Glücksspielrecht im Übergang – Gelingt der Sprung in geordnete Bahnen?

von Prof. Dr. Marc Liesching, veröffentlicht am 01.07.2020

Der neue, den Online-Glücksspielmarkt öffnende Glücksspielstaatvertrag 2021 gilt noch nicht, die Zeit der aktuellen monopolistischen Regulierungsägide läuft ab. Die immer noch heterogene Praxis der Länderaufsicht spiegelt den weiter schwelenden politischen Meinungskampf um das richtige regulative Modell wider. Dabei hat der alte Staatsvertrag in der Praxis nie funktioniert. Kommt es nicht bald zu einer konsequenten Ausrichtung der aktuellen Aufsichtspraxis auf die künftig breitere Legalisierung des Glücksspiels, droht auch das neue Konzept zu scheitern.

Der GlüStV 2021 kommt

Der Staatsvertrag zur Neuregulierung des Glücksspielwesens in Deutschland wurde bereits von der Ministerpräsidentenkonferenz beschlossen und befindet sich aktuell im Notifizierungsverfahren.

Der GlüStV 2021 ermöglicht künftig auch die behördliche Erlaubniserteilung für die Veranstaltung von Sportwetten, Online-Poker oder virtuellen Automatenspielen – allerdings unter strengen Voraussetzungen der Transparenz und der Umsetzung von Spieler- und Jugendschutzmaßnahmen (vgl. §§ 4c. 4d GlüStV-E). Zudem sind besondere Werbebeschränkungen wie z.B. die zeitliche Limitierung der Fernseh- und Internetwerbung für Online-Poker und Online-Casinospiele auf das Spätabendprogramm (21:00-6:00, vgl. § 5 Abs. 3 S. 1 GlüStV-E) vorgesehen.

Durch die Legalisierung soll endlich eines der Hauptziele der Glücksspielregulierung erreicht werden, nämlich „durch ein begrenztes, eine geeignete Alternative zum nicht erlaubten Glücksspiel darstellendes Glücksspielangebot den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken sowie der Entwicklung und Ausbreitung von unerlaubten Glücksspielen in Schwarzmärkten entgegenzuwirken“ (§ 1 Nr. 2 GlüStV-E).

Zu der ab Juli 2021 zu erwartenden Lizenzierung tritt der Umstand hinzu, dass bereits heute nach dem schleswig-holsteinischen Sonderweg aufgrund des Gesetzes zur Übergangsregelung für Online-Casinospiele vom 11. Juni 2019 (GVOBl. 2019, S. 145) die ausgegebenen SH-GlüG-Lizenzen grundsätzlich bis zum 30.6.2021 fortgelten. Entsprechend bieten nach Informationen der SH-Landesregierung aktuell insgesamt 11 Anbieter aktiv Online-Casinospiele auf der Grundlage einer schleswig-holsteinischen Genehmigung an.

Aktuelle Glücksspielaufsicht noch heterogen

Zwar gelten die rigideren Bestimmungen des aktuellen, monopolistischen und mit einem strengen Verbot der Internetveranstaltung versehenen Regulierungsmodells (§ 4 Abs. 1 und 4 GlüStV) – mit teilweiser Ausnahme Schleswig-Holsteins – bis zum 30.6.2021 fort. Allerdings stellt sich schon rein pragmatisch die Frage, welchen Sinn es macht, heute diejenigen Glücksspielanbieter durch Untersagungsverfügungen zu verfolgen, welche morgen bereits durch Lizenzierung legalisiert werden, um sich dem Schwarzmarkt illegaler Anbieter mit Blick auf die gewollte „Lenkung in geordnete Bahnen“ entgegenzustellen.

Von einigen Verwaltungsgerichten werden gerade mit Blick auf die regulative Übergangsphase anhängige Verfahren wegen Untersagungsverfügungen bereits ruhend gestellt (vgl. VG Darmstadt, Az. L2218/19.DA; VGH Baden-Württemberg, Az. 6 S 7/19). Für eine solche Vorgehensweise spricht auch, dass Verwaltungsbehörden im Rahmen der Ermessensausübung die bevorstehende legislative Entscheidung für eine Legalisierung vormals verbotener Glücksspielbereiche nunmehr berücksichtigen können und unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit i.d.R. auch müssen.

