Hauptverhandlungen in Zeiten von Corona

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 12.04.2020
Rechtsgebiete: Corona15|6823 Aufrufe

Das "Hochfahren" des öffentlichen Lebens ist ja derzeit eines der ganz wichtigen Themen im Rahmen der Covid-19-Pandemie. Wann und wie soll dies geschehen? Auch Gerichte werden sich damit befassen müssen. Während man u.U. im Geltungsbereich von FamFG und ZPO Gerichtsverhandlungen recht flexibel gestalten kann, scheint dies im Strafverfahren mit starrerem Verfahrensrecht, drohender Revision bei Verfahrensverstößen und oftmals zahlreicher Beteiligter im selben Gerichtssaal schwieriger. Wie soll also etwa nach den Schulosterferien (falls des dann zum "Hochfahren" kommt) eine Hauptverhandlung gestaltet werden? Können Zeugen auf Gerichtsfluren in größerer Zahl warten? Ist es denkbar, dass ein vom Gericht bestellter Verteidiger sich neben den Angeklagten setzt oder gar ein vertrauliches Gespräch mit diesem führt? Kann das Gericht die Öffentlichkeit etwa wegen nötiger Sicherheitsabstände im Zuhörerraum auf vielleicht ein Drittel oder ein Viertel der normalen Menge beschränken? Können am Richtertisch einfach "Auge-in-Auge" Inaugenscheinnahmen stattfinden? Muss der Vorsitzende die ganze Hauptverhandlung darauf achten, dass sich Verfahrensbeteiligte nicht zu nahe kommen? Muss er dies auch verhindern/durchsetzen? Können sich Beteiligte gegen eine Teilnahme an einer Sitzung wehren? Muss etwa im gedachten Extremfall ein lungenkranker Schöffe mit Herzschrittmacher an einer Hauptverhandlung in einem engen Sitzungssaal teilnehmen? Kann er die Teilnahme folgenlos verweigern, auch wenn alle Sicherheitsabstände eingehalten sind? Müssen (wie täglich in Supermärkten zu sehen ist) Plexiglaswände alle Beteiligten gegeneinander abschirmen? 

Fragen über Fragen. Man könnte noch zahlreiche andere stellen. Mich würde einmal interessieren, wie Blogleser dies sehen? Gibt es vielleicht Blogleser, die in der Coronazeit schon Erfahrungen mit derartigen Verhandlungssituationen gemacht haben? 

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15 Kommentare

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Die Fußballstadien sind derzeit wenig genutzt. Dahinein würden sogar recht zahlenmäßig bedeutende Gerichtsbeteiligte hineinpassen - mit je 15 - 20 m Abstand. Vertraulicher Mandantenkontakt des Anwalts auf abgekürzte 1,5 m. Beratungen des Gerichts in den Vorstandslounges. Mikrophone und Lautsprecher halten den akustischen Kontakt. Mit einem Kran wird die dem Betroffenen zur Stellungnahme  vorzulegende Urkunde zugereicht, und dann an den Verfahrensleiter zurück.

Der Strafprozess kommt damit nicht zurecht, auch die Mündlichkeit der Verfahrens steht dem entgegen, auch die Beobachtungen von Mimik und Gestik spielen eine Rolle, denn wenn z.B. ein Zeuge nervös mit den Füssen scharrt bei Teilen seiner Aussagen im Gericht, dann trägt das auch nicht zu seiner Glaubwürdigkeit bei. Auf solche Details können auch noch Revisionen gestützt werden, weil unter Corona-Bedingungen nicht normal verhandelt werden kann.

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Was aber bald gemacht werden könnte in jedem Gerichtssaal: Die am Richtertisch bei einer Inaugenscheinnahme präsentierten Beweismittel per Beamer für alle Beteiligte und die Öffentlichkeit auf Leinwänden sichtbar machen und die Gespräche und Fragen dabei auch per Mikrophon deutlich ebenso für alle Beteiligte und die Öffentlichkeit im Gerichtssaal übertragen.

Wenigstens das wäre doch machbar bei nur etwas gutem Willen.

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Strafprozesse sind das größte Problem.
Interessant wäre mal eine beck-interne Diskussion zwischen dem Autor dieses Beitrags und Prof. Müller, der einen Stillstand der Rechtspflege befürwortet.

