Fehler im Betriebssystem – Der neue JMStV-Eilentwurf der Länder

von Prof. Dr. Marc Liesching, veröffentlicht am 24.05.2020
Rechtsgebiete: MedienrechtJugendschutzrecht|8616 Aufrufe

Der vormalige Versuch einer JMStV-Reform ist noch nicht durch alle Landesparlamente und in Kraft getreten (vgl. Bayer. LT-Drs. 18/7640, S. 69 ff.). Da verbreiten die Länder am Freitag schon den nächsten Regelungsanlauf in einem „Diskussionsentwurf für eine Novellierung des Jugendmedienschutzstaatsvertrages“.  Getrieben werden sie durch das Bundesfamilienministerium (BMFSFJ), das schon am morgigen Montag beim eigenen Jugendschutzgesetz-Entwurf in einem Fachgespräch der Regierungsfraktionen Nägel mit Köpfen machen könnte. Das kurz vor diesem Wochenende am Freitag Spätnachmittag überraschend verbreitete Gegenpapier der Länder soll dies im letzten Moment sabotieren. Handwerkliche, orthographische, grammatikalische und sprachstilistische Mängel deuten auf eine eher eilige Abfassung hin. Vor allem aber kopiert der neue JMStV-Entwurf Teile des JuSchG-Novellenentwurfs des BMFSFJ. Hinzu kommen einschneidende Restriktionen für gerätebasierte Betriebssysteme – freilich ohne entsprechende Gesetzgebungskompetenz und mit der Historie des schon vormaligen gesetzgeberischen Scheiterns.  

Dürfen Länder Betriebssysteme gesetzlich regeln?

Zum ersten Mal in der Geschichte der Ländergesetzgebung zum Jugendmedienschutz sollen nach dem neuen JMStV-Diskussionsentwurf nicht nur Rundfunk- und Telemedienanbieter, sondern nunmehr – vor allem im Ausland ansässige – Hardware- und Software-Hersteller als Normadressaten gesetzlich in die Pflicht genommen werden. Sie sollen Betriebssysteme wie iOS und Windows für restriktive deutsche Jugendschutzeinstellungen umprogrammieren, u.a. mit einer default-Nutzereinstellung „unter 18 Jahren“. Mithin wird bei jedem Erwerber eines Smartphones oder eines Windows-PCs grundsätzlich seine Minderjährigkeit vermutet. Überdies ist angedacht, dass Betriebssysteme „nicht gekennzeichnete Inhalte selbst prüfen“ müssen.

Noch restriktiver verlangt § 12a JMStV-E von „reichweitenstarken Anbietern von Telemedien mit redaktioneller Verantwortung“ – z.B. Influencern mit „mehr als 100.000 Nutzern pro Monat“ – das Auslesen des über das Betriebssystem übermittelten Alters der Nutzer und eine „softwarebasierte Sicherstellung“, dass entwicklungsbeeinträchtigende Angebote nicht zugänglich sind. Da als Default-Einstellung im Nutzer-Betriebssystem die Altersstufe „unter 18 Jahren“ eingestellt ist, könnte sich in praxi ein erhebliches Vorab-Blocking von redaktionellen Inhalten gegenüber dem Nutzer ergeben – und ein faktischer Zwang zur Alterskennzeichnung für Anbieter redaktioneller Telemedien. Dem 14. Rundfunkänderungsstaatsvertrag ist noch 2010 wegen weit weniger strengen Regelungen die landesparlamentarische Zustimmung verweigert worden.

Ungeachtet der verfassungsrechtlichen Bedenken gegenüber derart weitreichenden, (betriebs-)systemischen Restriktionen der Zugänglichkeit von Telemedien ist schon fraglich, woraus für Betriebssystem-Regelungen eine Gesetzgebungskompetenz der Bundesländer hergeleitet werden kann. Im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz ist den Ländern im Jugendschutz nur die Regulierung von Rundfunk und Telemedien belassen – hinsichtlich letzterer überdies nur, soweit der Bund nicht von seiner Gesetzgebungskompetenz im Jugendschutz (vgl. BT-Drs. 14/9013, S. 17) Gebrauch macht.

