BAG zu den Grenzen tariflicher Regelungsmacht

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 19.05.2020
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|2264 Aufrufe

Nach einer längeren - der Corona-Pandemie geschuldeten - sitzungslosen Zeit meldet sich das BAG wieder zurück. Ein neueres Urteil des BAG (13. Mai 2020 - 4 AZR 489/19) steckt einmal mehr die Grenzen der tariflichen Regelungsmacht im Verhältnis zur Vertragsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien ab. Das Grundproblem ist nicht neu und wurde bereits intensiv im Hinblick auf Differenzierungs- und Effektivklauseln unterschiedlichster Spielarten diskutiert. In der jetzt ergangenen Entscheidung des BAG stellt es sich in einer neuen Einkleidung: Der Arbeitsvertrag der Klägerin, welche Mitglied der IG Metall ist, enthält keine Bezugnahme auf Tarifverträge. Die beklagte Arbeitgeberin war zunächst nicht tarifgebunden, schloss aber im Jahr 2015 mit der IG Metall einen Mantel- und einen Entgeltrahmentarifvertrag, nach denen „Ansprüche aus diesem Tarifvertrag [voraus]setzen …, dass die Einführung des Tarifwerks auch arbeitsvertraglich nachvollzogen wird“. Dazu sollte eine Bezugnahmeklausel mit dem Inhalt vereinbart werden, dass sich das Arbeitsverhältnis „nach dem jeweils für den Betrieb aufgrund der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers … geltenden Tarifwerk“ richtet. Dieser Weg wird mitunter eingeschlagen, um durch einen Firmentarifvertrag einem bestehenden Anpassungsbedarf auf der arbeitsvertraglichen Ebene nachzukommen, also die Arbeitsbedingungen zu reparieren bzw. zu vereinheitlichen. Das Angebot zum Abschluss eines neuen Arbeitsvertrags, der ua. eine Bezugnahmeklausel entsprechend den tarifvertraglichen Regelungen vorsah, nahm die Klägerin allerdings nicht an. Mit der vorliegenden Klage verlangt sie die Zahlung von Differenzentgelt auf der Grundlage der Bestimmungen des Mantel- und Entgeltrahmentarifvertrags. Das BAG hat der Klägerin im Ergebnis recht gegeben. Ihr stünden schon aufgrund der beiderseitigen Tarifgebundenheit Ansprüche aus den Tarifverträgen zu. Diese könnten nicht von den vorgesehenen individualrechtlichen Umsetzungsmaßnahmen der Arbeitsvertragsparteien abhängig gemacht werden (§ 4 Abs. 1 TVG). Auch das durch § 4 Abs. 3 TVG geschützte Günstigkeitsprinzip stehe einer solchen Regelung entgegen. Die tarifvertraglichen Bestimmungen, die eine „arbeitsvertragliche Nachvollziehung“ verlangen, sind daher unwirksam. Eine solche Bestimmung liege außerhalb der tariflichen Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien.

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