Don't mess with the BVerfG!

von Dr. iur. Fiete Kalscheuer, veröffentlicht am 11.05.2020
Rechtsgebiete: Öffentliches RechtStaatsrecht75|18012 Aufrufe

Sven Giegold hat einen Brief geschrieben. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Briefe schreiben darf man; Briefe schreiben ist schön. Sven Giegold ist Mitglied der Grünen/EFA-Fraktion im Europaparlament und er hat seinen Brief an die EU-Kommissionspräsidentin, Ursula von der Leyen, gerichtet. Hier aber beginnt das Problem. Der Brief handelt im Wesentlichen vom EZB-Urteil des Zweiten Senats des BVerfG vom 05.05.2020. Die EU-Kommission sei - so Giegold in dem Brief -  als Hüterin der Verträge zuerst gefordert:

Sie muss aufgrund des Urteils ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland einleiten.

Ursula von der Leyen nimmt den Ball Giegolds dankbar auf und antwortet innerhalb von zwei Stunden wie folgt:

EU-Recht hat Vorrang vor nationalem Recht, und selbstverständlich sind die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für alle nationalen Gerichte bindend. Das letzte Wort zum EU-Recht hat immer der Europäische Gerichtshof in Luxemburg. Ich nehme diese Sache sehr ernst. Die Kommission ist jetzt dabei, das mehr als 100 Seiten lange Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts im Detail zu analysieren. Auf der Basis dieser Erkenntnisse prüfen wir mögliche nächste Schritte bis hin zu einem Vertragsverletzungsverfahren.

Es stellt sich die Frage, was ein Vertragsverletzungsverfahren vorliegend bezwecken soll. Klar: Ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV dient der Feststellung von Verletzungen der Verträge durch die Mitgliedstaaten. Dies erscheint zunächst unproblematisch. Das Verfahren läuft dabei in mehreren Schritten ab, auf die hier im Einzelnen nicht eingegangen werden muss. Ausreichend ist es, sich im Wesentlichen mit dem Wortlaut des Art. 258 AEUV zu begnügen:

Hat nach Auffassung der Kommission ein Mitgliedstaat gegen eine Verpflichtung aus den Verträgen verstoßen, so gibt sie eine mit Gründen versehene Stellungnahme hierzu ab; sie hat dem Staat zuvor Gelegenheit zur Äußerung zu geben.

Kommt der Staat dieser Stellungnahme innerhalb der von der Kommission gesetzten Frist nicht nach, so kann die Kommission den Gerichtshof der Europäischen Union anrufen.

Bei der in Art. 258 AEUV erwähnten "Stellungnahme" der EU-Kommission handelt es sich - so die Kommission auf ihrer Homepage - "um eine förmliche Aufforderung, Übereinstimmung mit dem EU-Recht herzustellen."

Das Problem wird hierbei hinreichend deutlich: Wie soll Deutschland im vorliegenden Falle, in dem ein Urteil des BVerfG (vermeintlich) gegen EU-Recht verstößt, Übereinstimmung mit dem EU-Recht herstellen? Das BVerfG stützt sich im genannten Urteil auf einen Ultra-vires-Verstoß und die Befugnis zur Überprüfung, ob sich die EU-Organe innerhalb ihrer Kompetenzen bewegen, leitet das BVerfG aus dem Grundgesetz selbst ab. Das Argument lautet verkürzt: Die EU ist kein Staat; die Kompetenz-Kompetenz liegt weiterhin bei den Mitgliedstaaten und die grundgesetzlich geforderte Eigenstaatlichkeit Deutschlands wäre gefährdet, wenn sich die EU Kompetenzen anmaßt, die ihr nicht zustehen. Eine nationale Gesetzesänderung erscheint vor diesem Hintergrund nicht möglich, um den (vermeintlichen) EU-Rechtsverstoß abzustellen. Da die Eigenstaatlichkeit Deutschlands Teil der Ewigkeitsgarantie in Art. 79 Abs. 3 GG ist, besteht noch nicht einmal die Möglichkeit zu einer Grundgesetzänderung. Unter dem Grundgesetz wird es bei der Befugnis des BVerfG zur Ultra-vires-Kontrolle bleiben.

