Verhinderte Akteneinsicht in Messreihe? Verfahrensrüge ist schwierig!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 06.06.2020
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|2472 Aufrufe

Verteidiger ärgern sich oft über die Akteneinsichtsrechtsprechung in OWi-Sachen. Während in früheren Jahrzehnten der Analogfotografie bei Sachverständigengutachten die Auswertung des gesamten Messfilms Standard war, bedeutet digitale Technik nun auch einen enger gezogenen Datenschutz: Messreiehen werden in der Regel nicht mehr herausgegeben. Auch beim AG Frankenthal hatte ein Betroffener mit einem enstprechenden Antrag kein Glück. Die Rechtsbeschwerde war erfolglos. Wie so oft wurden die Begründungsanforderungen vom OLG sehr hoch angesiedelt...so hoch, dass die Verfahrensrüge nicht greifen konnte:

 

1. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 15. August 2019 wird als unbegründet verworfen.

 2. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

 Gründe: 

 Das Amtsgericht hat den Betroffenen nach dessen wirksamen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid des Polizeipräsidiums Rheinpfalz vom 9. April 2019 (Az.: 23.2001152.6) wegen vorsätzlichen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 68 km/h zu einer Geldbuße von 1.000,-- EUR verurteilt und ein Fahrverbot von zwei Monaten angeordnet.

 Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner auf die Beanstandung der Verletzung materiellen und förmlichen Rechts gestützten Rechtsbeschwerde.

 Der Einzelrichter des Senats hat die Sache gem. § 80a Abs. 3 S. 1 OWiG mit Beschluss vom heutigen Tag an den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

 Das Rechtsmittel erzielt keinen Erfolg.

 I.

 Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr der Betroffene am 15. Februar 2019 um 02:47 Uhr mit einem PKW die BAB 61 im Bereich der Gemarkung Lambsheim in Fahrtrichtung Speyer. Dabei fuhr er, anstatt die durch Verkehrsschilder angeordnete zulässige Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h einzuhalten, mit einer Geschwindigkeit von 198 km/h. Der Tatrichter ist, nachdem der Betroffene weder ein Übersehen der Verkehrszeichen behauptet, noch ein sonstiger Anhaltspunkt für ein solches Geschehen gegeben war, von vorsätzlichem Verhalten ausgegangen. Das nach Nr. 11.3.9 BKat bestimmte Bußgeld hat er verdoppelt und im Hinblick auf Voreintragungen im Fahreignungsregister auf 1.000,-- EUR erhöht. Ein Absehen von der Anordnung des Regelfahrverbots gem. § 4 Abs. 4 BKatV hat der Bußgeldrichter geprüft und abgelehnt.

 II.

 Das Rechtsmittel ist zulässig. Der Verteidiger hat mit Schriftsatz vom 6. September 2019 hinreichend klargestellt, dass sich die Rechtsbeschwerde gegen das im Rubrum genannte Urteil und nicht - wie im Schriftsatz vom 16. August 2019 fälschlich angegeben - gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 1. August 2019 richtet. Insofern ist mit der Generalstaatsanwaltschaft von einem Diktatversehen auszugehen, das im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung des Rechtsmittels unbeachtlich ist.

 III.

 Die Rechtsbeschwerde ist jedoch unbegründet.

 1. Die auf die nicht näher ausgeführte Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils hat keinen den Betroffenen benachteiligenden Rechtsfehler ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG).

 2. Die daneben erhobene Verfahrensbeanstandung dringt ebenfalls nicht durch. Weder hat das Amtsgericht das Recht des Verteidigers auf Akteneinsicht (§ 147 StPO i.V.m. § 46 OWiG) verletzt, noch hat es durch die Zurückweisung des in der Hauptverhandlung vom 15. August 2019 gestellten Aussetzungsantrags das Verteidigungsrecht des Betroffenen in entscheidungserheblicher Weise unzulässig beschränkt (§ 338 Nr. 8 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG).

 a) Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:

