Lesenswert: Urteil des LG Braunschweig zum Verkauf von Hanfblüten-Tee – Teil 1: Zur Rechtslage und zum Verbotsirrtum

von Dr. Jörn Patzak, veröffentlicht am 28.06.2020

Am 28.1.2020 verurteilte das LG Braunschweig die Betreiber einer „Hanfbar“ wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu Freiheitsstrafen mit Strafaussetzung zur Bewährung. Zudem wurde die Einziehung eines Geldbetrages i.H.v. 49.860,06 angeordnet. Den Angeklagten wurde vorgeworfen, über einen längeren Zeitraum in mehreren Geschäften Hanftblüten-Tee verkauft zu haben, den sie aus Nutzhanf der Sorte Fedora17 und Santhica 27 hergestellt hatten. Der Nutzhanf enthielt auch das dem BtMG nicht unterstellte Cannabidiol (CBD). Auf die Presseerklärung hierzu hatte ich bereits in meinem Blog-Beitrag vom 30.1.2020 hingewiesen.

Nun ist das Urteil veröffentlicht (LG Braunschweig, Urteil vom 28. Januar 2020 – 4 KLs 804 Js 26499/18 (5/19) –, zitiert nach juris). Aufgrund der Länge der Entscheidung stelle ich die lesenswerten Entscheidungsgründe in zwei Teilen vor, zunächst die Rechtslage in Teil 1 und die Auswirkungen zur Wirkungsweise von Nutzhanf und CBD in Teil 2.

Das Landgericht Braunschweig stellt fest, dass die Angeklagten ihr Vorgehen für erlaubt hielten, weil sie der Auffassung waren, dass der von ihnen vertriebene Hanfblüten-Tee verkehrsfähig sei. Dies schlossen sie aus einer fehlerhaften Auslegung der Ausnahmevorschrift unter Buchstabe b) zum verbotenen Stoff „Cannabis“ in der Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG. Diesen Irrtum hätten die Angeklagten bei sorgfältiger Recherche der für sie geltenden Rechtsvorschriften vermeiden können.

Hierzu führt die Strafkammer ab Rn. 276 des Urteils aus: 

„Durch den festgestellten Sachverhalt haben sich die Angeklagten wie erkannt strafbar gemacht.

Der Angeklagte K. hat in zwei Fällen unerlaubt mit Betäubungsmitteln Handel getrieben (§ 29 Abs. 1 StGB, § 53 StGB), der Angeklagte H. tat dies in einem Fall (§ 29 Abs. 1 BtMG).

1. Tatbestandsmäßigkeit

a) Bei zerkleinertem Nutzhanf handelt es sich um ein nach Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG nicht verkehrsfähiges Betäubungsmittel der zur Gattung Cannabis gehörenden Pflanze. Bei der Einordnung, ob es sich um diese Pflanze handelt, spielt es keine Rolle, ob es sich um übliches auf der Straße gehandeltes Cannabis handelt oder um eine THC-arme Züchtung. Ausweislich des ausdrücklichen Gesetzeswortlautes kommt es für die Tatbestandsmäßigkeit dem Grunde nach nicht auf darauf an, ob in der Pflanze überhaupt ein Wirkstoff (hier: THC) enthalten ist (zu der Problematik beim Anbau: Weber, BtMG, § 29, Rn. 54; Bohnen/Schmidt-Teriet, BeckOK BtMG, § 29, Rn. 3) oder ob eine Rauschwirkung eintritt. …

b) Es liegt hier keine Ausnahme nach Buchstabe b) der Verbotsnorm vor. Nach dieser Vorschrift sind Cannabis-Pflanzen und Pflanzenteile vom Verbot ausgenommen, wenn sie aus 

