COVID-19 und Recht: "Die Entwicklungen überschlagen sich"

von Tobias Fülbeck, veröffentlicht am 27.04.2020
Rechtsgebiete: Corona3|6001 Aufrufe
COVID-19 und Recht

COVuR – COVID-19 und Recht – ist die neue Fachzeitschrift für alle Rechtsfragen der Corona-Krise. Schriftleiter sind die Rechtsanwälte Dr. Marc Ruttloff und Dr. Eric Wagner. Ein Gespräch über den veränderten Kanzlei-Alltag und rechtliche Herausforderungen in dieser hochdynamischen Ausnahmesituation.

Mit welchen konkreten rechtlichen Problemen suchen Mandaten gerade Ihre Beratung?

Eric Wagner: Ein wichtiger Teil ist die unmittelbare Frage, inwieweit COVID-19 die Rechte und Pflichten aus bestehenden Vertragsbeziehungen beeinflusst und welche Möglichkeiten man selbst und der Vertragspartner haben, hiermit umzugehen. Darüber hinaus haben wir viele Anfragen zum Produktrecht und sehr viele insolvenzrechtliche, finanzrechtliche, gesellschaftsrechtliche, beihilferechtliche und arbeitsrechtliche Anfragen.

Marc Ruttloff: Diese Krisensituation ist hochdynamisch. Ständig kommen neue Entwicklungen auf. Im Bereich Regulatory und Öffentliches Wirtschaftsrecht geht es im Moment sehr stark um die behördlichen Anordnungen, die auf die unterschiedlichen Branchen ganz spezifische Auswirkungen haben. Auch die Produkt-Compliance ist ein zentraler Bereich meiner Mandatsarbeit. Aktuell betrifft das vermehrt Fragen rund um Schutzausrüstungen.

Wie hat sich das Klima in Ihrer Kanzlei während der Corona-Krise verändert?

Marc Ruttloff: Das „Wir-Gefühl“ in der Sozietät hat nochmal eine ganz neue Bedeutung erlangt. Jedem ist daran gelegen, dass wir gemeinsam diese allgemeine Krisensituation bestmöglich meistern. Die kanzleiinterne Kommunikation ist daher eher intensiver geworden, auch weil es gilt, die räumlichen Distanzen, die nun entstanden sind, zu überbrücken.

Eric Wagner: Ich kann in dieser außergewöhnlichen Situation den unglaublichen Zusammenhalt, die Loyalität und die Menschlichkeit in ganz besonderer Weise spüren.

Hat sich Ihre Versorgung mit Fachinformationen in dieser Zeit verändert?

Marc Ruttloff: Die Rechtsentwicklungen überschlagen sich. Das gilt für Gesetzgebungsvorhaben, die durchgepeitscht werden, oder auch für die dichte Reihe an Eilentscheidungen der Gerichte. Unser Bibliotheks- und Knowledge-Management-Team leistet hier großartige Arbeit, diese ganzen Entwicklungen nachzuhalten.

Arbeiten Sie im Homeoffice?

Eric Wagner: Ja, inzwischen schon seit einigen Wochen. Das was aber keine allzu große Umstellung, da ich vorher schon sehr viel von unterwegs gearbeitet habe und daher gewohnt bin, außerhalb des Büros zu arbeiten.

Marc Ruttloff: Wir haben den ganz überwiegenden Teil der Sozietät bereits seit Wochen ins Homeoffice verlegt. Ich selbst habe bislang vor allen Dingen abends von zu Hause aus gearbeitet. Nun ist das Homeoffice eben als Dauerarbeitsplatz eingerichtet.

Vermissen Sie den persönlichen Kontakt im Büro?

Eric Wagner: Die Arbeit im Homeoffice funktioniert problemlos, aber der persönliche Kontakt fehlt ganz klar. Viele Präsenzbesprechungen werden jetzt telefonisch oder per Videokonferenz durchgeführt. Ich habe oft Tage, an denen ich acht oder neun Stunden am Telefon bin. Das erfordert deutlich mehr Konzentration als persönliche Gespräche. Andererseits genieße ich es auch, dass ich mit meiner Familie unter der Woche seitdem deutlich mehr Kontakt habe als bisher.

Marc Ruttloff: Auch ich genieße es einerseits sehr, meine Familie über den Tag hinweg immer wieder sehen zu können. Aber andererseits ist der persönliche Austausch im Büro ein wichtiger Teil des Lebens – des beruflichen Lebens. Die größere Anzahl an Telefon- und Videokonferenzen kann das nur teilweise kompensieren.

Kamera aus oder an beim Videochat?

Eric Wagner: Beim Videochat natürlich an! Alles in allem halte ich den Zusatznutzen von Videokonferenzen allerdings für überschaubar. Es kommt nur selten eine natürliche Atmosphäre auf, da schon die Blickrichtungen häufig nicht passen und man sich ja auch selbst sieht. Aber in manchen Situationen, gerade bei erstmaligem Kennenlernen, bietet dieses Tool schon Vorteile.