Es bestünde für Deutschland somit nur die Möglichkeit, auf das BVerfG selbst einzuwirken, um - auf welche Art und Weise auch immer - eine Urteilsänderung herbeizuführen. Dies aber würde offenkundig die Unabhängigkeit der Justiz gefährden. Die Unabhängigkeit der Justiz ist ein tragender Pfeiler des Rechtsstaatsprinzips, das wiederum zu den Grundprinzipien der EU gehört (vgl. Art. 2 EUV). Wie man es also dreht und wendet: Ein Vertragsverletzungsverfahren hat hinsichtlich des EZB-Urteils des BVerfG keinen Sinn. 

 

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75 Kommentare

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EU-Vertragsverletzungsverfahren/EZB-Urteil29 deutsche Staatsrechtslehrer wenden sich gegen das Vertragsverletzungsverfahren, das die EU-Kommission wegen des EZB-Urteils des Bundesverfassungsgerichts gegen Deutschland eingeleitet hat. In einem Aufruf, der im FAZ-Einspruch erschienen ist, wird das Vorgehen der Kommission scharf kritisiert. Es lege die Axt an die Grundlagen der europäischen Integration, heißt es dort. Die EU-Kommission wird aufgefordert, das Vertragsverletzungsverfahren nicht zu betreiben. Halte die Kommission am Vertragsverletzungsverfahren fest, würden die Fliehkräfte der europäischen Integration in einer Zeit gestärkt, in der sich Europa gemeinsam bewähren müsse. Zu den Unterzeichnern gehören u.a. Christoph Degenhart, Otto Depenheuer, Josef Isensee, Stefan Korioth, Karl-Heinz Ladeur, Dietrich Murswiek, Martin Nettesheim, Christian Starck und Christian Waldhoff. 

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Die LTO-Presseschau:

EU-Vertragsverletzungsverfahren/EZB-Urteil: Mit Äußerungen zu dem von der EU-Kommission eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland hat der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichtes Andreas Voßkuhle für Unmut gesorgt, schreibt die FAS (Thomas Gutschker/Konrad Schuller). In einer Diskussion hatte er zur Motivation der Kommission behauptet, sie wolle "auf kaltem Wege" in Europa "den Bundesstaat" einführen. Von der Vize-Kommissionspräsidentin Vera Jourová und dem früheren EuGH-Richter José Luís da Cruz Vilaça wurden die Vorwürfe zurückgewiesen. Auch mehrere Bundestagsabgeordnete kritisierten Voßkuhle.

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Die LTO-Presseschau:

EU-Vertragsverletzungsverfahren/EZB-Urteil: Rechtsprofessor Klaus Gärditz kritisiert im FAZ-Einspruch das Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Deutschland als "versuchten Staatsstreich von oben", weil es von einem umfassenden Vorrang des EU-Rechts ausgehe. Die EU-Kommission sei als Hüterin der Verträge auch unglaubwürdig, da sie ein institutionelles Interesse an der vom Bundesverfassungsgericht gerügten geringen Kontrolldichte durch den EuGH habe. Der EuGH sollte aber selbst ein Interesse an einer stärkeren Kontrolldichte haben.

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Die LTO-Presseschau:

Europäische Union: In einem Gastbeitrag für die FAZ nimmt der Rechtsprofessor Martin Nettesheim die Diskussion um ein mögliches Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen des EZB-Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Anlass, die Europäische Union als politisches und rechtliches Konstrukt und ihr Verhältnis zu den Mitgliedstaaten zu analysieren. Bereits eingangs weist er darauf hin, dass die Mitgliedstaaten Auftrag und Befugnisse der EU-Organe bestimmten. Zwar bezeichne sich die EU-Kommission als Hüterin der Verträge, wenn es jedoch deren Befugnis sei, die Werte Demokratie oder Rechtsstaatlichkeit für die Mitgliedstaaten zu definieren, nehme "sie diesen ein wesentliches Element konstitutioneller Autonomie aus der Hand."

