Legal Tech im Sommersemester 2020

von Martin Fries, veröffentlicht am 14.04.2020
Rechtsgebiete: Weitere ThemenCoronaLegal Tech4|9777 Aufrufe

Am kommenden Montag beginnt an den Universitäten die Vorlesungszeit des Sommersemesters 2020. Infolge der Covid-19-Pandemie läuft die Lehre vorerst komplett digital. Digital ist dabei manchmal nicht nur die Verpackung, sondern auch der Inhalt: Veranstaltungen zu den Folgen der Digitalisierung für das Recht und die Rechtspflege sind inzwischen nicht mehr die Ausnahme, sondern vielerorts an der Tagesordnung.

Neues in Hamburg, Potsdam, Marburg und Göttingen

Dieses Legal Tech hat sich also im Lehrprogramm der Fakultäten tatsächlich einigermaßen festgesetzt. Wer im Online-Vorlesungsverzeichnis seiner Uni nach den Begriffen „digital“ und „legal tech“ sucht, kann ein Lied davon singen. Wer die aktuellen Lehrangebote mit denjenigen der letzten Semester (WiSe 2018/19, SoSe 2019, WiSe 2019/20) vergleicht, findet manch einen Kurs, der schon zum wiederholten Male stattfindet, aber auch einige neue Veranstaltungen. Dazu zählen etwa der Online-Workshop Rechtsinformatik und Legal Tech an der Uni Potsdam, das Seminar zur Digitalisierung von Verträgen an der Uni Hamburg, das Unternehmensgründungs-Seminar LegalTech in der Corona-Krise an der Uni Marburg und meine Vorlesung zu Rechtsfragen der Digitalisierung im Zivil- und Zivilverfahrensrecht an der Uni Göttingen. Und es tut sich noch mehr an den Hochschulen: Zum einen ergänzen viele Studierende die Lehrangebote durch eigene Veranstaltungsimpulse, zum anderen beginnen die ersten Fakultäten mit der Planung spezieller Legal-Tech-Studiengänge.

Legal-Tech-Initiativen aus der Mitte des Hörsaals

Zunächst zu den Studierendeninitiativen im Bereich Legal Tech: Deren Zahl ist über den vergangenen Winter weiter angewachsen. Wo Recht und Digitalisierung im Semesterprogramm stehen, haben die Studierenden häufig ihre Finger im Spiel. Hier sind sie, gereiht von alt nach jung:

Das Profil der einzelnen Initiativen ist durchaus unterschiedlich. Teilweise suchen die Studierenden einen engen Schulterschluss mit der Fakultät oder einzelnen Professorinnen, teilweise agieren sie sehr autark und folgen eher unternehmerischen Strategien. Entsprechend groß ist die Bandbreite der von ihnen organisierten Veranstaltungen: Zum Teil sind sie eng verzahnt mit der Lehre der Fakultät, nicht selten laden die Initiativen aber auch Praktiker ein oder stellen Kanzlei-Events auf die Beine. Jenseits solcher Veranstaltungen kümmern sich die Initiativen vor allem um den Aufbau von Wissensressourcen zur Digitalisierung der juristischen Arbeit. Besonders bekannt geworden sind hier die Interview-Podcasts Talking Legal Tech aus Köln und Legal Tech Pioneers aus Münster.

Neue Studiengänge im Bereich Legal Tech

Während die Initiativen der Studierenden vor allem auf eine Bereicherung des klassischen Jurastudiums zielen, haben die ersten Fakultäten die Einrichtung separater Legal-Tech-Studiengänge angestoßen. Die ersten Vorläufer dazu stammen aus dem hohen Norden, wo die Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder und die Bucerius Law School 2020 bereits zum wiederholten Male mehrtägige bzw. mehrwöchige Legal Tech Summer Schools anbieten. Eigene Legal-Tech-Studiengänge soll es nun ab Herbst 2020 an zwei bayerischen Unis geben: Die Universität Passau bietet unter der Leitung von Michael Beurskens einen 8-semestrigen Bachelor of Laws (LL.B.) in Legal Tech an, der sich bei Bedarf mit dem klassischen Jurastudium kombinieren lässt; die Universität Regensburg wendet sich demgegenüber mit ihrem Masterstudiengang LL.M. Legal Tech unter der Leitung von Frank Maschmann an Praktiker mit zumindest ersten Berufserfahrungen, die sich im Bereich Recht und Digitalisierung weiterbilden möchten. Wird das Schule machen? Man darf damit rechnen, dass in den kommenden Jahren weitere Universitäten ihr Lehrprogramm in diese Richtung ausbauen werden. Dass die klassische Rechtslehre dabei nicht vernachlässigt werden sollte, versteht sich von selbst.

