Tachomanipulation: Nicht jeder Betrug ist gleich auch ein Betrug!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 14.06.2020
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht1|5705 Aufrufe

Tja. Nicht jede Sauerei ist auch strafbar. Jeder Autokäufer, der einen Wagen mit manipuliertem Tacho kauft wird denken: Ich wurde betrogen!" Muss aber nicht so sein, wenn er trotzdem einen angemessenen Preis gezahlt hat. Sicher auch ein netter Fall für (vor allem mündliche) juristische Prüfungen:

I.

Das Amtsgericht Bottrop hat mit Urteil vom 14.05.2019 den Angeklagten wegen Urkundenfälschung in drei Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Betrug und wegen Kennzeichenmissbrauchs in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.

Auf die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Essen durch Urteil vom 02.12.2019 das Urteil des Amtsgerichts Bottrop abgeändert und den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen Urkundenfälschung in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit Betrug, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt.

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte mit am 05.12.2019 bei dem Landgericht Essen eingegangenen Telefax-Schreiben seines Verteidigers selben Datums Revision eingelegt. Das Urteil ist dem Verteidiger am 14.01.2020 zugestellt worden. Der Angeklagte hat mit am 14.02.2020 bei dem Landgericht Essen eingegangenen Telefax-Schreiben seines Verteidigers vom selben Tag die Revision mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet, eine konkrete Verfahrensrüge jedoch nicht ausgeführt.

Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat mit Antragsschrift vom 26.03.2020 beantragt, die Revision des Angeklagten gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.

1.

Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Essen vom 02.12.2019 ist gemäß § 333 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig.

2.

Die Revision hat auch in der Sache – zumindest vorläufig – Erfolg und führt auf die erhobene Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

Die Feststellungen des Landgerichts sind lückenhaft und tragen den Schuldspruch wegen Betrugs gemäß § 263 Abs. 1, Abs. 3 S. 2 Nr. 1 StGB nicht. Es fehlt insbesondere an der Feststellung eines Vermögensschadens der Geschädigten. Der Betrug ist kein bloßes Vergehen gegen die Wahrheit und das Vertrauen im Geschäftsverkehr, sondern eine Vermögensstraftat. Nicht die Täuschung an und für sich, sondern die vermögensschädigende Täuschung ist strafbar. Demgemäß erleidet der Kunde, der beim Kauf eines Gebrauchtwagens über Umstände, die den Verkehrswert (Marktwert) des Fahrzeugs maßgeblich mitbestimmen, getäuscht und dadurch zum Kaufabschluss bewogen wird, einen Schaden regelmäßig nur dann, wenn das Fahrzeug objektiv den vereinbarten Preis nicht wert ist (OLG Hamm, Beschluss vom 02.06.1992 - 3 Ss 203/92 = NStZ 1992, 593, beck-online; OLG Koblenz Beschluss vom 05.06.2001 – 2 Ss 156/01, BeckRS 2001, 30184384, beck-online). Für die Schadensbewertung ist grundsätzlich die objektive Sicht eines sachlichen Beurteilers maßgebend, die sich nicht an der Schadensbewertung des Getäuschten, sondern an den Marktverhältnissen auszurichten hat. Für einen Vermögensschaden reicht es nicht aus, dass der Käufer ohne die Täuschung durch den Verkäufer den Vertrag nicht abgeschlossen hätte. Durch den Betrugstatbestand wird lediglich das Vermögen, nicht aber die Verfügungsfreiheit geschützt.