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Die LTO-Presseschau:

EU-Vertragsverletzungsverfahren/EZB-Urteil: Rechtsprofessor Andreas Zimmermann hält in der FAZ das Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Deutschland für wohl unvermeidlich. Das Bundesverfassungsgericht habe die Grundlagen der EU als einer Rechts- und Wertegemeinschaft in Frage gestellt, die auf der zwingend einheitlichen Geltung des Unionsrechts basiert. Nur der EuGH könne Inhalt und Grenzen des Unionsrechts bestimmen, nicht ein nationales Gericht. Als Lösung des Konflikts schlägt der Autor eine Grundgesetzänderung vor, mit der die Überprüfungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts für Akte der EU-Organe einschließlich des EuGH begrenzt wird.

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Alternative: Austritt aus einer solchen Anmaßungs"gemeinschaft".

Dass Gerichte unabhängig sind, insbes. auch das Bundesverfassungsgericht, ist der EU-Kommission bekannt, so dass ausgeschlossen werden kann, dass ein Verstoß gegen diesen rechtsstaatlichen Grundsatz gefordert wird. Es bleibt die Problematik, dass sich das Bundesverfassungsgericht in EU-Sachen nicht dem EuGH fügt. Diese offenkundig streitige Unterstellung deutschen Verfassungsrechts unter EU-Recht könnte (verfassungs-)gesetzlich fixiert werden, womit der Kommission Genüge getan werden könnte.

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Die These, daß, wenn Jemanden irgendetwas bekannt ist, er deswegen dann nicht den Wunsch haben kann, auf etwas anderes zu drängen, erscheint mir nicht überzeugend, zumindest nicht zwingend im Sinne der Gesetze der Logik.

Etwaig zu implizieren, jeder wolle immer nur völlig legal und völlig legitim Ziele anstreben, wäre wirklichkeitsfern, und zwar nicht etwa nur im Hinblick auf Subkulturen, sondern überall, wo Meschen handeln, also auch in Exekutive, Legislative und Judikative.

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Man kann es wohl auch nicht von vorneherein ganz sicher ausschließen, daß die EUGH-Richter möglicherweise etwas befangen sein könnten, vor dem Hintergrund, daß, wenn sich die EU (im Streit über die Finanzen) auflöst, dann vielleicht wohl auch der EUGH aufgelöst würde, also die Richter dort ihre Jobs verlieren würden.

Demgegenüber dürften die Richter am Bundesverfassungsgericht vielleicht eher etwas unbefanger sein, da sie bei einem engeren Zusammmenwachsen der EU zwar vielleicht etwas an Bedeutung verlieren könnten, aber das Bundesverfassungsgericht würde auch dann nicht aufgelöst werden sondern in jedem Falle bestehen bleiben.

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Ein Vertragsverletzungsverfahren ist in meinen Augen an dieser Stelle völlig deplatziert. Keine Frage, dass die Entscheidung des BVerfG eine Ohrfeige für den EuGH war und auch absolut nachvollziehbar, dass Art und Weise des Urteils sowie die Missbrauchgefahr in der EU auf Unbehagen treffen. Allerdings sehe ich darin keinen Grund dafür, auf ein die staatsinterne Unabhängigkeit der Justiz gefährdendes Unterfangen hinzuwirken. Spätestens bei der im Rahmen des Verfahrens einzuholenden Äußerung Deutschlands wird dies auffallen müssen...

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Der Vorwurf des Bruchs der Unabhängigkeit der Rechtsprechung ist etwas seltsam. Der EuGH ist der Ober und in jeder Rechtsordnung muss sich der Under im Instanzenzug dem Ober beugen. Das EuGH ist auch ein Deutsches Gericht über dem BVerfG.

Es bleibt nur akzeptieren, Art. 50 (Austritt) oder Art. 48 (Vertragsänderung).  