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Ich meine nach wie vor, dass Art. 240 EGBGB zu kurz greift. Nur Weniges ist geregelt worden, das Allernotwendigste. Für andere Einschränkungen etwa (Öffentlichkeitsgrundsatz usw) hätte es gesetzlicher Regelung für die Pandemiezeit bedurft. Im Übrigen habe ich das Gefühl, dass die Justiz auch in diesen Tagen eher Stiefkind ist: Vorrang in der Diskussion haben Bildungseinrichtungen und Gaststätten.:-)

Zu Herrn Krumms Frage:  "Ist es denkbar, dass ein vom Gericht bestellter Verteidiger sich neben den Angeklagten setzt oder gar ein vertrauliches Gespräch mit diesem führt?" Ja, wenn in einem Sradion allgemein 30 m Abstände gewahrt werden, so wird man Verteidiger und Angeklagten in 1,5 m Nähe kaum abhören können. Nasenmundschutzlappen stehen  ja auch einem Lippenablesen entgegen.

Und wieviele Prozesse soll die ganze deutsche Strafjustiz so führen?

Außerdem hätten wir dann auch noch das Problem fehlender Technik auf dem Markt und des schmalen Justizhaushalts.

Hömma, wollen Sie Spässken machen?

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Die LTO-Presseschau:

Corona – Justiz: lto.de (Markus Sehl/Annelie Kaufmann) stellen ausführlich dar, wie Gerichte derzeit in ihren Abläufen mit der Coronalage umgehen und welche Pläne sie für die nähere Zukunft haben. "Klar ist jedenfalls, dass die Gerichte flexible Lösungen finden müssen, damit sie nicht bald vor einem Berg unbearbeiteter Akten stehen." Auch faz.net (Marcus Jung) und community.beck.de (Carsten Krumm) befassen sich mit dieser Frage. 

Die Justiz ist in den Ländern sehr unterschiedlich aufgestellt. In unserem Land funktioniert nicht mal das Internet zügig. HomeOffice ist nur allein mit Akten möglich, eine Datenanbindung ist schlicht unmöglich. Videokonferenzen sind derzeit unvorstellbare ferne Zukunft. Die Devise hieß ja auch über Jahrzehnte immer nur Sparen, Sparen.

Hier in der Justiz sind alle sehr bemüht, die Justiz am Laufen zu halten. Dabei sollte man nicht vergessen, dass die für die Bürger wichtigsten Teile der Justiz nichts mit Prozessen zu tun haben. Die Freiwillige Gerichtsbarkeit ist da viel relevanter.

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In Deutschland wurde das Corona-Virus bis zum 22. Mai 2020 von vielen Menschen nicht ernst genommen.

Ab dem 22. März wurde dann der Eindruck erweckt, es handele sich um eine besonders gefährliche Seuche.

Nachdem nun 4 Wochen vergangen sind, und viele Infizierte als "genesen" gelten, empfinden nicht wenige Menschen, daß man in Deutschland vielleicht überreagiert hat, dagegen in Schweden kühlen Kopf bewahrt hat (dazu etwa: https://www.tagesspiegel.de/wissen/kampf-gegen-das-coronavirus-liegt-schweden-am-ende-doch-richtig/25750526.html ).

Allerdings tauchen nun Indizien auf, daß viele sogenannte "Genesene" neben den typischen Symptomen auch noch zunächst nicht bemerkte bliebende Langzeitschäden erlitten haben könnten (siehe etwa: https://www.heise.de/tp/features/Covid-19-Aktuelle-Berichte-von-Medizinern-aus-der-Praxis-4705361.html  ).

Falls dies zutrifft, müßte man wohl doch noch etwas mehr Wert auf Infektionsschutz legen, und es wäre nicht einzusehen, weshalb die Gerichte von dieser Verantwortung befreit sein sollten.

Eine Haltung wie "die Einhaltung des geplanten Verfahrensablaufs ist wichtiger als der Infektonsschutz" wäre wohl eher nicht zu verantworten, auch wenn die Gerichte sich jahrzehntelang auf Bemühungen zur Einhaltung des geplanten Ablaufes oder zur Verfahrens-Beschleunigung focussiert haben, und dieses Denken bei vielen Gerichten wie eine Selbstverständlichkeit in Fleisch und Blut übergegangen ist.

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Einige der Fragen werden an diesem Wochenende im Rahmen der Online-Tagung "Das Verfahrensrecht in den Zeiten der Pandemie" diskutiert, vgl. z.B. den Vortrag von Lena Gumnior zum Thema "Fortdauer der Untersuchungshaft in Zeiten der Corona-Krise". Alle Vorträge dieser Tagung sind bei YouTube zugänglich - auch noch nach dem Tagungswochenende.

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Danke für den Tipp! Das ist ein sehenswerter Beitrag. Auch über 100.000 Bürgerinnen und Bürger, die in Deutschland als ehrenamtliche Richter*innen an der Rechtssprechung mitwirken, machen sich Gedanken um ihre Gesundheit, darunter über 60.000 Schöffen. 

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