OLG Hamm: "Keine Ahnung, welche Berufungskammer beim LG Essen zuständig ist"

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 30.07.2020
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht3|3444 Aufrufe

Wenn man einmal richterliche Geschäftsverteilungspläne studiert, dann fällt meist auf: Kleine Gerichte bekommen das in der Regel recht schön und klar hin. Je größer die Gerichte werden, desto umfassender und oftmals undurchschaubarer die Geschäftsverteilung. Da wundert es nicht, dass etwa weder GStA noch OLG in Hamm in nachfolgendem Fall feststellenkonnten, wer denn eigentlich bei LG Essen für die Berufungsverhadlung in der als Revison vorliegenden Sache zuständig war:

 

I.

Das Amtsgericht Marl hat mit Urteil vom 26.09.2018 den Angeklagten wegen versuchten Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt.

Hiergegen haben der Angeklagte am 01.10.2018 und die Staatsanwaltschaft unter dem 27.09.2018 Berufung eingelegt. Das Landgericht Essen hat mit Urteil vom 03.09.2019 die Berufung des Angeklagten verworfen und auf die Berufung der Staatsanwaltschaft den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt und die Einziehung eines „Ausweises“ angeordnet.

Gegen dieses Urteil legte der Angeklagte mit am 05.09.2020 bei dem Landgericht Essen eingegangenem Schriftsatz seines Verteidigers vom selben Tag Revision ein. Das Urteil ist dem Verteidiger am 30.10.2019 zugestellt worden. Die Revision hat der Angeklagte mit am 28.11.2020 bei dem Landgericht Essen eingegangenem Schriftsatz seines Verteidigers vom 26.11.2019 mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet. Zur Verfahrensrüge führt er mit näherer Begründung aus, das erkennende Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen.

Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat mit Antragsschrift vom 15.05.2020 beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen. Die erhobene Verfahrensrüge sei zulässig und begründet. Von der ihm eingeräumten Möglichkeit zur Erwiderung hat der Angeklagte keinen Gebrauch gemacht.

II.

1.

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Essen vom 03.09.2019 ist gemäß § 333 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die Revision hat auch in der Sache – zumindest vorläufig – Erfolg und führt auf die erhobene Verfahrensrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 15.05.2020 zu der erhobenen Verfahrensrüge Folgendes ausgeführt:

„Die Verfahrensrüge, mit der der Angeklagte geltend macht, das erkennende Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, ist in zulässiger Form erhoben.

Infolge mehrerer Änderungsbeschlüsse stellt sich die Geschäftsverteilung des Landgerichts Essen für das Jahr 2019 als sehr komplex dar. Soweit die entsprechenden Geschäftsverteilungspläne und Änderungsbeschlüsse in der Revisionsbegründungsschrift wiedergegeben sind, ist die Staatsanwaltschaft Essen der Richtigkeit der Wiedergabe nicht entgegengetreten. Eine dienstliche Stellungnahme der Richterin liegt ebenfalls nicht vor.

Nach dem vorliegenden Geschäftsverteilungsplan und den Änderungsbeschlüssen stellt sich die Situation so dar, dass zum Jahresanfang die hier zuständige XXVI. Strafkammer aus dem Vorsitzenden VRLG X und dem stellvertretenden Vorsitzenden VRLG M bestand, wobei sich die Stellvertretung nur auf die Tätigkeit außerhalb der Hauptverhandlung beziehen sollte (Bl. 489 R d. Drittakte). Für die Vertretung in der Hauptverhandlung regelte Abschnitt C der Geschäftsverteilung, dass - soweit die Vertretung nicht innerhalb der Kammer geregelt werden kann (Bl. 491 d. Drittakte), der Vorsitzende der Strafkammer XXVI durch die Vorsitzenden der Strafkammern VIII, XIII und XXVII vertreten wird (Bl. 492 R d. Drittakte). Die ausdrückliche Ausklammerung des stellvertretenden Vorsitzenden von der Vertretung in der Hauptverhandlung im vorangegangenen Abschnitt dürfte wohl einen Fall darstellen, in dem die Vertretung in der Hauptverhandlung innerhalb der Kammer nicht geregelt werden kann.

