Neues e-Book zur Unionsrechtskonformität aktueller deutscher Mediengesetzgebung

von Prof. Dr. Marc Liesching, veröffentlicht am 15.06.2020
Rechtsgebiete: Medienrecht|3527 Aufrufe

Im Kielwasser der Regulierung Sozialer Netzwerke durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz erheben neue gesetzgeberische Vorstöße immer prominenter den Anspruch einer international ausgreifenden medienordnungsrechtlichen Regulierung, die insbesondere auch Anbieter in anderen EU-Mitgliedstaaten erfassen soll. Dies betrifft neben dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz vor allem die neuen Vorschriften des Medienstaatsvertrags, des novellierten Jugendmedienschutz-Staatsvertrags und des BMFSFJ-Entwurfs zur Änderung des Jugendschutzgesetzes. In dem heute erschienen Buch Das Herkunftslandprinzip der E‐Commerce-Richtlinie und seine Auswirkung auf die aktuelle Mediengesetzgebung in Deutschland“ wird u.a. die Unionsrechtswidrigkeit des NetzDG und des MStV mit Blick auf Art. 3 Abs. 2 und 4 ECRL dargelegt.

Das Buch ist der erste Band der gemeinsam mit Frau Prof. Dr. Gabriele Hooffacker neu gegründeten und im Carl Grossmann Verlag herausgegebenen Schriftenreihe „Medienrecht & Medientheorie“. Diese Publikation sowie künftige Ausgaben der Reihe erfolgen multimedial und Open Access als e-Book im PDF-Format sowie in weiteren gängigen Online-Formaten. Das Buch kann darüber hinaus als Hardcover-Printausgabe bestellt werden.

Vorwort zur Schriftenreihe

Die neue Schriftenreihe Medienrecht & Medientheorie soll eine Brücke bauen zwischen zwei ohnehin bereits eng miteinander korrespondierenden Wissenschaftsdisziplinen. Denn rechtspolitische Forderungen nach neuen Mediengesetzen oder auch Gesetzesnovellierungen sind auf breite und fundierte medienwissenschaftliche Erkenntnisse – etwa in den Bereichen der Medienwirkungs- und Mediennutzungsforschung – angewiesen. Umgekehrt kann aktuelle Medienforschung bereits umgesetzte Regelungen im Medienbereich im Hinblick auf ihre Wirksamkeit und/oder (auch ungewollten) Auswirkungen hin evaluieren und konstruktive Beiträge für künftige Anpassungen leisten.

Hierfür soll eine Plattform geschaffen werden, die avancierten wissenschaftlichen Beiträgen zu aktuellen Themen aus dem gesamten Medienrecht (IT- und Informationsrecht, Medienordnungsrecht, Medienstraf- und Medienzivilrecht einschließlich Urheber- und Persönlichkeitsrecht) einerseits und der Medientheorie (Wirkungs- und Nutzungs- sowie Kommunikatorforschung, Journalismusforschung und -lehre, Medien(inhalts)analyse und Mediensoziologie) offen steht. Insoweit kommt sowohl die Publikation von einschlägigen Beiträgen in klassischem Monographie-Umfang als auch von Dokumentationen zu Tagungen oder von sonstigen thematisch geklammerten Sammlungen mehrerer Teilbeiträge in Betracht.

Prof. Dr. Gabriele Hooffacker und Prof. Dr. Marc Liesching

Vorwort zum 1. Band

Soziale Netzwerke stellen heute einen bedeutenden Teil der Informations- und Kommunikationsdienste im Internet dar. Der Markt wird dabei von wenigen Plattformen wie Facebook, Youtube, Twitter oder Instagram dominiert. Proportional zu Marktrelevanz und Reichweite finden sich auch vermehrt problematische Inhalte auf großen Sozialen Netzwerken, welche im Extremfall auch gegen das Strafrecht verstoßen können. Hierzu zählen zum Beispiel die gemeinhin unscharf und verallgemeinernd als „Hassrede“ bezeichneten Inhalte, die volksverhetzend sind (§ 130 StGB) oder einen beleidigenden Charakter haben (§ 185 StGB) oder eine Bedrohung gegenüber einer anderen Person darstellen (§ 241 StGB). Uploads und Posts in Sozialen Netzwerken können aber auch schlicht jugendgefährdend sein oder verstoßen in sonstiger Weise gegen das nationale (deutsche) Recht.