 Mit Schriftsatz vom 23. April 2019 hat der Verteidiger des Betroffenen unter Vorlage einer Vollmacht Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt und Akteneinsicht erbeten. Mit Schreiben der Verwaltungsbehörde vom 25. April 2019 wurde dem Verteidiger die Bußgeldakte zur Einsicht übersandt. Mit Schriftsatz vom 22. Mai 2019 hat der Verteidiger eine Ergänzung der Akteneinsicht beantragt, weil sich - von ihm näher aufgeführte - Unterlagen (u.a. „die gesamten Falldatensätze inklusive unverschlüsselter Rohmessdaten der gesamten Messreihe“) nicht bei der übersandten Akte befunden hätten. Aufgrund Verfügung der Verwaltungsbehörde vom 27. Mai 2019 wurde dem Verteidiger eine CD übersandt, die folgende Dokumente enthielt: „Gebrauchsanweisung“, „Schulungsnachweise Auswerter“, „XML-Datei“, „einzelne Falldatei/Token/Passwort“, „Bild mit Schlüsselsymbol“, „entschlüsselte / konvertierte Bilder“, „Softwareversion (tuff-Viewer)“. Mit Schriftsatz vom 11. Juni 2019 hat der Verteidiger moniert, dass der Datenträger entgegen seinem Antrag nicht die „gesamte Messreihe“ enthalten habe. Mit Schreiben vom 19. Juni 2019, beim Verteidiger eingegangen am 25. Juni 2019, hat die Verwaltungsbehörde mitgeteilt, dass ein Anspruch auf Beiziehung der „kompletten Messreihe“ nicht bestehe, und eine Übersendung dieser Daten abgelehnt. Am 24. Juni 2019 hat die Verwaltungsbehörde die Sache an die Staatsanwaltschaft abgegeben. Mit Schriftsatz vom 27. Juni 2019 hat der Verteidiger unter Bezugnahme auf die Mitteilung der Verwaltungsbehörde vom 19. Juni 2019 gerichtliche Entscheidung beantragt. Mit Schreiben vom 11. Juli 2019, das am 17. Juli 2019 beim Verteidiger einging, hat das Amtsgericht ihm mitgeteilt, dass die Bußgeldakte durch die Staatsanwaltschaft zur Entscheidung über den Einspruch vorgelegt worden sei. Mit Schreiben vom 17. Juli 2019, beim Verteidiger eingegangen am 23. Juli 2019, hat das Amtsgericht darauf hingewiesen, dass „nunmehr“ der Antrag vom 27. Juni 2019 vorliege und von der Unzulässigkeit des Antrages aufgrund prozessualer Überholung auszugehen sei. Unter dem 29. Juli 2019 hat der Verteidiger mitgeteilt, dass er den Antrag auf Überlassung der „kompletten Messreihe“ weiterverfolge. Mit Beschluss vom 1. August 2019 hat das Amtsgericht den Antrag als unzulässig verworfen, weil dieser erst nach Abgabe des Verfahrens an das Gericht gestellt worden sei. Im Übrigen sei der Antrag auch nicht begründet, weil ein Anspruch auf Überlassung der Rohmessdaten der gesamten Messreihe nicht bestehe. Im Hauptverhandlungstermin vom 15. August 2019 hat der Verteidiger die Aussetzung des Verfahrens wegen unvollständiger Akteneinsicht beantragt, weil ihm die „komplette Messreihe“ nicht übersendet worden sei. Diesen Antrag hat der Bußgeldrichter durch Beschluss ohne nähere Begründung zurückgewiesen.

 b) Die Ablehnung eines in der Hauptverhandlung gestellten Antrages auf Beiziehung und Einsichtsgewährung in nicht bei den Akten befindliche Falldatensätze verletzt grundsätzlich weder den Anspruch auf Akteneinsicht (§ 147 StPO, § 46 OWiG) noch den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör. Das Akteneinsichtsrecht des Betroffenen bezieht sich nur auf das gegen ihn geführte Verfahren, nicht hingegen auf Aktenbestandteile anderer Verfahren (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.7.2015 - IV-2 RBs 63/15, NZV 2016, 140, 141; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 08.05.2019 - 2 Rb 7 Ss 202/19, juris Rn. 4). Ein Anspruch auf Erweiterung des vorhandenen Aktenbestandes lässt sich aus § 147 StPO nicht herleiten (Cierniak/Niehaus, NStZ 2014, 527). Bei dem Antrag auf Beiziehung entsprechender Unterlagen handelt es sich vielmehr in der Sache um einen Beweisermittlungsantrag, dessen Ablehnung nur unter Aufklärungsgesichtspunkten (§ 244 Abs. 2 StPO) gerügt werden kann (Senat, Beschluss vom 28.02.2018 - 1 OWi 2 Ss Bs 106/17, NStZ-RR 2018, 156; OLG Bamberg, Beschluss vom 13.06.2018 - 3 Ss OWi 626/18, juris Rn. 4 jew. m.w.N.).