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Auch wenn es fast nimand offen und ehrlich ausspricht: Aber vielen Leuten in der Legislative (Politikern) und in der Exkekutive (Spitzenbeamten in Berlin und Brüssel) ist das Grundgesetz und das Bundesverfassungsgericht offenbar wohl lästig.

Und viele Lehrer und Oberlehrer und Massenmedien und Hobby-Pädagogen versuchen der Bevölkerung viele Dinge als vermeintlich wichtigste Dinge einzutrichtern (zum Beispiel Ausstieg aus der Atomenergie, oder Reduzierung von CO2), aber, insbesondere in den letzten 20 Jahren, wird das Grundgesetz immer weniger hochgehalten und beachtet, und die Urteile des Bundesverfassungsgerichts werden immer häufiger als vermeintliche einzelne "Meinungsäußerungen" unter vielen anderen vermeintlich gleichwertigen abweichenden "Meinungen" dargestellt.

In den USA haben die Verfassung und das oberste Verfassungsgericht traditionell mehr Beachtung und einen höheren Achtungsanspruch, und insoweit sollten wir von den USA lernen (auch wenn die USA insbesondere in den letzten 20 Jahren zunehmend den Fehler machen, ihr oberstes Verfassungsgericht all zu sehr nach Parteienpropotz zu besetzen, und es dadurch vielleicht etwas zu sehr in parteilpolitische Auseinandersetzungen hineinziehen). Auch wenn es gegenwärtig vielleicht nicht mehr so gut wie früher um die Verfassung und das Verfassungsgericht in den USA bestellt ist, so können wir dennoch von deren Verfassungskultur lernen. 

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Das Grundgesetz hintert die deutsche Regierung daran, Deutschland als sourveränen Staat aufzugeben und Deutschland als Bundesstaat der EU zu unterstellen. Man kann versuchen diesen Konflikt zu überspielen, aber er wird ggf. wieder aufbrechen.

Will man ihn lösen, so bietet das Grundgesetz eine Möglichkeit, nämlich das Ersetzen des Grundgesetzes durch eine Verfassung, die Deutschland als europäischen Bundesstaat sieht. Eine solche Verfassung ist nach Art. 146 GG auch möglich. Denn das Grundgesetz hat, anders als gerne vorgetragen wird, keine eingebaute Ewigkeitsgarantie, sondern einen klar definierten Weg, wie es durch eine demokratisch legitimierte Verfassung abgelöst werden kann. Ob eine solche Transformation in einen europäischen Bundesstaat eine Mehrheit finden würde, ist eine andere Frage.

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Die Idee, über eine neue Verfassung perspektivisch den möglichen Weg in einen europäischen Bundesstaat zu ebnen, finde ich sehr interessant! Allerdings müsste auch dann der Grundsatz der Subsidiarität Verfassungsrang behalten, man könnte ihn allerdings besser konkretisieren. Auch aus gesamtdeutscher Sicht wäre eine „richtige“ Verfassung mit einigen im wesentlichen klarstellenden Korrekturen zum inzwischen doch sehr überladenen GG ein wichtiges Zeichen. Verbunden mit einer Inkraftsetzung im Sommer hätten wir dann auch endlich einen Nationalfeiertag, bei dem man auch draußen wirklich feiern kann!

Jedoch reichen Korrekturen in Deutschland nicht nur deswegen nicht aus, weil sie das Kompetenzproblem für die übrigen Mitgliedstaaten nicht lösen würden. Auch und vorrangig auf Seiten des Europarechts, zumindest aber in der Praxis der Kommission und des EuGH zum Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzip, sind deutliche Richtungskorrekturen, weg von der Hypereuropäisierung hin zur Konsolidierung, nötig. Schließlich brauchen wir mE ein „richtiges“ Europäisches Verfassungsgericht, das durch die Qualität seiner Entscheidungen wirkt und so für die nötige Akzeptanz und Überzeugungskraft des Unionsrechts sorgt. Auch unabhängig von einer Verfassungsänderung in Deutschland.