Einem solchen Verwaltungshandeln haben sich indes noch längst nicht alle Glücksspielbehörden geöffnet. Insoweit mag hinter der heterogenen Praxis auch ein weiterhin ungelöster politischer Disput zwischen einzelnen Bundesländern über die Richtigkeit des durch den GlüStV 2021 beschrittenen neuen Wegs stehen. Die sich gegenüber einer der Neuregelung schon jetzt öffnenden Rechtsanwendung verschließende Partei wird dabei in der journalistischen Berichterstattung zum Teil als blockierende „Glücksspiel-Taliban“ bezeichnet, was freilich angesichts der noch bestehenden restriktiveren Rechtslage übertrieben erscheint. Denn Verwaltungsbehörden sind grundsätzlich zur Anwendung des bestehenden Rechts verpflichtet, nicht des künftigen. Andererseits sind die in dem Presseartikel geäußerten Bedenken, nicht von der Hand zu weisen, dass namentlich die Blockadehaltung „nur illegalen Anbietern aus Asien und der Karibik in die Karten“ spiele, „die sich weder für Jugend- und Verbraucherschutz noch für Suchtprävention interessierten und zudem keine Steuern zahlten“.

In rechtlicher Hinsicht bedeutsamer ist freilich, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz schon heute die Verwaltungsbehörden bei der Ermessensausübung mit Blick auf eine etwaige eingriffsintensive Totaluntersagung bindet. Überdies erscheint auch in verwaltungsverfahrensrechtlicher Hinsicht fraglich, welchen Sinn der Erlass eines Untersagungsverwaltungsaktes hat, der selbst bei unterbleibender verwaltungsgerichtlicher Anfechtung alsbald wegen geänderter Rechtslage nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG wieder aufgehoben werden muss.

Anstelle solcher Selbstbeschäftigungsmaßnahmen der Verwaltung ohne nachhaltige glücksspielregulative Auswirkung mag naheliegender anmuten, von Untersagungen im Ermessenwege zumindest gegenüber solchen Anbietern Abstand zu nehmen, die schon heute ihr Angebot an den materiellen Vorgaben des GlüStV 2021 auszurichten bereit sind. Dies erscheint auch im Hinblick auf eine sachorientierte und schnelle Umsetzung des neuen Glücksspielstaatsvertrags durch eine gut vorbereitete Verwaltungspraxis aus der Übergangszeit heraus im Juli 2021 angemessener, um das bislang eher zum Verfolg staatsmonopolistischer Interessen vorgehaltene, jedoch auch nach Auffassung der EU-Kommission tatsächlich nie erreichte Kanalisierungsziel des § 1 Nr. 2 GlüStV mit Leben zu füllen.

„Flucht“ ins Strafrecht?

Demgegenüber scheint ein Teil der Glücksspielaufsichtsbehörden beharrlich den erratischen Weg des gescheiterten GlüStV-Modells alter Prägung weiter beschreiten zu wollen. Wie eine Ausflucht aus dem skizzierten verwaltungsrechtlichen Dilemma mag da erscheinen, dass die Hamburger Innenbehörde kurzerhand die Sachfrage vor allem in Bezug auf künftig nach dem GlüStV 2021 grundsätzlich lizenzierungstaugliche, große Anbieter durch Strafanzeige erst einmal der Staatsanwaltschaft überantwortet.

Dabei gibt es seit Jahren keine Strafverfolgung gegen Internetveranstalter von Sportwetten oder Online-Casinos aufgrund § 284 StGB – erst recht nicht gegen solche, welche über eine wirksame Erlaubnis in einem anderen EU-Mitgliedstaat oder nach dem SH-GlüG verfügen. Hintergrund sind dabei nicht nur die weiterhin im Raum stehenden Bedenken gegen die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts aufgrund einer fraglichen Unionsrechtskonformität. Vor allem ist gerichtlich ungeklärt und in der Strafrechtsliteratur umstritten, ob eine EU-Lizenz nicht doch als hinreichende „behördliche Erlaubnis“ i.S.d. § 284 Abs. 1 StGB anzusehen ist, wie dies etwa im Umweltstrafrecht des StGB auch der Fall ist.