 c) Uneinheitlich behandelt wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung demgegenüber allerdings die Frage, ob der Betroffene gegenüber der Verwaltungsbehörde einen Anspruch auf Einsicht in andere Verkehrsteilnehmer betreffende Falldatensätze hat und ob und ggfs. unter welchen Voraussetzungen durch die Verweigerung einer Einsichtnahme in diese Unterlagen eine vom Gericht zu beachtende Beschränkung der Verteidigung bewirkt sein kann (s.a. KG Berlin Beschluss vom 05.12.2018 - 3 Ws (B) 266/18, juris Rn. 16).

 aa) Teilweise wird ein Anspruch des Betroffenen gegenüber der Verwaltungsbehörde auf Einsicht in Falldatensätze Dritter generell verneint (OLG Koblenz, Beschluss vom 17.07.2018 - 1 OWi 6 SsBs 19/18, juris Rn. 29, 32; AG Landstuhl, Beschluss vom 23.05.2019 - 2 OWi 27/19, juris Rn. 7) bzw. allenfalls dann in Betracht gezogen, wenn der Betroffene gegenüber der Behörde tatsachenfundiert vorträgt, warum er diese Unterlagen benötigt. Der Hinweis auf Behauptungen von Privatsachverständigen könne nach dieser Auffassung den notwendigen Tatsachenvortrag nicht ersetzen, wenn jene sich in unspezifischen Bedenken und Mutmaßungen erschöpfen. Es bedürfe vielmehr tatsachengestützter Erläuterung, weshalb der „eigene“ Verstoß dadurch überprüft werden könne, dass man Verstöße anderer Verkehrsteilnehmer untersucht (OLG Frankfurt, Beschluss vom 26.08.2016 - 2 Ss-OWi 589/16, juris Rn. 17).

 bb) Nach gegenteiliger Ansicht soll sich ein solcher Anspruch aus dem Gebot fairen Verfahrens ergeben, welches aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt und aus dem sich im Vorfeld der Hauptverhandlung ein über die Grenzen des § 147 StPO hinausreichendes Einsichtsrecht ergeben könne (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.07.2019 - 1 Rb 10 Ss 291/19,, juris 24 ff.; OLG Dresden Beschluss vom 11.12.2019 - 23 Ss 709/19, BeckRS 2019, 37019, beck-online; LG Trier, Beschluss vom 14.09.2017 - 1 Qs 46/17, NZV 2017, 589; LG Kaiserslautern, Beschluss vom 22.05.2019 - 5 Qs 51/19, zfs 2019, 471, jew. m.w.N.; ein Einsichtsrecht für möglich haltend: OLG Düsseldorf, Beschluss 22.07.2015 - IV-2 RBs 63/15, NZV 2016, 140).

 d) Welcher der vorgenannten Auffassung zu folgen ist, kann der Senat im Rahmen dieser Entscheidung dahinstehen lassen. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Verwaltungsbehörde dem Betroffenen eine Einsicht in andere Verkehrsteilnehmer betreffende Datensätze nicht verwehren durfte, wäre ein (fortwirkender) entscheidungserheblicher Verstoß gegen das faire Verfahren, welcher unter den Voraussetzungen des § 338 Nr. 8 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG gerügt werden kann, hier ausgeschlossen.