Im Übrigen kopiere ich hier meinen Kommentar zum Beitrag von Mayer auf dem Verfassungsblog ein.

„Weder dieses Urteil, noch das vom BVerfG angegriffene EuGH-Urteil, noch die vielen früheren Urteile dieser Gerichte (zuletzt Recht auf Vergessenwerden I, II), noch die vielen unterschiedlichen Einschätzungen der vielen Juristen zum Verhältnis dieser Gerichte untereinander sowie überhaupt des (verworrenen) deutschen (Verfassungs-)Rechts zum (verworrenen) europäischen (Primär- und Sekundär-)Recht sind wirklich zu verstehen. Auch nicht für die allerbesten Experten.

Die allumfassende Rechtunsicherheit ist inzwischen so groß, dass nicht nur die allgemeine Orientierung verloren geht, sondern auch der juristische Streit zunimmt und heftiger wird. Nicht wenige Antworten auf bestimmte Rechtsfragen (so man sie am Ende in Form einer Gerichtsentscheidung doch noch akzeptiert) grenzen an Willkür, so aufwendig sie juristisch auch begründet sein mögen. Schuld daran sind aber nicht die Gerichte, auch nicht der EuGH oder das BVerfG. Schuld ist die mangelhafte Gesetzgebung, die schlechte Qualität unserer Gesetze. Mit den vielfältigen Gründen dafür müssen sich Rechtswissenschaft und Politik endlich befassen, anstatt weiter lediglich an Symptomen herumzudoktern. Wie soll eine Rechtsgemeinschaft, wie soll der nationale und europäische Rechtsstaat dauerhaft funktionieren, wenn nicht einmal so etwas grundlegendes wie Gesetzgebungs- und Rechtsprechungskompetenzen auf höchster Ebene einigermaßen klar zugewiesen und gegeneinander abgegrenzt sind? Die extremen Divergenzen zwischen BVerfG und EuGH, die in diesem Urteil einen traurigen Höhepunkt erreichen, machen doch das Problem überdeutlich. Dennoch ziehen es die Juristen (wie auch der Autor dieses Beitrags und seine Kommentatoren) vor, mit rechtlichen Argumenten letztlich politisch Partei zu ergreifen, indem sie rechthaberisch auf der vermeintlich rechtlich korrekten, eher pro-nationalen bzw. pro-europäischen, Position beharren, anstatt das Grundproblem der fehlenden oder unklaren Rechtsgrundlagen zu thematisieren oder überhaupt zu sehen.

Dabei ist eigentlich offensichtlich, dass der Rechtsstaat, ja dass die ganze liberale Demokratie nur so gut sein kann wie das Recht, auf dem sie beruhen und das sie hervorbringen.

Die EU braucht keine grundlegenden Reformen. Sie muss, vorerst, nur konsolidiert werden, und zwar schlicht durch Vereinfachung und Verbesserung ihrer rechtlichen Verfassung und ihres einfachen Rechts. Dazu gehört allerdings auch die Schaffung eines europäischen Verfassungsgerichts. So wie bisher kann es einfach nicht weitergehen.“

Umgekehrt wird ein Schuh draus.

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Seltsam - in den Jahrzehnten ab 1957, Adenauer, Erhard, Hallstein, EWG, lebten die Mitglieder herrlich in Freuden, Frieden und wirtschaftlichem Wohlstand. Dies lohnt sich zu rekonstruieren. Das heißt, den pervers überzüchteten Moloch momentanen Zuschnitts  zurechtschneiden. Es reichen 3 - 4 % des Regelungs- und Beamtenwahns, geschätzt. 

Jahrzehntelang hat das BVerfG herumgeeiert mit Solange I etc. pp. und immer wieder angekündigt, sich eine (Letzt-)Prüfung auf Vereinbarkeit mit dem GG vorzubehalten.