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4 Kommentare

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Die abgesonderte Behandlung von "Legal Tech" in der Juristenausbildung ist didaktisch ein Irrweg. Natürlich müssen die Folgen der Digitalisierung für das Recht und die Rechtspflege im Unterricht behandelt werden. Aber da, wo sie hingehören  -  also etwa "digitale Willenserklärungen" im BGB-AT, Digitalisierung des Zivilprozesses in der ZPO-Vorlesung usw. Der juristische Gemischtwarenladen, der heute i.d.R. als "Legal-Tech-Vorlesung" angeboten wird, ist nicht sinnvoll in die normale Ausbildung integrierbar (sondern allerfalls als Ergänzung und Fortbildung für die, die ihre Ausbildung in vordigitaler Zeit abgeschlossen hatten).

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Eigenständige "Legal Tech"-Aufbaustudiengänge oder Fortbildungsveranstaltungen für bereits gradierte Juristen mögen ja ihren Sinn haben. Eigenständige "Legal-Tech"-Veranstaltungen als Bestandteil der juristischen Grundausbildung sind ein didaktischer Irrweg.

Natürlich müssen die Folgen der Digitalisierung für das Recht und die Rechtspflege im Unterricht vorkommen. Aber sinnvoll kann das nur im jeweiligen Kontext geschehen (d.h. "digitale Willenserklärungen" in der BGB-AT-Vorlesung, "digitale Zivilprozesse" in der ZPO-Vorlesung usw.), nicht in einem juristischen Gemischtwarenladen mit wöchentlich völlig verschiedenem Kontext.

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Ich glaube die Vorfrage ist eher die Definition von "Legal Tech". Die "digitale Willenserklärung" ist aus meiner Sicht genausowenig Legal Tech wie der Trierer Weinversteigerungsfall - das ist allenfalls "Law of Digitalisation".

Bei "Legal Tech" geht es eher um die Einsatzmöglichkeiten der Digitalisierung in der Rechtsberatung / Rechtsgestaltung / Rechtsprechung (als Hilfsmittel, als Surrogat, etc.). Es geht also um Fragen wie die Strukturierung von Abläufen, die Gestaltung von Formularen, die Entwicklung von Ordnungskriterien, Unterlagen, etc. für maschinelles Lernen, die Vorbereitung der Einrichtung von rechtsberatenden Onlinediensten, usw. Das kann ein Jurist derzeit nur bedingt - viele wissen nicht, was Technik kann oder können sollte; andere haben keine Ahnung, welcher Aufwand zu erwarten ist, welcher Nutzen erzielbar ist und wie man effizient Strukturen umstellt.

Das Passauer Modell ist ein "Jurist Plus", der einerseits 95% der normalen Juristenausbildung mit normalen Staatsexamensjuristen besucht (es fehlen: Erbrecht und Familienrecht, Kommunalrecht, Bayerisches Verfassungsrecht, Verfassungsgerichtsbarkeit und Staatshaftungsrecht - alles Veranstaltungen, die man gut im Selbststudium nacharbeiten kann und wo auch im normalen Studium leider oft Mut zur Lücke gezeigt wird), andererseits aber auch einen großen Teil Wirtschaftsinformatik lernt (angefangen mit ökonomischen Grundkenntnissen über Begriffe der Informatik bis hin zu aktiveren Themen wie Change Management) und schließlich beides durch einen (zugegebenermaßen geringen) Anteil an ganz neuen Veranstaltungen (spezifisch zum Einsatz von Algorithmen und Daten sowie zu Netzwerken und Sicherheit in juristischen Berufsfeldern, aber u.a. auch zum IT- und Datenrecht und zum Anwaltlichen Berufsrecht) miteinander verknüpft. 

Im Detail siehe https://uni-passau.de/legaltech

Von "juristischem Gemischtwarenladen mit wöchentlich völlig verschiedenem Kontext" kann da keine Rede sein. Aber wenn man Anwendungen für Juristen konzipieren und implementieren soll, geht das kaum in der BGB AT-Vorlesung, sondern man braucht dafür eigene Projektgruppen und viel Zeit. Das klassische Hörsaalkonzept geht hier nicht wirklich auf.

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@ M. Beurskens: Sie sprechen über einen eigenständigen BA-Studiengang mit 60% Anteil "Recht". Im Verhältnis zum Jurastudium, zu dem ich mich geäußert habe, ist das ein Aliud, und darauf bezog sich meine Äußerung deshalb explizit gerade nicht.

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