängert werden könnte. Entsprechende politische Initiativen finden statt.

Geltungsdauer der Regelungen

Die Geltungsdauer ist derzeit gem. § 7 Entwurf auf Hauptversammlungen für dieses Jahr beschränkt. Allerdings sieht § 8 Entwurf die Möglichkeit vor, durch Rechtsverordnung auch ohne Zustimmung des Bundesrats die Dauer bis zum 31. Dezember 2021 zu verlängern, sollte die weitere Entwicklung der Pandemie dies erfordern.

Fazit

In Anbetracht der aktuell kaum voraussehbaren weiteren zeitlichen Entwicklung der Corona-Pandemie sollten sich Unternehmen ernsthaft mit der Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung befassen. Auch wenn die Verlängerung der Frist zur Durchführung Spielraum in der Organisation schafft, sollte bereits jetzt geprüft werden, welche Schritte zur Bereitstellung der technischen und organisatorischen Voraussetzungen erforderlich sind. Denn die Durchführung der Hauptversammlung ist unverzichtbar. Unternehmen sollten daher auf jedwede Eventualitäten vorbereitet sein.

Prof. Dr. Jochem Reichert                 Dr. Nicolas Ott

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