Und nun tun alle überrascht und Herr Prantl, der offenbar nicht verkraftet, dass Vosskuhles ihm seinen Fake-Bericht über das gemeinsame Kochen bei ihnen zuhause zerschossen haben, erklärt jetzt das BVerfG zum Staatsagefährder, in völliger Verkennung, dass die EU noch lange kein Staat ist. 

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Das Vertragsverletzungsverfahren ist formal nicht ohne Aussicht auf Erfolg. Die Kommission leitet (wohl auf Beschwerde interessierter Kreise) seit einiger Zeit Vertragsverletzungsverfahren ein, wenn nationale Gerichte, deren Urteil nicht mehr angefochten werden kann, die (Pflicht-)Vorlage an den EUGH gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV versäumen, was immer mal wieder vorkommt. Wir kennen das noch nicht, weil in Deutschland der Fehler schon durch eine Verfassungsbeschwerde, gestützt auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG korrigiert werden kann. Das ist auch schon mehr als einmal passiert. Schon deshalb gelten deutsche Gerichte in Europa als manisch vorlagefreudig.

Ein solches Vertragsverletzungsverfahren liegt dem Urteil des EuGH Accor II vom 04.10.2018 (C-416/17) zugrunde. Da wurde die Französische Republik im Tenor des Urteils u.a. gerügt:

"... Die Französische Republik hat dadurch, dass der Conseil d’État (Staatsrat, Frankreich) den Gerichtshof der Europäischen Union nicht gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV angerufen hat, um die Frage zu klären, ob bei der Berechnung der Erstattung des Steuervorabzugs für ausgeschüttete Dividenden, den eine gebietsansässige Gesellschaft auf die Weiterausschüttung von Dividenden gezahlt hat, die eine gebietsfremde Gesellschaft über eine gebietsfremde Tochtergesellschaft ausgeschüttet hat, die Berücksichtigung der Besteuerung der entsprechenden Gewinne auf der Ebene der Tochtergesellschaft abzulehnen ist, obwohl die Auslegung der Vorschriften des Unionsrechts, die der Conseil d’État in den Urteilen vom 10. Dezember 2012, Rhodia (FR:CESSR:2012:317074.20121210), und vom 10. Dezember 2012, Accor (FR:CESSR:2012:317075.20121210), vorgenommen hat, nicht derart offenkundig war, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum geblieben wäre, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 267 Abs. 3 AEUV verstoßen. ..." (siehe auch "Vertragsverletzungs­verfahren als scharfes Schwert: Die erste Verurteilung eines Mitgliedstaats wegen justiziellen Unrechts").

Da jedes Gericht auch Teil des Vertragsstaats ist, kann eine Verletzung von Pflichten durch ein Gericht auch zu einer Verurteilung im VVV führen. Die Besonderheiten hier: 1. das BVerfG hat gem. Art. 267 AEUV den EuGH angerufen und danach das EuGH-Urteil nicht umgesetzt, und 2. das BVerfG ist selbst Verfassungsorgan.

Damit wird das Urteil des BVerfG nicht einfach aus der Welt geschafft, sobald ein VVV deswegen beginnt. Die Richter des BVerfG werden sich schon überlegt haben, dass die Kommission sich ihre Kräfte gut einteilen muss und Deutschland nicht einfach wegen dieses Urteils vor's Schienenbein treten kann. Was jetzt folgt, dürfte Politik sein, denn das Urteil selbst entwickelt ja keine unmittelbare Wirkung. Es müsste vielmehr umgesetzt werden. Und genau das wird auch passieren.

Übrigens ist es ja auch nicht von der Hand zu weisen, dass die Politik der EZB den deutschen Staat "über Bande" (durch Haftungsregeln) viel Geld kosten kann und wird, ohne dass im Bundestag auch nur eine Rede gehalten oder eine Hand gehoben werden müsste. Das ist schon recht fremdartig, wenn man das Budget als die Königsdisziplin des Parlaments ansieht.