Betriebssysteme haben den operativen Zweck des Betriebs eines Gerätes im Sinne eines physischen Medienträgers. Sie sind keine Telemedien, auch nicht im Sinne einer Internetzugangsvermittlung. Da der Bund aber den Jugendmedienschutz in Bezug auf physische Träger (vgl. § 1 Abs. 2 S. 1 JuSchG) abschließend geregelt hat, erscheint zweifelhaft, ob die Länder ungeachtet der Sperrwirkung des Art. 72 GG nun einfach ihre Regulierungskompetenz über Rundfunk und Telemedien hinaus auch auf Hardware-bezogene Betriebssysteme und bußgeldbewehrte Restriktionen gegen Gerätehersteller erstrecken können.

Schon auf der Grundlage der Bund-Länder-Vereinbarungen 2002 ist mit Inkrafttreten des JuSchG den Ländern neben dem Rundfunk nur eingeschränkt die Regulierung in Bezug auf „Telemedien“ verblieben. Neben Rechtsfolgen zu indizierten Telemedien (§ 16 JuSchG) betrifft dies abschließend nur „Regelungen über  Jugendschutzbeauftragte,  Freiwillige  Selbstkontrolle und Filterprogramme sowie jugendbeeinträchtigenden Telemedien“ (BT-Drs. 14/9013, S. 24 f.).  Betriebssysteme sind aber weder Telemedien noch sind sie Filterprogramme.

Plagiat statt Verzahnung – Dürfen Länder Bundesregelungen kopieren?

Neben den außerhalb der Gesetzgebungskompetenz stehenden Ländervorschlägen zu „Betriebssystemen“ übernimmt der JMStV-Diskussionsentwurf im Wesentlichen die Regelungsideen des aktuellen JuSchG-Entwurfs des Bundes. Dies betrifft insbesondere die breit kritisierte Berücksichtigung von inhaltsunabhängigen Kommunikationsrisiken und auch Vorsorgemaßnahmen nach § 24a JuSchGÄndG-E. Die nun auch auf Länderseite vorgeschlagenen Normen sind dem Bundesvorschlag so ähnlich, dass auf der Hand liegt, dass sie kurzerhand abgeschrieben worden sind. Hierbei bleibt allerdings unklar, worauf die Copy-Paste-Attacke der Länder rechtspolitisch abzielt und wohin sie führen wird. Hinzuweisen ist jedenfalls auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu inhaltsgleichen Regelungen von Bund und Ländern im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung.

Hat der Bund danach einen Sachbereich in Wahrnehmung einer konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz abschließend geregelt, so tritt die Sperrwirkung des Art.  72 Abs.  1 GG für eine Regelung der Länder in diesem Sachbereich unabhängig davon ein, ob die landesrechtlichen Regelungen den bundesrechtlichen Bestimmungen widerstreiten oder sie nur ergänzen, ohne ihnen zu widersprechen (BVerfGE 20, 238, 250; BVerfGE 102, 99, 102, 115; BVerfGE 109, 190, 230). Die Länder sind nicht berechtigt, eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz dort in Anspruch zu nehmen, wo sie eine abschließende Bundesregelung für unzulänglich und deshalb reformbedürftig halten. Das GG weist ihnen insbesondere nicht die Aufgabe zu, kompetenzgemäß getroffene Entscheidungen des Bundesgesetzgebers „nachzubessern” (vgl. BVerfGE 36, 193, 211 f.; BVerfGE 85, 134, 147; BVerfGE 98, 265, 300; BVerfGE 109, 190, 230). Die Sperrwirkung gilt auch dann, wenn Bundesgesetz und Landesgesetz inhaltsgleich sind (BVerfGE 109, 190, 230).

Haben die Länder das unionsrechtliche Herkunftslandprinzip verstanden?

Fast alle Regulierungsvorschläge des JMStV-Diskussionsentwurfs zielen auf „reichweitenstarke“ Anbieter von Telemedien, Intermediäre, Medienplattformen und Video-Sharing-Dienste.  Dabei dürfte den Staatskanzleien geläufig sein, dass ein Großteil solcher Anbieter ihren Sitz in anderen EU-Mitgliedstaaten hat.  Auch die vorgeschlagenen Restriktionen bei Betriebssystemeinstellungen unterscheiden nicht nach Diensten von Anbietern im Inland und solchen aus anderen EU-Mitgliedstaaten.