Vor diesem Hintergrund ist auf den ersten Blick gesellschafts- und rechtspolitisch nachvollziehbar, dass nationale Empfangsstaaten wie die Bundesrepublik Deutschland die Sozialen Netzwerke in die Pflicht nehmen wollen, entsprechende nutzergenerierte Inhalte schnell zu löschen oder durch Melde- und Compliance-Verfahren sicherzustellen, dass rechtswidrige oder jugendgefährdende Inhalte möglichst zeitnah nach ihrem Bekanntwerden unzugänglich werden.

Aus dieser Intention heraus sind in den letzten Jahren rechtspolitische Ansätze zu verstärkten nationalgesetzlichen Restriktionen entwickelt worden, die teilweise – insbesondere in Gestalt des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) – bereits umgesetzt und in Kraft getreten sind, teilweise aber auch noch aktuell im rechtspolitischen Beratungsprozess oder im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren sind. Letzteres betrifft insbesondere auf Landesebene den Medienstaatsvertrag (MStV) und Novellierungen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (JMStV), auf Bundesebene eine Reform des Jugendschutzgesetzes (JuSchG) sowie gleich zwei Erweiterungs- und Ergänzungsvorhaben der Bundesregierung betreffend das NetzDG.

Die Bestrebungen nationaler Regulierung von international agierenden Sozialen Netzwerken durch deutsche Gesetze treffen dabei auf einen europarechtlichen Grundsatz, der nahezu so alt ist wie das Internet selbst: Das Herkunftslandprinzip der E-Commerce-Richtlinie (ECRL). Um den Wirtschaftsstandort der EU für Anbieter von Informationsdiensten in einem möglichst einheitlich geregelten Binnenmarkt attraktiv zu halten, besagt das Herkunftslandprinzip nach seinem Grundsatz, dass jeder Anbieter innerhalb der EU nur das nationale Recht seines Sitzlandes zu beachten und im Regelfall keine Maßnahmen und Restriktionen aus anderen EU-Mitgliedstaaten zu besorgen braucht. Hierdurch soll eine Rechtssicherheit für Diensteanbieter im EU-Raum gewährleistet und zugleich verhindert werden, dass jeder Anbieter mehr als zwei Dutzend unterschiedlicher Rechtsordnungen in Empfangsstaaten beachten muss, um Haftungsrisiken auszuschließen.

Sind die aktuellen Bestrebungen Deutschlands zur Umsetzung strenger nationalgesetzlicher Vorgaben für Soziale Netzwerke mit Sitz in anderen EU-Mitgliedstaaten mit dem Herkunftslandprinzip vereinbar? Gibt es Ausnahmen, auf die sich der Bundes- und die Landesgesetzgeber berufen können und welche die nationalen Gesetze unionsrechtlich legitimieren? Oder verstoßen die deutschen Regelungen und Regelungsvorhaben gegen Europäisches Recht? Die nachfolgende Untersuchung fokussiert diese Fragen in einer rechtsmethodischen Analyse unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH sowie Mittelungen der EU Kommission und nimmt zugleich eine eigene rechtliche Bewertung vor.

Verbunden mit der Hoffnung auf einen weiteren regen fachjuristischen Diskurs über die nationale Mediengesetzgebung im Lichte des Herkunftslandprinzips, ist der Autor für Anregungen und Kritik zu diesem ersten Band der Reihe dankbar.

Prof. Dr. Marc Liesching

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