Hauptverhandlung in Zeiten von Corona II: Ausschluss der Öffentlichkeit?

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 14.04.2020
Rechtsgebiete: Corona4|3250 Aufrufe

Vorgestern hatte ich ja schon einen Beitrag zum Thema "Hauptverhandlung/Corona". Die große Frage: Wie geht man in einer Hauptverhandlung mit der Angst vor Ansteckung um? Sollte die Anwesenheit von Personen in der Hauptverhandlung nicht auf das nötige Mindesmaß beschränkt werden? Das stell sich dann auch gleich die Frage: Wie sieht dies mit der Öffentlichkeit aus? Kann man diese eventuell ausschließen?

§ 172 GVG regelt diese Frage:

§ 172

 

Das Gericht kann für die Verhandlung oder für einen Teil davon die Öffentlichkeit ausschließen, wenn

 

  1. eine Gefährdung der Staatssicherheit, der öffentlichen Ordnung oder der Sittlichkeit zu besorgen ist,

 

1a. eine Gefährdung des Lebens, des Leibes oder der Freiheit eines Zeugen oder einer anderen Person zu besorgen ist,

 

2. ein wichtiges Geschäfts-, Betriebs-, Erfindungs- oder Steuergeheimnis zur Sprache kommt, durch dessen öffentliche Erörterung überwiegende schutzwürdige Interessen verletzt würden,

 

3. ein privates Geheimnis erörtert wird, dessen unbefugte Offenbarung durch den Zeugen oder Sachverständigen mit Strafe bedroht ist,

 

4. eine Person unter 18 Jahren vernommen wird.

 

Einschlägig könnte hier tatsächlich Nr. 1a sein. Die Vorschrift war eingentlich zum Schutz aus anderen Gründen gedacht. Natürlich ist der Klassiker der Anwendung der Zeuge aus dem Umfeld organisierter Kriminalität, der sich durch seine Aussage einer möglichen "Rache" aussetzen könnte. Die Norm schützt aber nicht nur Zeugen, sondern auch "andere Personen". Schaut man in die Kommentierung etwa im Mayer/Goßner/Schmitt, so finden sich zwei kurze Randnummern zu dieser Ausschließung. Dass die Gefährdung durch die Anwesenheit der Öffentlichkeit sich u.U. aus übertragbaren Krankheiten ergeben könnte, ist daraus natürlich nicht zu entnehmen. Das Interessante ist, dass die befürchtete Gefährdung im gerade dargestellen Musterfall zwar drastischer sein kann, gleichzeitig aber tatsächlich viel weiter weg vom Gerichtssaal angesiedelt ist. Die Gefahr im Gerichtssaal durch anwesende Menschen in Pandemiezeiten ist da deutlich "gerichtsnäher". Und in Zeiten einer ausgerufenen Pandemie und sogar hierdurch erfolgter Gesetzesänderungen liegt es m.E. durchaus nahe, die Vorschrift auch "coronakonform" auszulegen, zumal die Coranoagefahr nicht nur eine abstrakte ist. Was denken die Blogleser dazu? 

 

 

 

 

   

 

 

 

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4 Kommentare

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Ich denke, dass ein Ausschluss gar nicht nötig wäre, wenn man Verhandlungen per Stream irgendwo ansehen könnte!

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Ich halte die Nummer 1 für einschlägig. Die Gefährdung der öffentlichen Ordnung setzt voraus, daß aus der Öffentlichkeit der Verhandlung sich eine Wahrscheinlichkeit dafür ergibt, daß die öffentliche Ruhe, Sicherheit oder Ordnung gestört wird, mag sich diese Störung in der Verhandlung selbst oder außerhalb auswirken (BGH, Urteil vom 19. August 1981 – 3 StR 226/81 –, BGHSt 30, 193-197, Rn. 6). Unter öffentlichet Sicherheit wird die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen sowie des Bestandes, der Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates oder sonstiger Träger der Hoheitsgewalt verstanden.  Eine Wahrscheinlichkeit, dass die Rechtsgüter auf Leben und körperliche Unversehrtheit gestört werden und damit die öffentliche Sicherheit gestört wird, halte ich für gegegeben.

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Die Regelungen sollen den Besonderheiten einzelner Fälle Rechnung tragen, zum Beispiel wenn die Mafia droht einen Zeugen zu ermorden, oder wenn Terroristen drohen einen Richter zu ermorden, oder wenn ein Lynchmob droht einen Angeklagten zu ermorden.

Die Regelungen sind nicht dafür gedacht, wegen einer allgemeinen (nicht aus dem konkreten Einzelfall resultierenden) Gefahr die Öffentlichkeit grundsätzlich auszuschließen, und zwar auch nicht für die Dauer einer Grippe-Epidemie oder Corona-Epidemie.

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