Ausländisches Recht: aufgepasst!

von Dr. Oliver Elzer, veröffentlicht am 23.04.2020
Rechtsgebiete: Bürgerliches Recht|2125 Aufrufe

Der BGH hat innerhalb weniger Tage gleich mehrfach  zur Anwendung des § 293 ZPO wichtige Hinweise gegeben. Die Fälle zeigen, dass die Praxis mit den Anwendung ausländischen Rechts immer wieder Probleme hat. Dies spricht nicht unbedingt gegen die Gerichte, sondern ggf. auch gegen die entsprechende Norm. Im Einzelfall sollte der Rechsanwalt hier jedenfalls helfen, den Weg des Ermessens (im Überblick BeckOK ZPO/Elzer, § 300 Rn. 68) in richtige Bahnen zu lenken.

In dem einen Verfahren hatte das Berufungsgericht angenommen, es müsse russischisches Recht nicht ermitteln, da die Frage seines Inhalts zwischen den Parteien unstreitig sei. Dieser Beurteilung trat der BGH entgegen. Soweit ausländisches Recht anzuwenden ist, habe das Tatgericht dieses nach ständiger Rechtsprechung von Amts wegen zu ermitteln (BGH, Beschluss vom 12.3.2020 − I ZB 64/19, Rn. 44; siehe auch BGH, Beschluss vom 9.2.2017 – V ZB 166/15, Rn. 7 und BGH, Beschluss vom 30.4.2013 − VII ZB 22/12, Rn. 39). Gebe eine angefochtene Entscheidung keinen Aufschluss darüber, dass das Tatgericht seiner Pflicht nachgekommen sei, ausländisches Recht zu ermitteln, sei davon auszugehen, dass eine ausreichende Erforschung des ausländischen Rechts verfahrensfehlerhaft unterblieben sei (BGH, Beschluss vom 12. März 2020 − I ZB 64/19, Rn. 44; siehe auch BGH, Beschluss vom 30.4.2013  VII ZB 22/12, Rn. 39). Ferner hat der BGH bei diesem Fall darauf hingewiesen, dass es sich beim ausländischen Recht nicht um Tatsachenstoff, sondern um Rechtsnormen handele. Eine Parteidisposition, wie sie die Verhandlungsmaxime bei Tatsachen ermögliche, sei daher weder bei der Feststellung noch bei der Auslegung und Anwendung des ausländischen Rechts möglich (BGH, Beschluss vom 12. März 2020 − I ZB 64/19, Rn. 45).

In dem anderen Verfahren ging es im litauisches Recht. Dort hatte das Berufungsgericht nur eine Rechtsvorschrift des litauischen Rechts herangezogen und – teilweise abweichend von der von der Klägerin vorgelegten Übersetzung – eigenständig und lediglich „sinngemäß“ in die deutsche Sprache übertragen. Der BGH meinte, schon das genüge nicht den Anforderungen des § 293 ZPO und sei ermessensfehlerhaft (BGH, Urteil vom 18.3.2020 – IV ZR 62/19, Rn. 25). 

Zu ergänzen ist:

  • Wie sich das Gericht  vom ausländischen Recht eine Kenntnis verschafft, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen (BGH, Urteil vom 10.9.2015 – IX ZR 304/13, Rn. 15). Im Allgemeinen werden die Grenzen der Ermessensausübung des Tatrichters durch die jeweiligen Umstände des Einzelfalles gezogen (BGH, Urteil vom 18.3.2020 – IV ZR 62/19, Rn. 24). An die Ermittlungspflicht werden allerdings umso höhere Anforderungen zu stellen sein, je komplexer oder je fremder im Vergleich zum eigenen das anzuwendende Recht ist. Von Einfluss auf das Ermittlungsermessen können auch Vortrag und sonstige Beiträge - etwa Privatgutachten - der Parteien sein. Tragen die Parteien eine bestimmte ausländische Rechtspraxis detailliert und kontrovers vor, wird der Richter regelmäßig umfassendere Ausführungen zur Rechtslage zu machen - gegebenenfalls sämtliche ihm zugänglichen Erkenntnismittel zu erschöpfen - haben, als wenn der Vortrag der Parteien zu dem Inhalt des ausländischen Rechts übereinstimmt oder sie zu dem Inhalt dieses Rechts nicht Stellung nehmen, obwohl sie dessen Anwendbarkeit kennen oder mit ihr rechnen. Auch dies hängt jedoch stets von den Besonderheiten des einzelnen Falles ab (BGH, Urteil vom 18.3.2020 – IV ZR 62/19, Rn. 25). 
  • Die Ermittlung des fremden Rechts darf sich nicht auf die Heranziehung der Rechtsquellen beschränken, sondern muss auch die konkrete Ausgestaltung des Rechts in der ausländischen Rechtspraxis, insbesondere die ausländische Rechtsprechung, berücksichtigen. Der Tatrichter ist gehalten, das Recht als Ganzes zu ermitteln, wie es sich in Lehre und Rechtsprechung entwickelt hat. Er muss dabei die ihm zugänglichen Erkenntnisquellen ausschöpfen (BGH, Urteil vom 10.9.2015 – IX ZR 304/13, Rn. 15; BGH, Urteil vom 14.1.2014 − II ZR 192/13, Rn. 15). Dazu dürfte in der Regel die Einholung eines Rechtsgutachtens bzw. ein Auskunftsersuchen geboten sein. Denn der deutsche Richter hat das ausländische Recht grds. so anzuwenden, wie es der Richter des betreffenden Landes auslegt und anwendet.
  • Auf eine Verletzung von ausländischem Recht kann weder die Revision noch die Rechtsbeschwerde gestützt werden. Mit der Verfahrensrüge kann indes eine unzureichende oder fehlerhafte Ermittlung des ausländischen Rechts geltend gemacht werden. Durch das Rechtsbeschwerdegericht wird dann überprüft, ob der Tatrichter sein Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt, insbesondere sich anbietende Erkenntnisquellen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls hinreichend ausgeschöpft hat. Hier hilft dann die Idee, dass dann, wenn die angefochtene Entscheidung keinen Aufschluss darüber gibt, dass der Tatrichter seiner Pflicht nachgekommen ist und sei Ermessen ausgeübt hat, ausländisches Recht zu ermitteln, davon auszugehen sei, dass eine ausreichende Erforschung verfahrensfehlerhaft unterblieben sei.

 

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