OLG Frankfurt am Main: Drei-Monats-Referenzkurs vs. Hochrechnung auf den Beschlusstag bei der Squeeze-Out-Abfindung

von Dr. Cornelius Wilk, veröffentlicht am 05.10.2020

Das OLG Frankfurt am Main hat mit Beschluss vom 27. August 2020 (21 W 59/19; BeckRS 2020, 23646) zu der Frage Stellung genommen, unter welchen Voraussetzungen bei der Unternehmensbewertung der Drei-Monats-Referenzbörsenkurs durch eine Hochrechnung auf den Beschlusstag zu korrigieren ist.

Im vorliegenden Fall hatte die >98% Mehrheitsaktionärin der betroffenen, vormals börsennotierten Gesellschaft am 14. November 2016 verlangt, die Minderheitsaktionäre gemäß § 327a AktG auszuschließen (Squeeze Out). Die Gesellschaft gab das Verlangen am selben Tag per Ad-hoc-Mitteilung bekannt. Am 22. Juni 2017 beschloss die Hauptversammlung den Squeeze-Out. Die angebotene Abfindung entsprach dem umsatzgewichteten Börsenkurs der Aktie in den drei Monaten vor dem 14. November 2016. Der nach der Ertragswertmethode ermittelte Aktienpreis lag darunter und blieb damit außer Betracht.

Stollwerck-Grundsätze des BGH

In seiner Entscheidung bestätigt der Senat die referenzkursbasierte Bewertung. Trotz des langen Zeitraums zwischen der Bekanntgabe und dem Beschluss des Squeeze-Outs sei der maßgebliche Kurs nicht entsprechend der branchentypischen Wertentwicklung auf den Beschlusstag hochzurechnen. Eine Hochrechnung, so der Senat mit Verweis auf die sog. Stollwerck-Entscheidung des BGH vom 19. Juli 2010 (II ZB 18/09; NJW 2010, 2657), sei nur dann geboten, wenn zwischen Bekanntgabe und Beschluss ein längerer Zeitraum verstreiche und die Entwicklung der Börsenkurse eine Anpassung geboten erscheinen lasse.

Sieben Monate und acht Tage sind „längerer Zeitraum“

Vorliegend sei zwar ein „längerer Zeitraum“ verstrichen. Die verstrichenen 7 Monate und 8 Tage lägen insbesondere nahe an dem in der Stollwerck-Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt (7 Monate und 13 Tage) sowie ähnlichen Einschätzungen im Schrifttum.

Voraussetzungen für Hochrechnung auf Beschlusstag

Allerdings lasse die Entwicklung des Börsenkurses hier eine Anpassung durch Hochrechnung nicht geboten erscheinen. Ziel der Hochrechnung sei es, die Minderheitsaktionäre davor zu schützen, dass der mit Bekanntgabe ermittelte Drei-Monats-Referenzkurs fixiert werde, ohne dass die angekündigte Maßnahme umgesetzt werde, und die Minderheitsaktionäre so von einer anschließenden Kursentwicklung ausgeschlossen würden. Unabhängig von missbrauchsspezifischen Gesichtspunkten gehe es darum, den fiktiven, am Bewertungsstichtag geltenden Börsenkurs zu finden, der sich ergeben hätte, wenn die Maßnahme nicht bekannt gemacht worden wäre. Eine Hochrechnung sei dann nicht vorzunehmen, wenn mit einer Veränderung des Börsenkurses selbst bei unterbliebener Bekanntmachung nicht zu rechnen gewesen wäre.

Keine Hochrechnung bei ersichtlicher Abkopplung von Vergleichsindex

Eine solche Situation eines stabilen Aktienkurses der Gesellschaft sei hier gegeben. Denn eine Gegenüberstellung der Kursverläufe der Aktie und der einschlägigen Branchen- und Peer-Group-Indices im Zeitraum zwischen dem 14. November 2013 und dem 22. Juni 2017 lasse deutlich erkennen, dass sich die (stabile) Kursentwicklung der Aktie in den drei Jahren vor Bekanntgabe der Maßnahme von den (erheblich volatileren) Vergleichsindices abgekoppelt habe. Diese branchenspezifischen Indices – und nur in Ausnahmefällen ein breiter Marktindex – sei der zutreffende Maßstab, um eine Abkopplung festzustellen, so der Senat in Anlehnung an eine frühere Entscheidung (OLG Frankfurt am Main, 21. Dezember 2010, 5 W 15/10; BeckRS 2011, 3054).

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