BGH zur Festlegung der nicht geringen Menge bei „Opium“ und der fehlenden Unterscheidung zwischen Rohopium, Rauchopium und Rohmorphin

von Dr. Jörn Patzak, veröffentlicht am 12.12.2020
Rechtsgebiete: StrafrechtBetäubungsmittelrecht|3907 Aufrufe

Der 2. Strafsenat hat sich in seinem Beschluss vom 6.10.2020 (2 StR 311/20 = BeckRS 2020, 34269) ausführlich mit der Festlegung der nicht geringen Menge bei Opium durch das Landgericht bei 4,5 g Morphinhydrochlorid befasst. Gegenstand des Verfahrens ist der Transport von 18.940 g „Opium“ mit einem Wirkstoffgehalt von 1.345,72 g Morphinhydrochlorid durch den Angeklagten und weiteren Mittätern in mehreren LKWs aus dem Iran nach Deutschland, wo sie es im Auftrag eines Hintermannes an dessen Abnehmer übergeben und die Kaufpreise entgegennehmen sollten. Der Angeklagte und seine Mittäter wurden nach erfolgter Einreise bei der Übergabe einer Teilmenge festgenommen. Das Rauschgift war fast ausschließlich für hier lebende „iranisch-stämmige“ Personen bestimmt, die das „Opium“ als ein Kulturgut ansehen.

Das Landgericht verurteilte den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten.

Der 2. Strafsenat des BGH hob das Urteil - auch hinsichtlich der nicht revidierenden Mitangeklagten - im Strafausspruch auf und verwies die Sache an eine andere Kammer des Landgerichts zurück. Er bemängelt die Festlegung der nicht geringen Menge bei 4,5 g Morphinhydrochlorid, ohne dass eine Feststellung zur Art des verfahrensgegenständlichen Opiumprodukte erfolgt ist. Wegen der unterschiedlichen Applikationsformen von Opium und der sich daraus ergebenden unterschiedlichen Gefährlichkeit des Betäubungsmittels sei dies aber erforderlich. Die Entscheidungsgründen lauten u.a. wie folgt:

„Während die auf die Sachrüge veranlasste Überprüfung des Schuldspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat, hält der Strafausspruch rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Nach den Urteilsgründen bleibt offen, auf welcher Grundlage die Strafkammer festgelegt hat, dass 4,5 g Morphinhydrochlorid bei den sichergestellten Betäubungsmitteln eine nicht geringe Menge im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG darstellen.

a) Nach der in ständiger Rechtsprechung vom Bundesgerichtshof angewandten Methode zur Bestimmung des Grenzwertes eines Betäubungsmittels ist dieser stets in Abhängigkeit von der konkreten Wirkungsweise und Wirkungsintensität des Betäubungsmittels festzulegen (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juni 2018 - 1 StR 233/18, StV 2019, 338; Urteile vom 8. November 2016 - 1 StR 492/15, NStZ-RR 2017, 45; vom 5. November 2015 - 4 StR 124/14, StraFo 2016, 37, 38; vom 17. November 2011 - 3 StR 315/10; BGHSt 57, 60, 63 f.; Senat, Urteil vom 3. Dezember 2008 - 2 StR 86/08, BGHSt 53, 89, 95 f.). Bei Opium besteht die Besonderheit, dass es nicht nur als Rohstoff ein Betäubungsmittel darstellt. Es dient auch als Ausgangsmaterial zur Herstellung von Opium-Alkaloiden, wie zum Beispiel Morphin, Kodein oder Papaverin (vgl. Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Aufl., Stoffe, Teil 1. Betäubungsmittel Rn. 160). Dementsprechend gilt die Festlegung des Bundesgerichtshofs, dass bei einer überwiegend intravenös injizierten Morphinzubereitung ein Grenzwert von 4,5 g Morphinhydrochlorid für die Annahme einer nicht geringen Menge im Sinne des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG zugrunde zu legen ist (vgl. BGH, Urteil vom 22. Dezember 1987 - 1 StR 612/87, BGHSt 35, 179 ff.), aufgrund der divergierenden Applikationsformen nicht für alle Opiumprodukte (vgl. Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, aaO, § 29a Rn. 99). Denn die Bioverfügbarkeit unterscheidet sich etwa bei einem oralen Konsum signifikant von einer intravenösen Zuführung (vgl. BGH, Urteil vom 8. November 2016 - 1 StR 492/15, aaO, 46).