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Meiner Meinung ist das Urteil ökonomisch völliger Blödsinn (die EZB hat den Euro und letztlich die Wirtschaft in der EU gerettet), juristisch höchst problematisch (wie der Streit zeigt) und politisch Sprengstoff (wie u.a. die polnische Reaktion zeigt). "Ultra vires" ausgerechnet da tätig zu werden, wo es um eine auf deutschen Wunsch unabhängige Europäische Zentralbank geht, für die justiziell nur der EuGH zuständig sein kann, halte ich für absurd.

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Gästle, 05-15    08:32 Uhr - Ihre Darlegung halte ich für stark unterkomplex. Ich habe mir das differenziert begeisternde "Vergnügen" gemacht, dieses Urteil im Ausdruck komplett zu lesen, insbesondere die Begründung. Zu Ihren  Erwägungselementen:

1.) Nach der mit Angabe der Vertragsgrundlage durch das BVerfG im Rahmen der begrenzten Einzelkompetenzübertragung auf die überstaatliche Einheit EU mag Rettung des EURO zu den Kompetenzen der EUund der EZB gehören, direkte Wirtschaftspolitik eben nicht. Die Mitwirkung zu einer Wirtschaftspolitik erlaubt vor allem nicht eine Handhabung, die vom BVerfG sehr konkret und drastisch dargelegten Folgen für die Entmachtung des deutschen Parlaments im Haushaltsrecht zu legitimieren.

2.) Streit belegt  mitnichten, dass das Urteil juristisch höchst problematsch sei. Er belegt nur, dass das Urteil einigen Schreihälsen "nicht passt". Wie Wilhelm II: "Die janze Richtung passt mir nich."

3.) Sprengstoff behandeln auch Bombenentschärfer der Regierungspräsidien. Das Ruhrgebiet hat reiche Erfahrung damit. Man wirft ihnen nicht vor, den anderweitig platzierten Sprengstoff  zu entschärfen. GB hat sich ja bereits , wenn man  in diesem Bild bleiben will, selbst abgesprengt. Die berechtigte Wut über Anmaßungen der EU ist in der Tat weiter verbreitet. Verfassungs- und völkerrechtlich kann ich jedenfalls sehr gut verstehen, wenn einige Völker in ihren Ländern die Dreiheit "Staatsvolk, Staatsgebiet, Staatsgewalt" eisern hochhalten und in demokratischer Weise SELBST darüber entscheiden wollen, wie ein privater Hauseigentümer, welche Eindringlinge sie hereinlassen wollen und welche Einbrecher nicht ( vgl. Papier NJW 2016, 2391-2396). Anmaßende EU-liche Terrorisierung solcher Völker hat bereits den Sprengstoff gelegt. 

4.) Die EZB sollte in der Tat "unabhängig" sein. Das heißt, insbesondere nicht etwa willfähriges Hündchen für Bankrotteurstaaten. Unbhängig bedeutet aber nicht rechtlich bindungsfrei. Das gilt ja auch nach Ihrer Auffassung, wenngleich Sie sie nur der Rechtskontrolle durch den EuGH unterstellen wollen. Ich freue mich sehr darüber, dass das BVerfG bei zutreffender Wahrnehmung , dass die EZB bei auch EU-vertraglich nicht abgedecktem Verhalten, das also nach dem Prinzip der spezifizierten Einzelkompetenzübertragung nicht von der Kompetenzübertragung durch die deutsche verfassungsbasierte Demokratie gedeckt ist, wegen folglich unzulässigen Eingriffs in deutsche Verfassungs- Parlamentsrechte deutsche Verfassung effektiv schützt.

5.) Bei letzterem kommen meine Bedenken am Urteil. Es ist schwächlich. Vielleicht unvermeidlich sind Handlungsadressaten zur Umsetzung nur deutsche Organe. Welche konkret greifbaren Mittel es sein sollen, die sie anzuwenden haben, wird mir aus dem Urteil nicht klar, mit Ausnahme des Verbots an die Bundesbank, an unzulässigen  Anleihekaufprogrammen  mitzuwirken. Die mir auf der Hand liegende klare Erklärung bereits der geschehenen Programme als verfassungswidrig und kompetenzlos, unberechtigt, ultra vires, unterlässt das insoweit unangenehm feige BVerfG , manches sei "noch" so gerade eben eventuell zulässig und nicht "offensichtlich" verfehlt. Einem Messerstecher und Mörder gibt man nicht noch drei Monate Gelegenheit, sein Tun mit einer "Begründung" zu versehen.