In diesem Zusammenhang sind auch kursorische Einschätzungen und Prognosen in der Internet-Kurzberichterstattung, wonach aufgrund eines aktuellen Urteils des 3. Strafsenats des BGH nunmehr eine „Klagewelle gegen Online-Casinos“ zu besorgen sei, zu hinterfragen.

Denn aus dem Urteil des BGH vom 27. 2.2020 (Az. 3 StR 327/19) ergeben sich gerade keine Anhaltspunkte, die auf eine Strafbarkeit entsprechender Internetanbieter nach § 284 Abs. 1 StGB hindeuten. Die Entscheidung betraf vielmehr die Konstellation eines (Offline-) Spielhallenbetriebs ohne jedwede deutsche oder EU-ausländische Genehmigung, bei dem überdies Unionsrecht von vorneherein mangels grenzüberschreitenden Sachverhalts nicht zur Anwendung gelangte. Soweit der 3. Senat obiter dictum die Auffassung der Unionsrechtskonformität mit Blick auf die Anwendung des § 284 StGB vertreten hat, bezog sich dies nur auf die Spielhallenregelung. Ein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht durch GlüStV-Bestimmungen wurde nur verneint, „soweit sie den Betrieb einer Spielhalle von einer Erlaubnis abhängig machen, die auch ein Abstandsgebot berücksichtigen muss“ (BGH, aaO. Rn. 38).

Es erschließt sich nicht, wie aus einem Urteil zu physischen Spielhallen Rückschlüsse auf die Strafbarkeit von Online-Casinos gezogen werden können, bei denen eine unionsrechtlich kohärente Regulierung seit vielen Jahren durch eine gegenläufige Verwaltungspraxis nach dem SH-GlüG desavouiert wird und – im Gegensatz zu der BGH-Konstellation – eine EU- und/oder SH-GlüG-Lizenz gerade vorliegt. Der 3. Strafsenat betont vielmehr die strenge Verwaltungsrechtsakzessorietät, wonach strafrechtlich allein auf das Vorliegen einer formell rechtswirksamen behördliche Erlaubnis für die Glücksspielveranstaltung abzustellen ist. Gerade vor diesem Hintergrund ist insbesondere im Lichte einer unionsrechtswidrigen Inkohärenz der Glücksspielregulierung das Vorliegen einer EU-Lizenz von Strafgerichten als hinreichende behördliche Erlaubnis i.S.d. § 284 StGB angesehen worden (Vgl. z.B. OLG München NJW 2006, 3588, 3591 f.). Überdies verlangt § 284 Abs.1 StGB nur eine „behördliche“ Erlaubnis, keine Erlaubnis einer „deutschen Behörde“ – Strafgerichte sind insoweit ebenso wie bei Genehmigungen im Umweltstrafrecht an den Gesetzeswortlaut und die Beachtung des Analogieverbots (§ 1 StGB, Art. 103 Abs. 2 GG) gebunden.

Schluss

Versuche der Instrumentalisierung des akzessorischen Strafrechts und der Staatsanwaltschaft kurz vor Auslaufen des gescheiterten monopolistischen Glücksspielverwaltungsrechts unterminieren und sabotieren die rechtspolitische Entscheidung für eine Legalisierung und Kanalisierung des Online-Glücksspiels durch den GlüStV 2021. Dessen Umsetzung und Rechtsanwendung mit Blick auf einen regulierten, rechtssicheren und transparenten Glücksspielmarkt mit einem endlich effektiven Spieler- und Jugendschutz dürfte nur gelingen, wenn alle Bundesländer durch eine homogene Verwaltungspraxis und eine verhältnismäßige Ermessensausübung schon heute den Übergang in ein zeitgemäßes legislatives Regulierungsmodell ab Juli 2021 ermöglichen.

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