Für die Festlegung eines Grenzwerts ist daher maßgeblich, ob Rohopium, das auch gegessen, getrunken oder geraucht werden kann (vgl. zu den Konsumformen des Opiums Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, aaO, Stoffe Teil 1. Betäubungsmittel Rn. 172; Weber, BtMG, 5. Aufl., § 1 Rn. 615; Möllers, Wörterbuch der Polizei, 3. Aufl., Opium), oder eine gefährlichere Verarbeitungsform wie beispielsweise Rauchopium (vgl. Patzak, in Körner/Patzak/Volkmer, aaO, Rn. 168) oder Rohmorphin (vgl. Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, aaO, Rn. 179) Gegenstand des Handelns war. Denn für die Gefährlichkeit der Dosis kommt es auf die Wirkmenge an, die bei der regelmäßig zu erwartenden Darreichungsform auf den Konsumenten einwirkt (vgl. BGH, Urteil vom 8. November 2016 - 1 StR 492/15, aaO, 45; Urteil vom 22. Dezember 1987 - 1 StR 612/87, aaO, 180).

b) Hieran gemessen ist der von der Strafkammer zur Ermittlung des Schuldgehalts zugrunde gelegte Grenzwert von 4,5 g Morphinhydrochlorid für die Annahme einer nicht geringen Menge im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG nicht belegt. Die Urteilsgründe lassen offen, welches Opiumprodukt dem festgestellten Tatgeschehen zugrunde lag. …“

Der BGH hat bislang selbst noch keinen Grenzwert für die nicht geringe Menge bei Rauchopium oder Rohopium festgelegt. Soweit das LG Köln und ihm folgend das OLG Köln den Grenzwert bei Rauchopium in Entscheidungen aus den Jahren 1992 und 1994 auf 6 g Morphinhydrochlorid bestimmt haben, äußert der 2. Strafsenat Zweifel an der dabei zugrunde gelegten Tatsachenbasis:

„Für die neue Hauptverhandlung bemerkt der Senat:

a) Sollte es sich bei den gehandelten Betäubungsmitteln um Rohopium oder Rauchopium handeln, wird der neue Tatrichter für die Bestimmung des Grenzwertes einer nicht geringen Menge im Sinne der § 30 Abs. 1 Nr. 4, § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG auf keine höchstrichterliche Rechtsprechung zurückgreifen können. Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 15. November 2011 (3 StR 380/11), der Rauchopium betraf, legt keinen Grenzwert fest.

Die Annahme des Landgerichts Köln in einem Beschluss vom 17. März 1992 (StV 1993, 529 ff.) und - ihr folgend - des Oberlandesgerichts Köln in einem Urteil vom 15. März 1994 (StV 1995, 306), nach denen der Grenzwert zur nicht geringen Menge im Sinne des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG bei Opium, das geraucht werden soll, bei 6 g Morphinhydrochlorid liegen soll (kritisch Cassardt, NStZ 1995, 257, 258), erscheint nicht unbedenklich. Das Landgericht Köln hat den Grenzwert der nicht geringen Menge für Opium zwar anhand der grundsätzlich anerkannten Berechnungsmethode aus dem Produkt der durchschnittlichen Konsumeinheit und einer insbesondere an der akuten und chronischen Toxizität sowie des Suchtpotentials des Rauschmittels orientierten Maßzahl (vgl. hierzu Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, aaO, § 29a Rn. 49 ff.), jedoch gänzlich ohne wissenschaftlich-fundierte Tatsachenbasis ermittelt. Ob ein an wissenschaftlichen - vornehmlich toxikologischen − Kriterien orientierter Grenzwert für Opium, das geraucht werden soll, über oder unter dem vom Landgericht Köln im Jahr 1992 angenommenen Maß von 6 g Morphinhydrochlorid liegt, ist damit offen.

 b) Der neue Tatrichter wird daher zunächst gehalten sein, genauer als bisher die Art des eingeführten und gehandelten Rauschgifts festzustellen. Er wird sodann − mit sachverständiger Hilfe − nach den eingangs geschilderten Maßstäben einen Grenzwert für das hier verfahrensgegenständliche Betäubungsmittel unter Berücksichtigung der regelmäßigen Konsumgewohnheiten zu ermitteln haben.“

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