In der MPK-Beschlussfassung des (übrigens erst gar nicht notifizierten) JMStV-Entwurfs,  war von einer Beachtung des Herkunftslandprinzips nach Art. 3 ECRL und des Art. 3 AVMD-RL noch nicht die Rede. Nunmehr findet sich im aktuellen Entwurf ein Verweis auf die Beachtung dieser zentralen und zwingenden europarechtlichen Grundsätze immerhin in § 2 Abs. 1 S. 2 – allerdings noch in eckigen Klammern. So richtig sicher ist man sich hiernach wohl noch nicht, ob man Unionsrecht diesmal beachten will oder ob man abermals – wie im Medienstaatsvertrag - den Weg der Europarechtswidrigkeit vorziehen möchte (ausführl. zum Herkunftslandprinzip im Kontext der aktuellen Mediengesetzgebung: Liesching, Beilage MMR 6/2020).

Auch insoweit ist der JuSchG-Novellierungsvorschlag des BMFSFJ zumindest einen Schritt weiter. Dort bekennt man sich klar zu den europarechtlichen Vorgaben der ECRL und der AVMD-RL und nimmt etwaige faktische Einschränkungen der nationalen Jugendschutzregulierung in gleichem Maße hin wie man es auch von anderen EU-Empfangsstaaten in Bezug auf deutsche Diensteanbieter erwartet.

Weitere Medienverspartung statt Konvergenz

Das neue Eilpapier zum JMStV enthält schließlich keine Ansätze einer Vereinheitlichung der weiter nach Mediensparten differenzierenden Pflichten und Rechtsfolgen im Jugendmedienschutz. Dabei war dies ursprünglich eine rechtspolitische Hauptmotivation einer Modernisierung des Jugendmedienschutzes insgesamt. Das in der Praxis gescheiterte und nicht mehr genutzte Durchwirkungsverfahren eines 3-Stop-Shops (§ 5 Abs. 2 S. 3 JMStV) wird nicht angerührt. Statt dessen werden die weder trennscharfen noch inhaltlich bestimmten, neuen Mediensparten des Medienstaatsvertrags („Medienintermediäre“, „Medienplattformen“, „Video-Sharing-Dienste“) sowie die neue Kategorie „Betriebssysteme“ mit komplexen differenzierenden Regelungen in den JMStV gepflanzt.

Letzter Salutschuss auf der JMStV-Titanic?

Wer dachte, nach der Kritik der Bundesländer am BMFSFJ-Entwurf des Jugendschutzgesetzes käme ein besserer JMStV-Entwurf, wird enttäuscht. Stattdessen wird der Unterbietungswettbewerb möglichst umfänglicher Absenz mutiger, zeitgemäßer und kohärenter Jugendschutzregulierung mit deutlichem Vorsprung gewonnen.

Die Inhalte des neuerlichen JMStV-Novellierungsversuchs sind nicht ganz frei von dem Fluidum der Torschlusspanik, dass der Bund mit der Besetzung weiterer Regulierungsfelder – nicht zuletzt wegen der jahrelangen Untätigkeit der Länder – enteilt sein könnte. Als etwas dürftig mag vor diesem Hintergrund im Rahmen des Fachgesprächs am morgigen Montag interpretiert werden, dass Sachsen, Rheinland-Pfalz und Co sich bei ihrem Wochenend-Überraschungscoup auf das Abschreiben von JuSchG-Vorschlägen aus dem Hause Giffey und den Griff in die Betriebssystem-Mottenkiste vergangener gescheiterter Regulierungsversuche (vgl. 14. RfÄndStV und § 11 Abs. 1 S. 4 Nr. 2 JMStV-19. RfÄndStV-E) beschränkt haben.  

Angesichts des kalkulierten, gegen das BMFSFJ gerichteten Affronts am Freitag scheinen die Länder Sabotagebemühungen einer gemeinsamen, konstruktiven Jugendschutzlösung mit dem Bund den Vorzug zu geben. Abgesehen von der Verfassungswidrigkeit kommuniziert ihr Plagiat aber auch, dass man das Geklaute gar nicht so schlecht findet. Die Länder als Claqueure des Bundesentwurfs? – Ein Eindruck, der sicher nicht beabsichtigt war.

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