Marc Ruttloff: Das sehe ich genauso. Die Kamera auszulassen, ist wie dem Gegenüber im persönlichen Gespräch nicht in die Augen zu sehen. In den meisten Fällen glaube ich, dass Telefonkonferenzen vollkommen ausreichen, besonders wenn man sich bereits vorher kennt. Bei Bewerbungsgesprächen sind Videokonferenzen aber ein großartiger Ersatz für das persönliche Gespräch.

Was ist aus Ihrer Sicht die größte juristische Herausforderung in der Corona-Krise?

Eric Wagner: Wenn ich meinen Schwerpunkt-Bereich herausgreife, ist es wahrscheinlich die Unsicherheit darüber, wie es weitergeht. Bei der Prüfung von Einzelfällen und der Entwicklung einer Gesamtstrategie geht ja es häufig um Wertungsfragen, die in einigen Monaten oder Jahren – aus der Rückschau betrachtet – ganz anders beantwortet werden könnten, als heute.

Marc Ruttloff: Ganz genau. Ich glaube, die größten rechtlichen Herausforderungen werden sich erst im Nachhinein herauskristallisieren. Viele Dinge mussten in der aktuellen Ausnahmesituation einfach schnell umgesetzt werden. Dabei kam zwangsläufig manche rechtliche Vorüberlegung zu kurz.

Können Sie uns Beispiele für Themen nennen, die Leserinnen und Leser in der neuen Zeitschrift COVuR erwarten?

Marc Ruttloff: Am Thema Infektionsschutzgesetz und den behördlichen Maßnahmen auf dieser Grundlage kommt im Moment niemand vorbei. Hierzu werden natürlich auch Beiträge bei uns erscheinen. Im Übrigen wird es sicher eine große thematische Bandbreite. Wir wollen die Brücke schlagen zwischen Rechtswissenschaft und Rechtspraxis und dem rechtswissenschaftlichen Diskurs zu den Pandemie-Themen ein Forum geben.

Eric Wagner: Wir wollen den Lesern der COVuR stets ganz aktuelle Themen präsentieren, was bedeutet, dass wir den Vorlauf für jede Ausgabe so gering wie möglich halten müssen.

Mehr Infos

Weitere Fachliteratur zu Rechtsfragen der Corona-Krise finden Sie auch auf beck-shop.de.

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

3 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Man dürstete gewiss nach einem neuen Zeitschriftentitel. Große Erwartungen hegt man: "Brücke schlagen zwischen Rechtswissenschaft und Rechtspraxis und dem rechtswissenschaftlichen Diskurs zu den Pandemie-Themen" . Einen Aufsatz könnte man anbieten zum Thema: "Corona, Klopapier und die Endnutzung von Gesetzblättern". Letzteres weist über aktuelle Corona-Probleme hinaus.

Analog zur NJW wäre dieses Thema auch mit einer Sondernumer zu  Kunst, Literatur und Recht zu bewältigen. Der rechtsberegnete und -gesegnete deutsche Bürger wie Max Reger zum Gesetzgeber: Ich sitze im kleinsten Raum des Hauses. Ich habe Ihre Legislativprodukte  vor mir. Bald werde ich sie hinter mir haben.

Die Zeitschrift ist sicher ein logischer Schritt des Verlages, um in der aktuellen Lage mit den juristischen Onlineportalen Schritt zu halten. Sie wäre auch eine Chance – wie Sie andeuten – das Thema aus Sicht unterschiedlicher juristischer Fachdisziplinen zu beleuchten. Vielleicht bietet es sich sogar an, auch ein Wissenschaftsdisziplinen-übergreifendes interdisziplinäres Forum (Jura, Medizin. Ethik etc.) für vertieftere Beiträge zur Thematik zu bieten. So hat sich etwa der interdisziplinär besetzte Deutsche Ethikrat in der Corona-Krise häufig mit klugen Stellungnahmen hervorgetan. Ist derartiges geplant?

Aus dem Sozialrecht ist bei Ihnen leider nichts zu lesen. Dabei ist der jüngste Beschluss des LSG NRW, der einen Mehrbedarf für Grundsicherungsberechtigte wegen Corona ablehnt, wegen der offensichtlichen Denkstörungen in Essen, höchst bemerkenswert:

Das Gericht wies den Antrag ab, weil es die Masken mit Bekleidung verwechselt. Oliver Sachs hat in seinem Buch "Der Mann, der seine Frau  mit einem Hut verwechselte" auf eine ganz ähnliche Problematik hingewiesen.

Allerdings ist auch nach dem SGB II die Pandemie als Härtefall zu werten, der den Mehrbedarf begründet.

Auf diesen Beschluss des LSG NRW sollte sich also niemand stützen, der seriöse Absichten hat.  

0

Kommentar hinzufügen