Corona und Untreue – Vertrauensvorschuss oder „Schockstarre“

von Markus Meißner, veröffentlicht am 02.04.2020
Rechtsgebiete: StrafrechtCorona|1762 Aufrufe

Angesichts der aktuellen Betriebsamkeit von Exekutive und Legislative mit sich nahezu täglich ändernden Regularien, neuen Förderprogrammen und Beschränkungen sind aktuell viele Unternehmensverantwortliche verunsichert. Verstärkt wird dieser Umstand dadurch, dass derzeit wohl keiner zuverlässig absehen kann, wann die aktuelle Krise überstanden sein wird und es wieder „bergauf“ geht.

Nehme ich eine geplante Investitionsentscheidung noch vor oder nicht? Treffe ich mit meinem Hauptlieferanten eine Stundungsvereinbarung? Gewährt ein Vorstand eines Konzernunternehmens einer Tochtergesellschaft ein weiteres Darlehen, was unter Umständen zwingend für deren wirtschaftliches Überleben ist? Oder ist deren finanzielle Situation bereits so "angespannt", dass trotz finanzieller Unterstützung eine spätere Insolvenz vorgezeichnet ist? Verfolgt ein Geschäftsführer die geplante Einstellung neuer Mitarbeiter oder die Anmietung zusätzlicher Büroräume weiter oder legt er vor dem Bekanntwerden der Krise bereits gefasste Pläne und Vorhaben ad acta?

Alle diese Entscheidungen haben gemeinsam, dass sie Risiken mit sich bringen, aber naturgemäß auch wesentliche Chancen beinhalten können. In welche Richtung das Pendel schwingt, sieht man meist erst mit zeitlichem Abstand retrospektiv.

Mit anderen Worten: „Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.“ (Karl Valentin, Mark Twain).

 

Maßstab des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG – zivil- und strafrechtliche Risiken

Unternehmerische Entscheidungen waren in den vergangenen Jahren unter dem Gesichtspunkt der Organhaftung verstärkt Gegenstand von zivilrechtlichen Entscheidungen (vgl. z.B. OLG Düsseldorf, Urteil vom 21.2.2013 – I-6 U 182/11). Dreh- und Angelpunkt dieser Rechtsprechung ist hierbei regelmäßig die seit dem 01.01.2005 in der Vorschrift des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG verankerte „business judgement rule“. Danach liegt bei einer unternehmerischen Entscheidung dann keine Pflichtverletzung des Organmitglieds vor, wenn dieses

  • zum Wohl der Gesellschaft,
  • ohne Sonderinteressen und sachfremde Einflüsse und
  • auf Grundlage angemessener Information

gehandelt hat.

Insbesondere die Frage, ob das unternehmerische Handeln auf einer sorgfältigen Ermittlung der Entscheidungs- grundlage beruht, ist oftmals Gegenstand des Streits. Wird im Ergebnis eine gesellschaftsrechtliche Pflichtverletzung des Unternehmers nach § 93 Abs. 1 AktG bejaht, droht dem handelnden Geschäftsführer oder Vorstand nciht selten auch eine strafrechtliche Verfolgung wegen des Vorwurfs der Untreue gem. § 266 StGB (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 6.12.2001, BGH St 47, 187; BGH, Urteil vom 12.10.2016, NJW 2017, 578 – HSH Nordbank AG). So führte der BGH in seinem Urteil vom 12.10.2016 aus (a.a.O.):

„Sind die in § 93 Abs. 1 AktG normierten Grenzen unternehmerischen Ermessens überschritten und ist damit eine Hauptpflicht gegenüber dem zu betreuenden Unternehmen verletzt worden, so liegt eine Verletzung gesellschaftsrechtlicher Pflichten vor, die so gravierend ist dass sie zugleich eine Pflichtwidrigkeit im Sinne von § 266 StGB begründet.“

 

Darlegungs- und Beweislast für ein sorgfältiges Managementhandelns liegt bei der Unternehmensführung

Anders als im US-amerikanischen Recht, in welchem die business judgement rule als Vermutung zugunsten des Organmitglieds ausgestaltet ist, obliegt es nach dem strengen deutschen Organhaftungsrecht dem in Anspruch genommenen Vorstandsmitglied oder Geschäftsführer, den Beweis zu führen, dass er sich bei seiner unternehmerischen Entscheidung im Rahmen der Grundsätze des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG bewegt hat.

Vor diesem Hintergrund und angesichts der Tendenz der Rechtsprechung, zunehmend strengere Anforderungen an den Entlastungsbeweis zu stellen, kann dem Unternehmer nur empfohlen werden, wichtige unternehmerische Entscheidungen und deren Informationsgrundlage möglichst vollständig zu dokumentieren.

 

Risikoentscheidungen in der aktuellen „Corona-Krise“

Ist es für einen Geschäftsführer schon zu „normalen“ Zeiten kaum zu prognostizieren, ob im Rückblick eine wirtschaftliche Entscheidung als „auf einer informierten Grundlage zum Wohle der Gesellschaft getroffen“ angesehen wird, ist dies in der aktuellen Krisensituation gänzlich unmöglich. Die Lage ändert sich nahezu jeden Tag. Gestern noch geltende Regularien können heute bereits wieder überholt oder in wesentlichen Teilen modifiziert sein.

Für einen Geschäftsführer stellt sich beispielsweise die Frage, ob die als Basis für eine wirtschaftliche Entscheidung erstellten Umsatz- und Ertragsprognosen verlässlich oder zu optimistisch sind. Stellt die Umsatzentwicklung in der Vergangenheit angesichts der aktuell nicht zu prognostizierenden Dauer und Auswirkungen der „Corona-Krise“ überhaupt noch einen (ausreichend) zuverlässigen Prädikator für die zukünftige Entwicklung dar? Bringen geplante Aquisitionsmaßnahmen das erwartete „Neugeschäft“ oder nicht? Und wenn ja, wann?

Will man erreichen, dass Unternehmer mit dem Ziel, das wirtschaftliche Überleben des Unternehmens zu sichern, tatsächlich Entscheidungen treffen und sich nicht aus Scheu vor den haftungs- und strafrechtlichen Risiken in eine „Schockstarre“ begeben, bedarf es bereits heute des Signals eines maßvollen Vorgehens bei nachträglicher justizieller Aufarbeitung, insbesondere durch die Strafverfolgungsbehörden. Es war selten so dringend wie heute angezeigt, den redlich und in guten Glauben auf das Unternehmenswohl handelnden Geschäftsführern und Vorständen -  nach Vorbild des US-amerikanischen Rechts - einen Vertrauensvorschuss entgegenzubringen.

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