- dem Anbau in Ländern der Europäischen Union mit zertifiziertem Saatgut von Sorten stammen, die am 15. März des Anbaujahres in dem in Artikel 9 der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 639/2014 der Kommission vom 11. März 2014 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 1307/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates mit Vorschriften über Direktzahlungen an Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe im Rahmen von Stützungsregelungen der Gemeinsamen Agrarpolitik und zur Änderung des Anhangs X der genannten Verordnung (ABl. L 181 vom 20.6.2014, S. 1) in der jeweils geltenden Fassung genannten gemeinsamen Sortenkatalog für landwirtschaftliche Pflanzenarten aufgeführt sind, oder

- ihr Gehalt an Tetrahydrocannabinol 0,2 Prozent nicht übersteigt und

- der Verkehr mit ihnen (ausgenommen der Anbau) ausschließlich gewerblichen oder wissenschaftlichen Zwecken dient,

- die einen Missbrauch zu Rauschzwecken ausschließen.

aa) Die ersten beiden Alternativen der Ausnahmevorschrift sind vorliegend gegeben. Bei den Sorten Fedora 17 und Santhica 27 handelt es sich um im gemeinsamen Sortenkatalog für landwirtschaftliche Pflanzen aufgeführte Sorten. Erforderlich ist jedoch auch, dass kumulativ („und“) dazu die weiteren Voraussetzungen der ausschließlich gewerblichen oder wissenschaftlichen Zwecke und dem Ausschluss des Missbrauches zu Rauschzwecken vorliegen (Winghofer, CB 2019, 384 (385)). Dies folgt aus der Zielrichtung der Ausnahmevorschrift. Ziel war es, THC-arme Cannabissorten als Rohstoffe (z.B. für Textilien, Seile, Kosmetika, Dämmstoffe und zur Energiegewinnung) nutzbar zu machen. Das allgemeine Verbot von Cannabis sollte dadurch nicht unterlaufen werden. Daher kann der Gesetzeszweck der Ausnahmevorschrift nur erreicht werden, wenn man das Wort „und“ so versteht, dass die Voraussetzungen der gewerblichen/wissenschaftlichen Nutzung und der Ausschluss zu Rauschzwecken kumulativ zu einer THC-Sorte vorliegen muss.

bb) Bereits wegen der fehlenden Verwendung des Hanfblüten-Tees zu gewerblichen Zwecken ist die Ausnahmevorschrift nicht erfüllt. Der Verkehr mit den Cannabispflanzenteilen diente hier nicht ausschließlich gewerblichen oder wissenschaftlichen Zwecken. Es liegen insbesondere keine gewerblichen Zwecke vor, weil diese beim Endnutzer des Cannabis vorliegen müssen (Körner/Patzak/Volkmer-Patzak, BtMG, § 2, Rn. 16; Weber, BtMG, § 1, Rn. 273; OLG Hamm, Urteil vom 21.06.2016, Az.: 4 RVs 51/16, zitiert nach juris, Rn. 43) und der Konsum der Pflanzen nicht „gewerblich“ ist. Gewerbliche Zwecke im Sinne dieser Regelung sind insbesondere dann gegeben, wenn der Hanf verarbeitet werden soll, bis ein unbedenkliches Produkt, wie z. B. Papier, Seile oder Textilien, entstanden ist (OLG Hamm, Urteil vom 21.06.2016, Az.: 4 RVs 51/16, zitiert nach juris, Rn. 43). Diese enge Auslegung der Voraussetzung der gewerblichen Zwecke folgt aus Sinn und Zweck der Vorschrift sowie dem Willen des historischen Gesetzgebers. Die Ausnahmebestimmung soll das Marktpotential des Rohstoffes Hanf und seine Verwendungsmöglichkeiten zur industriellen und möglicherweise energetischen Verwendung erschließen. Es ist nicht Sinn der Vorschrift, die Bevölkerung mit THC-schwachen Zubereitungen zu persönlichen Konsumzwecken zu versorgen oder gar das grundsätzliche Cannabisverbot aufweichen (Körner/Patzak/Volkmer-Patzak, BtMG, § 2, Rn. 17). Andernfalls würde das dazu führen, dass eine Ausnahmevorschrift dem Zweck des gesamten Betäubungsmittelgesetzes, nämlich die sozialschädlichen Wirkungen des illegalen Handels mit abstrakt rauschfähigen Betäubungsmitteln einzudämmen, grundlegend zuwiderlaufen würde (OLG Hamm, Urteil vom 21.06.2016, Az.: 4 RVs 51/16, zitiert nach juris, Rn. 42). …

