Mietrecht und COVID-19: "Das kann ein sehr teurer Kredit beim Vermieter werden"

von Tobias Fülbeck, veröffentlicht am 29.04.2020
Rechtsgebiete: Corona2|7874 Aufrufe
Mietrecht und Covid-19

Welche Auswirkungen hat die Corona-Krise auf das Mietrecht? Ein Interview mit Prof. Dr. Ulf P. Börstinghaus, weiterer aufsichtführender Richter am AG Dortmund und dort Dezernent einer Zivil- und WEG-Abteilung.

Welche Folgen hat die Pandemie im Mietrecht?

Prof. Dr. Börstinghaus: Die Pandemie wirkt sich auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Wohnraum- und Gewerberaummieter aus. Da der Vermieter – anders als andere Gläubiger – nicht nur den Zahlungsanspruch, sondern quasi als Druckmittel auch das Kündigungsrecht wegen Zahlungsverzuges hat, ist auch das Bestandsinteresse hinsichtlich des Mietvertrages berührt. Die Beschränkungen zur Verhinderung einer weiteren Ausbreitung des Virus haben darüber hinaus Auswirkungen auf die Nutzbarkeit des Mietobjekts. Das beginnt bei der Sperrung von Kinderspielplätzen in der Wohnraummiete und endet bei Betriebsschließungen in der Gewerberaummiete.

Insbesondere Art. 240 § 2 EGBGB wird kontrovers diskutiert. Warum kam es gerade bei diesem Paragraphen, der einen befristeten Kündigungsausschluss enthält, zu Missverständnissen?

Prof. Dr. Börstinghaus: Die Gesetze wurden in außergewöhnlicher Geschwindigkeit verabschiedet. Deshalb darf man meines Erachtens bei der Auslegung nicht am Wortlaut der Vorschrift kleben, sondern muss vor allem auf Sinn und Zweck und den gesetzgeberischen Willen abstellen. Dann kann man mit der Norm auch arbeiten. Streitfragen bleiben natürlich. Die größte Verwirrung ist wohl durch einige Handelsketten gestiftet worden, die meinten, aus der Vorschrift eine Stundung der Miete herauslesen zu können. Das steht da nun wirklich nicht.

Sondern?

Prof. Dr. Börstinghaus: Art. 240 § 1 Abs. 4 EGBG schließt ein Zurückbehaltungsrecht, das es bei anderen Verbraucherverträgen ja jetzt gibt, für Mietverträge ausdrücklich aus. Den Zusammenhang haben einige nicht verstanden. Es geht im Mietrecht nur um das oben angesprochene Bestandsinteresse. Der Mieter soll seine Wohnung oder die Geschäftsräume wegen pandemiebedingter Mietschulden nicht verlieren, er schuldet die Miete aber grundsätzlich weiter. Nach allgemeinen Regeln kommt er wohl auch in Verzug und muss den Betrag verzinsen. Er kann auf Zahlung verklagt werden und trägt dann die Prozesskosten. Es ist also eventuell ein sehr teurer Kredit beim Vermieter.

Nehmen wir ein konkretes Beispiel: Ein Mieter bleibt die Mieten für April und Mai schuldig. Er zahlt aber für Juli und August. Was ist angesichts des Verschonungszeitraums zu beachten?

Prof. Dr. Börstinghaus: Wie gesagt, der Mieter schuldet die Mieten für April und Mai weiter. Er muss den Betrag auch verzinsen. Gekündigt werden darf aber wegen dieses Rückstands, der ja die Voraussetzungen einer fristlosen Kündigung gem. § 543 II Ziff. 3 BGB erfüllt nicht. Zahlt der Mieter den Rückstand vollständig bis 30.6.2022, scheidet eine Kündigung endgültig aus. Besteht am 1.7.2022 noch der Rückstand, kann der Vermieter fristlos und wohl auch hilfsweise fristgerecht kündigen. Die fristlose Kündigung wird dann nach der schon heute geltenden Schonfristregelung in § 569 III BGB unwirksam, wenn der Mieter die fälligen Mieten und ggf. Nutzungsentschädigung bis spätestens 2 Monate nach Zustellung der Räumungsklage bezahlt oder eine öffentliche Stelle sich zur Zahlung Verpflichtet.

Was gilt nun für Gewerbemieter? Können diese die Miete gemäß § 536 mindern oder sich auf eine Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 berufen?