 aa) Die Rüge scheitert zwar nicht daran, dass der Betroffene in der Hauptverhandlung nicht ausdrücklich seinen Antrag auf Einsicht in diese Unterlagen wiederholt hat (vgl. zu diesem Erfordernis: Cierniak/Niehaus, DAR 2020, 69, 72). Mit dem Antrag, das Verfahren auszusetzen, „da nicht Akteneinsicht in die gesamte Messreihe gewährt bzw. gesamte Messreihe nicht übersendet wurde“ (vgl. S. 1 des über die Hauptverhandlung vom 15.08.2019 erstellten Protokolls) hat der Betroffene in ausreichender Weise zum Ausdruck gebracht, dass er das bereits vorgerichtlich geäußerte Begehren auf Einsicht in die betreffenden Unterlagen aufrecht hält. Auch hängt die Zulässigkeit der Rüge nicht davon ab, dass der Betroffene gegen die in Beschlussform erfolgte ablehnende Entscheidung des Amtsgerichts vom Zwischenrechtsbehelf des § 238 Abs. 2 StPO (i.V.m. § 46 OWiG) Gebrauch gemacht hat (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.07.2019 - 1 Rb 10 Ss 291/19, juris Rn. 21; s.a. Cierniak/Niehaus, DAR 2018, 541, 543).

 bb) Eine den Ermittlungsbehörden bzw. dem Gericht zuzurechnende Beschränkung der Verteidigung führt aber nur dann zur Aufhebung eines Urteils, wenn ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Verfahrensverstoß und dem Urteil konkret besteht, dieser mithin also geeignet sein kann, die gerichtliche Entscheidung zum Nachteil des Betroffenen zu beeinflussen (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.07.2019 - 1 Rb 10 Ss 291/19, juris Rn. 30; BayObLG, Beschluss vom 6. April 2020 - 201 ObOWi 291/20, juris Rn. 11 mit zahlreichen weiteren Nachweisen; s.a. Gericke in KK-StPO, 8. Aufl., § 338 Rn. 101). Einen solchen kausalen Zusammenhang schließt der Senat jedoch aus.

 (a) Ob sich dies bereits aus den Grundsätzen der obergerichtlichen Rechtsprechung zum standardisierten Messverfahren (hierzu: BGH, Beschluss vom 30.10.1997 - 4 StR 24/97, BGHSt 43, 277) ergibt (so: BayObLG aaO. Rn 15 ff), kann dahinstehen. Nach diesen sind im Falle der Anwendung eines als standardisiert anerkannten Messverfahrens Zweifel an der Richtigkeit des Messwertes nicht veranlasst; der Bauartzulassung durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt kommt insoweit die Qualität eines antizipierten Sachverständigengutachtens zu (OLG Frankfurt, Beschluss vom 04.12.2014 - Ss OWi 1041/14, juris Rn. 18 ff.). Dies gilt jedoch nur, wenn das Gerät unter Beachtung der Bedienungsanleitung des Herstellers durch geschultes Personal verwendet wurde und sich auch sonst keine von außen ergebenden Hinweise auf Messfehler gezeigt haben (BayObLG, aaO. Rn. 13 m.w.N.). Ein Zusammenhang zwischen der Versagung der Einsicht in Falldatensätze dritter Personen und der Verurteilung des Betroffenen könnte vor diesem Hintergrund dann nicht ohne weiteres ausgeschlossen werden, wenn der Betroffene bzw. ein von ihm beauftragter Sachverständige aus diesen Daten Rückschlüsse auf eine fehlerhafte Bedienung des Geräts und/oder sonstige, sich von außen ergebende Messfehler gewinnen könnte. Denn dann wäre es ihm möglich, mittels der aus den Daten gewonnenen Informationen den Tatrichter zu einer weitergehenden Überprüfung der Ordnungsgemäßheit der äußeren Bedingungen der Messung zu veranlassen oder ihn mittels entsprechender Anträge zu einer weitergehenden Beweisaufnahme zu zwingen.

 (b) Die Kausalität zwischen der Versagung der Einsicht in Falldatensätze anderer Verkehrsteilnehmer und der verurteilenden Entscheidung kann andererseits auch nicht mit dem schlichten Verweis darauf begründet werden, dass kein Erfahrungssatz bestehe, dass die gebräuchlichen Geschwindigkeitsmessgeräte unter allen Umständen zuverlässige Ergebnisse liefern (so aber: OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.07.2019 - 1 Rb 10 Ss 291/19, juris Rn. 31 und OLG Dresden, Beschluss vom 11.12.2019 - OLG 23 Ss 709/19 (B), BeckRS 2019, 37019 Rn. 9). Hinzukommen muss jedenfalls, dass die dem Betroffenen nicht zugänglich gemachten Informationen tatsächlich Hinweise auf ein unzuverlässiges Messergebnis enthalten können.

