Rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung – die Dritte!

von Dr. Jörn Patzak, veröffentlicht am 23.08.2020

Schon wieder eine Entscheidung des BGH zur rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung: Diesmal lag es an der zuständigen Strafkammer, die ein Betrugsverfahren, in dem der Angeklagte nicht in Haft saß, zwischen Anklageerhebung und Eröffnung des Hauptverfahrens 2 Jahre und 5 Monate unbearbeitet ließ. Die Erklärung der Strafkammer, dass eine zeitigere Entscheidung wegen vorrangig zu bearbeitender Haftsachen nicht möglich gewesen sei, überzeugte den 1. Strafsenat des BGH nicht. Er nahm eine Kompensation in der Weise vor, dass zwei Monate der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe (3 Jahre und 6 Monate) als vollstreckt gelten. Die Entscheidungsgründe lauten u.a. wie folgt (BGH, Beschl. v. 22.7.2020 – 1 StR 132/20, BeckRS 2020, 19968):

„Das Urteil war aber um eine Kompensation für einen Konventionsverstoß zu ergänzen.

Nach Eingang der Akte beim Landgericht am 23. Dezember 2016 ist es zu einer Verletzung des Gebots zügiger Verfahrenserledigung (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) gekommen. Bis zum Eröffnungsbeschluss am 1. April 2019 ist das Zwischenverfahren nicht sachgerecht gefördert worden. Dass der Strafkammer eine ,zeitigere Entscheidung über die Eröffnung…insbesondere‘ deswegen nicht möglich gewesen sei, weil sie ,gerade in den Jahren 2017 und 2018´… mit zahlreichen vorrangig zu behandelnden Haftsachen stark belastet war‘ (UA S. 71), kann gegenüber dem Angeklagten eine verzögerte Sachbehandlung nicht rechtfertigen. Der Umstand, dass sich der Angeklagte zu dieser Zeit nicht in Haft befunden hat, rechtfertigt es nicht, eine beim Landgericht anhängige Strafsache eine solch lange Zeit - zwei Jahre und fünf Monate - unbearbeitet zu lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Februar 2015 - 2 StR 523/14 Rn. 3).

Der dargelegte Verfahrensgang ergibt sich aus den Urteilsgründen selbst und ist daher auf die Sachrüge zu berücksichtigen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. August 2015 - 1 StR 308/15 Rn. 2). Er hat im Zwischenverfahren insgesamt zu einer der Justiz anzulastenden Verfahrensverzögerung von etwa 18 Monaten geführt. Die deswegen veranlasste Kompensationsentscheidung trifft der Senat, wozu er berechtigt ist (vgl. Beschluss vom 1. August 2018 - 5 StR 320/18 Rn. 3 mwN), selbst und stellt auf der Grundlage der Vollstreckungslösung (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 135 ff.) fest, dass zwei Monate der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe als Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer als vollstreckt gelten.“

 

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Das Problem bei Baugenehmigungen ist nicht, dass sie lange dauern, sondern, dass sie exitieren. Niemand braucht diesen bürokratischen Müll.

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