BAG zum Verhältnis von Betriebsvereinbarungen zu Tarifverträgen

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 25.03.2020
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|3197 Aufrufe

Ein neueres Urteil des BAG (18. März 2020 - 5 AZR 36/19, PM 12/20) verhält sich zu der Grundsatzfrage des Verhältnisses von Betriebsvereinbarungen zu tarifvertraglichen und arbeitsvertraglichen Regelungen.

Der Sachverhalt lag wie folgt: Der Kläger ist bei der Beklagten als Servicetechniker im Außendienst tätig. Die Beklagte ist aufgrund Mitgliedschaft im vertragschließenden Arbeitgeberverband an die Tarifverträge des Groß- und Außenhandels Niedersachsen gebunden. Kraft dynamischer Bezugnahme im Arbeitsvertrag finden diese Tarifverträge auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. In einer Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 2001 (BV) ist zu § 8 geregelt, dass Anfahrtszeiten zum ersten und Abfahrtszeiten vom letzten Kunden nicht zur Arbeitszeit zählen, wenn sie 20 Minuten nicht überschreiten. Sofern An- und Abreise länger als jeweils 20 Minuten dauern, zählt die 20 Minuten übersteigende Fahrtzeit zur Arbeitszeit. Entsprechend verfuhr die beklagte Arbeitgeberin. Mit seiner Klage hat der Kläger verlangt, seinem Arbeitszeitkonto Fahrtzeiten für März bis August 2017 im Umfang von 68 Stunden und 40 Minuten gutzuschreiben, hilfsweise an ihn 1.219,58 Euro brutto nebst Zinsen zu zahlen. Die Beklagte stellte sich auf den Standpunkt, ein solcher Anspruch sei durch § 8 BV wirksam ausgeschlossen.

Das BAG gibt dem klagenden Arbeitnehmer recht. Mit den Fahrten von seiner Wohnung zum ersten Kunden und vom letzten Kunden zurück erfülle er seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung. Ein daraus resultierender Vergütungsanspruch werde durch § 8 BV nicht ausgeschlossen. Die Bestimmung betreffe nämlich einen tariflich geregelten Gegenstand. Nach dem einschlägigen Manteltarifvertrag (MTV) seien sämtliche Tätigkeiten, die ein Arbeitnehmer in Erfüllung seiner vertraglichen Hauptleistungspflicht erbringt, mit der tariflichen Grundvergütung abzugelten. Dazu gehöre bei Außendienstmitarbeitern die gesamte für An- und Abfahrten zum Kunden aufgewendete Fahrtzeit. Da der MTV keine Öffnungsklausel zugunsten abweichender Betriebsvereinbarungen enthalte, sei § 8 BV wegen Verstoßes gegen die Tarifsperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG unwirksam. Die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG sei auch nicht wegen des Eingreifens eines Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 BetrVG aufgehoben (basierend auf der herrschenden Vorrangtheorie). Auf Grund der Bindung der Beklagten an die fachlich einschlägigen Tarifverträge des Groß- und Außenhandels Niedersachsen, welche die Vergütung für geleistete Arbeit auch in Bezug auf Fahrtzeiten der Außendienstmitarbeiter abschließend regeln, bestehe insoweit schon nach § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats.

Wichtig ist noch der abschließende Hinweis des BAG zu der derzeit lebhaft umstrittenen Problematik der betriebsvereinbarungsoffenen Vertragsgestaltung. Diese Frage stelle sich hier nicht, da die Betriebsparteien mit der Regelung zur Vergütung der Fahrtzeiten in der BV die Binnenschranken der Betriebsverfassung nicht beachtet hätten und die BV aus diesem Grunde insoweit unwirksam sei.

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

Kommentare als Feed abonnieren

Kommentar hinzufügen