Es ist nicht auszuschließen, dass das Präsidium des Landgerichts Essen mit den vorgenommenen Änderungen etwas anderes bezweckte, zumal festzustellen ist, dass in der ursprünglichen Geschäftsverteilung die Ausnahme der Hauptverhandlung von der Tätigkeit des jeweiligen stellvertretenden Vorsitzenden nur für die Konstellationen vorgesehen war, in denen es sich bei dem stellvertretenden Vorsitzenden seinerseits ebenfalls um einen VRLG handelte. Es mag vor diesem Hintergrund auch sein, dass mit dem Eintritt von RiinLG F in die Kammer an Stelle von VRLG M nunmehr die genannte Ausnahme nach dem Willen des Präsidiums hätte entfallen sollen und sowohl VRinLG Q aus ihrer Tätigkeit in der III. Strafkammer (zu vgl. Bl. 488 d. Drittakte) als auch RiinLG F aus ihrer Tätigkeit in der XXV. Strafkammer (zu vgl. Bl. 489 R d. Drittakte) auf andere Vertretungsregelungen eingestellt waren. Diese - wahrscheinlich gewünschte - Regelung ist jedoch so nicht umgesetzt worden, wenn man nicht die - nach hiesigem Dafürhalten nicht überzeugende - Ansicht vertreten will, dass mit jeder Änderung der personellen Besetzung auch die zusätzlich dazu getroffenen Regelungen entfallen.

Es lässt sich damit zusammenfassend feststellen, dass die Geschäftsverteilung des Landgerichts Essen es insbesondere hinsichtlich der kleinen Strafkammern kaum ermöglicht, sicher zu sagen, von wem die Vorsitzende der Kammer tatsächlich in der Hauptverhandlung hätte vertreten werden dürfen. Ob überhaupt ein Fall der Vertretung vorgelegen hat, scheint ebenfalls fraglich. Eine Vertretung in der Hauptverhandlung durch RiinLG F dürfte in dem Geschäftsverteilungsplan nebst seiner Änderungsbeschlüsse jedenfalls keine Grundlage finden.

Gemäß § 338 Abs. 1 Nr.1 StPO ist das Urteil somit als auf der Verletzung des Gesetzes anzusehen.“

Der Senat macht sich diese in jeder Hinsicht zutreffenden Ausführungen zu eigen und zum Gegenstand der Begründung seiner Entscheidung.

2.

Aufgrund des aufgezeigten Mangels war das angefochtene Urteil gemäß § 349 Abs. 4 StPO durch einstimmigen Beschluss insgesamt aufzuheben und gemäß § 354 Abs. 2 S. 1 StPO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an eine andere Strafkammer des Landgerichts Essen zurückzuverweisen.

 

Oberlandesgericht Hamm, Beschl. v. 9.6.2020 - 5 RVs 48/20

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3 Kommentare

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Ist eher kurios, dass GVP derartig unübersichtlich werden. Aber dass das OLG eine Aufhebung nicht etwa damit begründet, dass es einen revisionsrechtlich relevanten Verstoß positiv feststellt, sondern weil es irgendwie nicht klar ist, ist auch recht originell. In dubio gilt ja für Verfahrensrügen nicht, sondern der Verfahrensverstoß muss erwiesen sein.

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"Eine Vertretung in der Hauptverhandlung durch RiinLG F dürfte in dem Geschäftsverteilungsplan nebst seiner Änderungsbeschlüsse jedenfalls keine Grundlage finden."

Es bestehen Zweifel darüber, wer richtigerweise die Vertretung übernommen hätte, aber bestehen keine Zweifel, dass die Richterin, die vertreten hat, es nicht hätte tun dürfen. Es steht also fest, dass ein Verfahrensverstoß vorlag.

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