Von Amazon über Hatespeech zu Smart Contracts – kommt das europäische Digitalgesetz? DAV nimmt Stellung

von Dr. Sylvia Kaufhold, veröffentlicht am 18.09.2020
https://anwaltverein.de/de/newsroom/sn-56-20-zur-%C3%B6ffentlichen-konsultation-zum-digital-services-act

Im Rahmen ihrer Digitalstrategie für Europa möchte die EU-Kommission den derzeitigen Rechtsrahmen für digitale Dienste, insbesondere die E-Commerce-RL aus dem Jahr 2000, modernisieren und einige aus ihrer Sicht mittlerweile drängenden Fragen insbesondere zur Rolle und Verantwortung der größten Onlineplattformen in einem „Digital Services Act“ regulieren. Am 8. September 2020 lief eine Konsultation aus, mit der hierzu Meinungen, Fakten und Daten von Bürgern, Unternehmen, Onlineplattformen, wissenschaftlichen Kreisen, der Zivilgesellschaft und allen Interessenträgern eingeholt werden sollten. In Anlehnung an die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) spricht Netzpolitik.org bereits vom „Plattformgrundgesetz“ und von „einem revolutionären Vorhaben, das die Macht von Konzernen wie Google und Facebook beschränken soll.“ 

Auch der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat sich durch seine Ausschüsse IT-Recht und Zivilrecht an der Konsultation beteiligt. Anstatt den knapp 90-seitigen, für eine rechtliche Einschätzung ungeeigneten Fragenkatalog zu beantworten, haben Niko Härting, Martin Fries und ich als Berichterstatter eine kurze Stellungnahme entworfen und uns aus dem umfangreichen Themenkatalog einigen ausgewählten Fragen der Konsultation zugewandt: dem grundlegenden Regelungsansatz für ein neues Digitalgesetz, dem Umgang mit Rechtsverstößen und Hatespeech im Internet sowie dem Regelungsbedarf für Smart Contracts.  Hier eine

Zusammenfassung:

Der DAV begrüßt die Initiative der Europäischen Kommission, insbesondere die E-Commerce-Richtlinie aus dem Jahr 2000 zu überarbeiten, um wichtige Rechtsfragen der Erbringung digitaler Dienstleistungen und der Plattformökonomie in einem neuen einheitlichen Rechtsakt kohärent zusammenzuführen. Grundlegend regelungsbedürftig sind dabei nicht nur Fragen des materiellen Rechts und der Abgrenzung zu anderen Rechtsakten (insbes. zur Dienstleistungsrichtlinie), sondern auch Fragen des anwendbaren Rechts und ggf. der internationalen Zuständigkeit, die mit dem Herkunftslandprinzip der E-Commerce-Richtlinie bekanntlich nicht im Sinne einer allgemeinen Kollisionsregel gelöst wurden. Das Kollisionsrecht bedarf deshalb einer Nachschärfung, um die verschiedenen Regeln besser vorhersehbar und handhabbar zu machen, nach denen sich das für den Betrieb einer Online-Plattform oder sonstigen Internetpräsenz anwendbare Recht bestimmt.

Über die E-Commerce-Richtlinie hinaus wären von einer Neuregelung der Materie zahlreiche, sich zum Teil schon jetzt überschneidende Rechtsakte wie z.B. die Verbraucherrechterichtlinie, die Richtlinien zum Online-Handel, den digitalen Inhalten und B2C-Plattformen sowie diverse Empfehlungen im Digitalbereich betroffen. Im Interesse der Rechtsklarheit befürwortet der DAV die Überführung des Kerngehalts dieser Rechtsakte in den neuen Digital Services Act mit einem insgesamt sehr schlanken und kollisionsrechtlich flankierten Regelungsansatz. Dabei ist es nach Auffassung des DAV im Hinblick auf die Erfahrungen mit der DSGVO von besonderer Bedeutung, dass das Projekt alle wesentlichen Rechtsfragen abdeckt, ohne sich in Details zu verlieren, deren Ausgestaltung schon aus Gründen der Akzeptanz und praktischen Durchsetzung den Mitgliedstaaten überlassen bleiben sollte.

Auch über die existierenden EU-Rechtsakte im Digitalbereich hinaus ist eine stärkere Vereinheitlichung des materiellen Rechts etwa zum Einsatz von künstlicher Intelligenz und zur Bekämpfung von Hate Speech, bei denen es in jüngerer Zeit beispielsweise in Deutschland und Frankreich nationale Alleingänge gegeben hat, wünschenswert. Die Bekämpfung von Hate Speech und Desinformation war in jüngerer Zeit ein besonders heikles und kontroverses Thema. Der DAV hat das 2017 erlassene Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) kritisch kommentiert und sich im Zusammenhang mit weiteren Verschärfungen nachdrücklich für eine möglichst einheitliche Regelung der Materie auf EU-Ebene ausgesprochen. Eine Forderung, die durch die heute bekannt gewordene Weigerung des Bundespräsidenten, die vom Bundestag beschlossenen Gesetze zur Bekämpfung vom Hassrede und zur Änderung des NetzDG zu unterzeichnen, wieder aktuell wird.

Insgesamt spricht sich der DAV für die Stärkung des vertragsrechtlichen Ansatzes bei der Regulierung wichtiger Zweifelsfragen der Digitalwirtschaft aus, indem grundlegende Rechte und Pflichten der Online-Plattformen (und ihrer Nutzer) als gesetzliches Leitbild eines neuen Vertragstyps formuliert werden, von dem in den Community-Standards nicht oder nur eingeschränkt abgewichen werden darf. Dieser Ansatz ist nicht nur rechtstheoretisch naheliegend, sondern würde insbesondere grenzüberschreitend und unabhängig von weitergehenden mitgliedstaatlichen Befugnissen europäische Mindeststandards und damit Rechtssicherheit für alle Beteiligten schaffen. 

Hinsichtlich der Haftung von Online-Vermittlern empfiehlt der DAV, Haftungsrisiken für europäische Anbieter zu begrenzen. In Bezug auf sogenannte Smart Contracts hält der DAV EU-einheitliche Bestimmungen über das Erfordernis einer ausdrücklichen Einigung über den automatisierten Vollzug bzw. zur Automatisierung der Durchsetzung von Leistungsstörungsrechten zugunsten von Verbrauchern für denkbar. Auch könnte das Recht von Betroffenen zur Beanstandung und Einzelfallprüfung sowie „manuellen“ Rückgängigmachung eines nachweislich unrechtmäßigen Vollzugs geregelt werden. Hinsichtlich des anwendbaren Rechts und der gerichtlichen Zuständigkeit für Smart Contracts bedarf es nach Ansicht des DAV derzeit keiner neuen Bestimmungen.

Die gesamte Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins durch die Ausschüsse Informationsrecht und Zivilrecht zur Öffentlichen Konsultation der Europäischen Kommission zum Legislativpaket über digitale Dienste (Digital Services Act) finden Sie hier.

 

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