Wirksame Klageeerhebung ohne Anschrift?

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 15.12.2020
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht1|2200 Aufrufe

Eine Kündigungsschutzklage kann die Frist des § 4 Satz 1 KSchG wahren, obwohl der Arbeitnehmer in der Klageschrift entgegen § 253 Abs. 4 iVm. § 130 Nr. 1 ZPO seinen Wohnort nicht angibt.

Das hat das BAG entschieden.

Dem schwerbehinderten Arbeitnehmer war außerordentlich, hilfsweise ordentlich gekündigt worden. Zuvor war er in einem Strafverfahren zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden und es war Haftbefehl gegen ihn erlassen worden. In seiner Kündigungsschutzklage gab er eine Anschrift in W an, unter der er aber nicht wohnhaft war; vielmehr konnten dort Postfächer angemietet werden. Allerdings hatte der Kläger seinen Postfachvertrag bereits gekündigt und dem Betreiber untersagt, weiterhin Post für ihn anzunehmen.

Das BAG hält die Klage gleichwohl für wirksam erhoben:

Weder der Zivilprozessordnung noch dem Wortlaut von § 4 Satz 1 KSchG ist zu entnehmen, dass lediglich eine von vornherein in allen Punkten dem Prozessrecht genügende Klageerhebung die Klagefrist wahrt (…). Vielmehr können auch unzulässige Klagen zur Fristwahrung ausreichen (…). Wann dies der Fall ist, bestimmt sich nach § 253 ZPO und § 4 Satz 1 KSchG (…). Eine wirksame Klageerhebung liegt vor, wenn die Klage die sich aus § 253 ZPO ergebenden Mindestvoraussetzungen erfüllt (…). Den Anforderungen von § 4 Satz 1 KSchG ist genügt, wenn die (wirksame) Klage dem Arbeitgeber fristgerecht Klarheit verschafft, ob der Arbeitnehmer eine bestimmte Kündigung hinnimmt oder ihre Unwirksamkeit gerichtlich geltend machen will. Erfüllt das prozessuale Vorgehen des Arbeitnehmers diesen Zweck, soll er nicht aus formalen Gründen den Kündigungsschutz verlieren (…). Danach ist die Dreiwochenfrist, ohne dass es auf eine rückwirkende Heilung gemäß § 295 ZPO (…) oder eine nachträgliche Klagezulassung nach § 5 KSchG ankäme, von vornherein gewahrt, wenn die rechtzeitig eingereichte Klageschrift von einer postulationsfähigen Person unterzeichnet ist, die sie – als solche und nicht als bloßen Entwurf – verantwortet (§ 253 Abs. 4 iVm. § 130 Nr. 6 ZPO), und aus ihr die Parteien (§ 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), die angefochtene Kündigung (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) sowie der Wille des Arbeitnehmers, die Unwirksamkeit dieser Kündigung gerichtlich feststellen zu lassen, ersichtlich sind (…). Demgegenüber rechnen die in § 253 Abs. 4 iVm. § 130 Nr. 1 bis 5 ZPO bestimmten Angaben weder zu den Mindestanforderungen an eine wirksame Klageerhebung (…) noch werden sie von § 4 Satz 1 KSchG verlangt (…).

BAG, Urt. vom 1.10.2020 - 2 AZR 247/20, BeckRS 2020, 33443

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Wer untergetaucht ist möchte normalerweise verhindern, daß Gegner ihm etwas wirksam zustellen, oder daß Gläubiger bei ihm vollstrecken, insbesondere daß Sie zwangsweise vorgeführt oder in (Erzwingungs-)Haft genommen werden, oder daß er, wenn er Prozessbetrug begeht, angeklagt und von Staatsanwaltschaft oder Polizei aufgefunden und festgenommen oder verhaftet wird.

Eine Klageerhebung solch einer Person, die nicht wirklich ernsthaft Verantwortung für ihre prozessualen Handlungen übernehmen will, und die von vorneherein eine Waffengleichheit zwischen den Parteien vermeiden will, und die die gegnerische Partei unredlich übervorteilen will, und die ihren Rechtsanwalt gleichsam als "Stohmann" mißbrauchen will, dürfte wohl regelmäßig unredlich und abzuweisen sein.

Man mag zwar bei dem Kriterium der Wahrung der Klagefrist vielleicht nicht so streng sein, aber wenn die Angabe der Anschrift auch auf Rüge hin nicht unverzüglich nachgeholt wird, dürfte die Klage wohl alleine deswegen bereits abzuweisen sein.

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