 (c) Der Senat schließt auf der Grundlage ihm zugänglicher Erkenntnisse Letzteres aus.

 Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt hat zum Erkenntniswert solcher, die Messungen anderer Verkehrsteilnehmer betreffenden Unterlagen u.a. wie folgt Stellung genommen („Der Erkenntniswert von Statistikdatei, gesamter Messreihe und Annullationsrate in der amtlichen Geschwindigkeitsüberwachung.“ Stand: 30. März 2020 / Physikalisch-Technische Bundesanstalt, Braunschweig und Berlin. DOI: 10.7795/520.20200330; abrufbar unter: https://www...de/...pdf):

 „Manche Messgeräte zur amtlichen Geschwindigkeitsüberwachung speichern gewisse Daten in einer sogenannten Statistikdatei. Deren Inhalt ist zwar für den Verwender ggf. interessant, aber kann zur Überprüfung einer spezifischen Einzelmessung nichts beitragen. Gleiches gilt für die Betrachtung der gesamten Messreihe und für die Anzahl der Annullationen, selbst wenn diese gehäuft auftreten (..).

 Die gesamte Messreihe bringt selbst dann keine verwertbare Aussage, wenn eine Einzelmessung deutlich außerhalb des Bereiches von Geschwindigkeiten fällt, die üblicherweise am jeweiligen Messort gefahren werden. Nur weil viele nur wenig zu schnell fahren, heißt das nicht, dass nicht ab und zu jemand deutlich schneller unterwegs gewesen sein kann. Selbst solch extreme Geschwindigkeitsüberschreitungen, ob an der Referenzanlage der PTB oder bei einem geeichten Gerät zur amtlichen Verkehrsüberwachung, können keinen Zweifel an der Korrektheit der Messung wecken.“

 Der Betroffene hat keine Gesichtspunkte aufgeführt, welche die Verlässlichkeit dieser Angaben der Bundesanstalt in Frage stellen würden. Hinzu tritt, dass der Betroffene weder gegenüber der Verwaltungsbehörde, dem Amtsgericht noch im Rechtsbeschwerdeverfahren erläutert hat, was er bzw. ein von ihm beauftragter Sachverständiger mit den verlangten Daten anfangen will und in welcher Hinsicht er sich aus ihnen relevante Erkenntnisse erhofft. Der Senat hat daher keinen Anlass, an der Richtigkeit der Ausführungen der Bundesanstalt zu zweifeln und von Amts wegen eine weitere Aufklärung, etwa durch ein Sachverständigengutachten, zu betreiben.

 e) Eine Vorlage an den Bundesgerichtshof gem. §§ 121 Abs. 2 Nr. 1 GVG, 79 Abs. 3 S. 1 OWiG war nicht veranlasst. Der Senat weicht - soweit ersichtlich - nicht in entscheidungserheblicher Weise in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs ab. Dies gilt auch in Bezug auf die zitierten Entscheidungen des OLG Karlsruhe vom 16. Juli 2019 und des OLG Dresden vom 11. Dezember 2019. Der Senat hat die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Zurückweisung eines Antrages auf Einsichtnahme in nicht bei den gerichtlichen Unterlagen befindlichen, andere Verkehrsteilnehmer betreffende Informationen und auf Aussetzung der Hauptverhandlung in Betracht kommt, offengelassen und die Erheblichkeit eines möglichen Fehlers für das tatrichterliche Urteil verneint (im Ergebnis ebenso: BayObLG aaO. Rn. 16). Bei der Beurteilung, ob das tatrichterliche Urteil auf einem Verfahrensfehler beruhen kann, handelt es sich um eine Frage des Einzelfalls und nicht um die Beurteilung einer Rechtsfrage (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18.09.2000 - 2 BvR 1419/00, juris Rn. 5). Zudem hat der Senat unter Verwendung der erst nach den vorgenannten Entscheidungen veröffentlichten Stellungnahme der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt, mithin auf abweichender tatsächlicher Grundlage entschieden.

OLG Zweibrücken Beschl. v. 5.5.2020 – 1 OWi 2 SsBs 94/19, BeckRS 2020, 10325

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