Die Vermarktung von Nutzhanf als Tee ist auch keine auch keine gewerbliche Verarbeitung, da hierdurch kein neuer Stoff mit grundlegend anderen Eigenschaften entsteht. Aus diesem Grund muss für den hier vorliegenden Fall auch nicht entschieden werden, ob der Verkauf sämtlicher Lebensmittel, welche Nutzhanf (außer den Samen) enthalten, auch nach der Verarbeitung zu Schokolade, Nudeln und Pesto, Limonade, usw. strafbar ist (dafür und mit beachtlichen Argumenten: Körner/Patzak/Volkmer-Patzak, BtMG, Teil 1. „Betäubungsmittel“, Rn. 48; differenzierter: Weber, BtMG, § 1, Rn. 251 f.).

cc) Ferner ist eine Rauschwirkung im hier vorliegenden Fall nicht ausgeschlossen (s.o.). Bei dem Konsum des Hanfblüten-Tees in Form von Gebäck ist die Möglichkeit der Rauschwirkung von der Kammer positiv festgestellt worden. In der Konsumform des Rauchens als Joint hatte die Kammer zwar keine Rauschwirkungen positiv festgestellt, vermag sie aber auch nicht sicher auszuschließen; insbesondere im Hinblick auf erfahrene Konsumenten.

2. Verbotsirrtum

Die Kammer ist zugunsten der Angeklagten vom Vorliegen eines Verbotsirrtums (§ 17 StGB) ausgegangen (s.o.). Dieser Verbotsirrtum war allerdings nicht unvermeidbar. Unvermeidbar ist ein Verbotsirrtum erst dann, wenn der Täter alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigt hat (BGH, NStZ 2013, 461; BGHSt 58, 15). Die Angeklagten haben sich über Rechtsanwalt F. Rechtsrat eingeholt. Das Vertrauen auf eingeholten rechtsanwaltlichen Rat vermag jedoch nicht in jedem Fall einen unvermeidbaren Verbotsirrtum des Täters zu begründen. Es ist nämlich erforderlich, dass der Täter auf die Richtigkeit der Auskunft nach den für ihn erkennbaren Umständen vertrauen darf. Dies ist nicht der Fall, wenn er nicht mehr als eine Hoffnung haben kann, das ihm bekannte Strafgesetz greife hier noch nicht ein. Daher darf der Täter sich auf die Auffassung eines Rechtsanwalts nicht allein deswegen verlassen, weil sie seinem Vorhaben günstig ist (BGH, Urteil vom 03.04.2008, Az.: 3 StR 394/07).

a) Im hier vorliegenden Fall hatte Rechtsanwalt F. den Angeklagten K. - welcher seinerseits den Mitangeklagten H. informierte - auf die obergerichtliche Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts, des OLG Zweibrücken und des OLG Hamm hingewiesen. Die einschlägige (und eindeutige) Kommentarliteratur wurde nicht ausgewertet. Alle drei zitierten Gerichte gehen von der Strafbarkeit dem Grunde nach aus. …

Angesichts dieser deutlichen obergerichtlichen Rechtsprechung basierte die Annahme von Straflosigkeit des Handels mit Hanfblüten-Tee auf einer bloßen Rechtshoffnung. Daran vermag auch die Tatsache nichts zu ändern, dass die obigen Entscheidungen zu sog. Head-Shops ergangen sind, während die Angeklagten ein Geschäft betrieben, welches nach ihren Ausführungen auf Gesundheit, Nachhaltigkeit und Genuss basiert.