 

Frau Dr. Barley empfiehlt  ja, stets auch den Blick zurück zu werfen und für heute auszuwerten. Goebbels nannte den Reichstag eine "Quatschbude". War es auch lallender Quatsch, wenn 1998 im Deutschen BUndestag Bundeskanzler Kohl und Finanzminister Weigel höchst feierlich und intensiv  versprachen, Deutsche würden niemals und unter keinen Umständen für Defizite und Schulden anderer Staaten und Völker haften? Will man das heute auch demokratisch , weil im Bundestag versprochen, als haltlosen Quatsch abtun?

Bei der EU in Brüssel plant Frau von der Leyen derzeit ungeachtet der Rechtsprechung wohl, daß sie für die EU 750 Milliarden Schulden aufnehen soll, wovon dann auch Deutschland einen Teil zurückzahlen soll. Begründung soll sein, daß in der EU der Corona-Virus Schäden angerichtet habe, und daß deshalb für die EU ein sogenantes "Wiederaufbauprogramm" erforderlich sei.

Es besteht also in Brüssel nach wie vor der Wille, Schulden aufzunehmen.

Nicht nur durch Guthaben gewinnt an an Bedeutung, sondern auch durch Schulden.

Je mehr Schulden an hat, desto wichtiger (oder systemrelevanter) wird man.

Und in Brüssel liebt an es wohl, wichtig zu sein.

Vielleicht sogar sehr.

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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier darf das Ratifizierungsgesetz über den gemeinsamen EU-Fonds zur Bekämpfung der Pandemie-Folgen vorerst nicht unterzeichnen. Bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung dürfe das Gesetz nicht ausgefertigt werden, teilte das Gericht in Karlsruhe mit. Erst kurz zuvor hatte der Bundesrat einstimmig für die Vorlage gestimmt.

Grund ist eine mit einem Eilantrag verbundene Verfassungsbeschwerde gegen den enthaltenen 750 Milliarden Euro schweren Corona-Wiederaufbaufonds, die ein Bündnis um den früheren AfD-Chef Bernd Lucke kurz zuvor eingereicht hatte.

Das meldete jedenfalls heute die Internetseite der ARD-Tagesschau.

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Die Europaparlament-Grünen um Giegold streben anscheinend wohl danach, schrittweise zu ihren Gunsten den Bundestag zu entmachten, insbesondere was das Haushaltsrecht bzw. die Finanzpolitik angeht. 

Die Bundestagsfraktion der Grünen scheint jedoch am Haushaltsrecht des Bundestages festhalten zu wollen, und hatte heute mit einer diesbezüglichen Klage in Karlsruhe wohl insoweit Erfolg, als daß der Bundestag konkreter informiert werden muss:

siehe: https://www.tagesschau.de/inland/karlsruhe-bundestag-101.html

 

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Ja, Gst 05-26  17:16. gewisse Inititativen von Linke, Grüne und AfD zur Steigerung der Regierungstransparenz sind äußerst begrüßenswert. Nicht nur innerhalb der CDU wurde "Hinterzimmer"-Vorgehen wahrgenommen.

Parteigrenzen scheinen dabei nicht stets die entscheidende Rolle zu spielen.

Einige Grüne wünschen sich wohl mehr Demokratie, andere wohl eher weniger.

Und insbesondere außenpolitischen Fragen hat anscheinend wohl fast jeder einzelne Abgeordnete fast jeder Partei individuell seine ganz eigenen Freunde oder Feindbilder, oder Rücksichtnahmen oder Ziele oder Sympathien oder Antipathien, auch wenn sich davon dann Gruppen in informellen Kreisen und Netzwerken zusammentun.

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