Sind bei objektiv-abstrakter Betrachtung Leistung und Gegenleistung gleichwertig, so kann im Sinne des sog. persönlichen Schadenseinschlages ein Schaden im Sinne des Betrugstatbestandes nur vorliegen, wenn die Leistung für den Getäuschten bei objektiver Beurteilung nicht oder nicht in vollem Umfang zu dem vertraglich vorausgesetzten Zweck brauchbar ist und er sie auch nicht in anderer zumutbarer Weise verwenden kann (OLG Hamm a.o.a.O. m.w.N.). Dies kann dann der Fall sein, wenn der Käufer aufgrund ganz besonderer individueller Bedürfnisse auf einen Pkw mit geringer Laufleistung – etwa im Hinblick auf eine geringere Reparaturanfälligkeit oder höhere Verkehrssicherheit – erkennbar besonderen Wert legt. Dies kann die Minderwertigkeit der Gegenleistung trotz eines an sich angemessenen Marktpreises ausnahmsweise begründen (OLG Hamm a.o.a.O.). Dabei muss es sich aber um ganz spezielle individuelle Bedürfnisse des Käufers handeln, die über das in der Regel bei jedem Gebrauchtwagenkäufer vorhandene allgemeine Interesse hinausgehen, im Hinblick auf die geringere Reparaturanfälligkeit einen Pkw mit möglichst geringer Laufleistung zu erwerben. Dies folgt schon daraus, dass die Gesamtfahrleistung eines Wagens im Hinblick auf den Grad der Reparaturanfälligkeit bei jedem Gebrauchtwagen ohnehin ein maßgeblich wertbestimmender Faktor für den Marktpreis des Fahrzeugs ist, so dass die durch einen höheren Kilometerstand zu erwartende höhere Reparaturanfälligkeit auch von der Interessenlage des Käufers her durch einen geringeren Marktpreis des Fahrzeugs ausgeglichen wird und umgekehrt (OLG Hamm a.o.a.O.).

Die hiernach gebotenen tatsächlichen Feststellungen enthält das angefochtene Urteil nicht. Das Urteil führt nicht aus, welchen objektiven Wert die von dem Angeklagten verkauften Fahrzeuge hatten. Somit ist nicht feststellbar, dass die von den Geschädigten gezahlten Kaufpreise objektiv nicht marktgerecht waren. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass im vorliegenden Fall eine Vermögensschädigung entsprechend den obigen Ausführungen auch unabhängig von dem Marktwert des Fahrzeugs für die Geschädigten gegeben war, liegen nach den bisherigen Feststellungen ebenfalls nicht vor.

3.

Ergänzend weist der Senat für die erneute Hauptverhandlung darauf hin, dass auch die Feststellungen der Kammer zur Historie der verfahrensgegenständlichen Fahrzeuge sowohl in der Sache lückenhaft sind als auch lückenhaft begründet wurden. So ist schon nicht ersichtlich, in wessen Eigentum die verkauften PKW tatsächlich standen, insbesondere, ob sie dem Angeklagten gehörten. Dies ist auch insoweit von Bedeutung, als das Landgericht seine Feststellungen zur Beschaffenheit der Fahrzeuge auf dessen Einlassung stützt, obgleich dieser den Verkauf der Fahrzeuge bestritten hat. Insoweit wären Ausführungen dazu erforderlich gewesen, woher der Angeklagte vom Zustand der Fahrzeuge, insbesondere von deren tatsächlicher Laufleistung und von der Totalfälschung der Servicehefte überhaupt wusste.

4.

Nicht hinreichend begründet hat das Landgericht auch, warum es von einem gewerbsmäßigen Handeln des Angeklagten im Sinne des § 263 Abs. 3 S. 2 Nr. 1, 1. Alt. StGB ausgegangen ist. Dies drängt sich angesichts der Begehung von (nur) zwei Betrugstaten noch nicht auf.

5.

Aufgrund der aufgezeigten Mängel war das angefochtene Urteil gemäß § 349 Abs. 4 StPO durch einstimmigen Beschluss insgesamt aufzuheben und gemäß § 354 Abs. 2 S. 1 StPO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an eine andere Strafkammer des Landgerichts Essen zurückzuverweisen.

 

OLG Hamm, Beschl. v. 5.5.2020 - 5 RVs 31/20

 

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