b) Aufgrund der Tatsache, dass sich die Angeklagten bewusst in einem rechtlichen Graubereich bewegten, oblag ihnen eine gesteigerte Verpflichtung zur besonders sorgfältigen Prüfung der Rechtslage. Daher war im hier vorliegenden Fall eine „normale“ anwaltliche Beratung nicht ausreichend, um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zu begründen. Bei komplexen Sachverhalten und erkennbar schwierigen Rechtsfragen ist regelmäßig ein detailliertes, schriftliches Gutachten erforderlich, um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zu begründen (BGH, Urteil vom 03.04.2008, Az.: 3 StR 394/07; Weber, FD-StrafR 2017, 393621). Ein solches detailliertes, schriftliches Gutachten wurde nicht eingeholt.

c) Die Überprüfung der Angaben des Rechtsanwaltes obliegt dem Angeklagten persönlich unter Ausschöpfung seiner gesamten geistigen Kräfte (Dahs, StV 2014, 14). Hierbei darf er auch nicht die Augen vor gegenteiligen Argumenten, wie sie hier beispielsweise von der Staatsanwaltschaft und der Polizei vorgebracht wurden, verschließen (BGH, Urteil vom 23.07.2019, Az.: 1 StR 433/18). Durch eine einfache Nachfrage bei staatlichen Stellen hätten die Angeklagten schnell, unkompliziert und kostenlos Hinweise darauf erhalten, dass die von ihnen vertretene Rechtsauffassung dringend der intensiveren Überprüfung bedarf (s.o. III.5.). Die Zeugin Dr. K. bekundete, dass sämtliche Personen, welche sich bei der Bundesopiumstelle im hier betroffenen Tatzeitraum nach der Verkehrsfähigkeit von Hanfblüten-Tee erkundigen, eine vorformulierte Antwort dahingehend erhielten, dass nach Auffassung der Behörde dieser Tee wegen entgegenstehender Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes nicht verkehrsfähig sei. Sie begründete dies damit, dass nach Auffassung der Bundesopiumstelle der Zweck der Ausnahmevorschrift in Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG die industrielle und energetische Nutzung des Nutzhanf es sei. Es sei nicht Sinn der Ausnahmevorschrift, die Bevölkerung mit THC-armen Cannabis zu versorgen. Nach Auffassung der Bundesopiumstelle sei daher nicht nur der Verkauf von unverarbeiteten Nutzhanf an Endverbraucher untersagt, sondern auch der Verkauf von zu Lebensmittel verarbeiteten Nutzhanf. Gewerbliche Zwecke müssten nach Auffassung der Bundesopiumstelle sowohl beim Verkäufer als auch beim Erwerber des Nutzeramtes vorliegen. Erst wenn dies der Fall sei, käme es überhaupt auf die Frage der Rauschwirkung an. Den Inhalt dieser standardisierten Antwort bestätigte auch der Zeuge S., welcher eine Antwortmail der Bundesopiumstelle erhalten hatte, die der von der Zeugin Dr. K. geschilderten Antwort entsprach.

d) Der Verbotsirrtum der Angeklagten wäre sicher vermieden worden, hätten diese zunächst den Verwaltungsrechtsweg beschritten. Der Gesetzgeber hat für Situationen wie der vorliegenden einen Weg jenseits der Strafbarkeit vorgesehen. Nämlich, dass der Betroffene bei den zuständigen Behörden betäubungsmittel- und lebensmittelrechtliche Erlaubnisse beantragt und im Falle der Versagung die Verwaltungsgerichte anruft, um zu klären, ob ihm die Erlaubnis zu erteilen ist oder das beabsichtigte Geschäftsmodell schon gar keiner Erlaubnis bedarf. Damit wurde den Angeklagten vom Gesetzgeber die Komplexität der Materie nicht als unkalkulierbares Strafbarkeitsrisiko auferlegt.“

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