Prof. Dr. Börstinghaus: Die Minderung ist, wenn man sie annimmt, natürlich nicht auf Gewerberaummieter begrenzt. Denken Sie an mein Beispiel des gesperrten Kinderspielplatzes. Gerade hier wird in der Literatur zurzeit eine Minderung durchaus für möglich gehalten. Ich habe da schon Zweifel. Aber Sie haben Recht, dass das Problem allein wegen der finanziellen Auswirkungen in der Gewerberaummiete größer ist. Ein Mangel iSd § 536 BGB wird bekanntlich  bei Umwelt- oder Umfeldmängeln angenommen. Die Rechtsprechung ist hier jedoch sehr restriktiv. Das gilt auch bei behördlichen Nutzungsbeschränkungen. Nur wenn diese ihre Ursache im Zustand der Mietsache haben, sollen sie einen Mangel darstellen. Das gilt wohl für die nun ausgesprochenen Untersagungen eher nicht.

Warum nicht?

Prof. Dr. Börstinghaus: Die Situation wird immer verglichen mit der Entscheidung des BGH zu den Auswirkungen der Nichtraucherschutzgesetze. Damals brach der Umsatz in der Gastronomie wegen Ausbleibens der Raucher ein. Investitionen in die Bausubstanz zur Trennung von Raucher- und Nichtraucherbereichen wurden wertlos. Der BGH hat dies als Verwendungsrisiko des Mieters bewertet und eine Minderung abgelehnt. Sicher schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob insbesondere Gewerbemieter einen Anspruch auf Vertragsanpassung nach § 313 I BGB haben.

Inwiefern?

Prof. Dr. Börstinghaus: Anders als im österreichischem Recht gibt es im deutschen Recht keine Regelung für Naturkatastrophen. Aber das, was wir zurzeit erleben, hat sich sicher keine Partei bei Vertragsschluss vorgestellt. Auch hier stellt sich vor allem die Frage nach der Risikoverteilung. Wann ist es für den Mieter unzumutbar am Vertrag zu unveränderten Bedingungen festzuhalten? Das wird von vielen Faktoren abhängen.

Nämlich…

Prof. Dr. Börstinghaus: Vor allem die Dauer der Beschränkungen und die Frage, wie oft und wie lange zukünftig Lockdowns stattfinden werden, wird von Bedeutung sein, aber sicher auch die Frage, welche staatlichen Hilfen die Unternehmen bekommen, welche Umsätze durch Online-Handel oder Lieferdienste sie generieren können, und was die Zielgruppe des Geschäfts ist. Ein Modegeschäft für eher älteres Publikum wird es auch nach der Ladenöffnung eher schwerer haben als ein hippes Modelabel für die internetaffine Zielgruppe.

Sind in Corona-Zeiten eigentlich Zwangsräumungen möglich?

Prof. Dr. Börstinghaus:  Im Prinzip ja. Ein gesetzliches Verbot gibt es nicht. Eine andere Frage ist, ob die Gerichte hier nicht gem. § 721 ZPO großzügig Räumungsfristen bewilligen. Die ersten Entscheidungen in die Richtung gibt es schon.

Darf der Vermieter im Verschonungszeitraum mit der Kaution verrechnen?

Prof. Dr. Börstinghaus: Der Vermieter darf wegen unstreitiger oder titulierter Forderungen auch während des Bestandes des Mietverhältnisses auf die Kaution zurückgreifen. Das bedeutet, wenn der Mieter sich auf eine Minderung der Miete oder eine Vertragsanpassung gem. § 313 BGB beruft ist ein Rückgriff unzulässig, egal, ob das Recht besteht oder nicht. Erst wenn der Vermieter den Anspruch tituliert hat, könnte er sich aus der Kaution befriedigen.

Mehr Infos

 

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

2 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Die LTO-Presseschau:

Corona – Mietrecht: community.beck.de (Ulf P. Börstinghaus) beantwortet Fragen zum Wohnungs- und Gewerbemietrecht im Zusammenhang mit Corona. Unter anderem beschäftigen ihn behördliche Nutzungsbeschränkungen im Gewerbemietrecht. Diese seien nicht als Mietmängel einzuordnen, weil das Verwendungsrisiko beim Mieter liege.

Darf der Vermieter bei Beendigung des Mietverhältnisses die durch Corona ausgesetzten Raten von der Kaution abziehen? 

0

Kommentar hinzufügen