Ehemaliger BAMF-Skandal: Ist jetzt alles gut?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 20.12.2020
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Mitten in der zweiten großen Pandemiewelle und im zweiten Lockdown kann man sich tatsächlich noch mit dem ehemaligen BAMF-Skandal und seiner "Beerdigung" durch das Landgericht Bremen beschäftigen, jedenfalls gibt es auch wieder einige Medienberichte dazu.

Knapp: Es sind zwar noch ein paar Vorwürfe zum Hauptverfahren zugelassen, aber der bundesweite Skandal, der im Frühjahr 2018 sogar die Kanzlerin politisch in Gefahr brachte, ist längst auf ein lokales Ereignis geschrumpft (die Links zu meinen früheren Beiträgen finden Sie unten).

Wer sich aktuell informieren will, sollte diesen Panorama-Bericht anschauen: Bremer BAMF-Affäre: Gericht stutzt Anklage zurecht, der die ehemalige Amtsleiterin der Bremer BAMF-Außenstelle Ulrike B. angemessen rehabilitiert. Hauptthema des Beitrags ist die in den Eröffnungsbeschluss eingebundene Kritik des Gerichts an den staatsanwaltlichen Ermittlungsergebnissen. Mein Berliner Kollege Momsen wird dazu interviewt und ich kann ihm ebenso wie dem interviewten Verteidiger Sonnenberg, vollständig zustimmen: Offenbar wurde bei den Ermittlungen mit einer vorgefilterten Brille das Verhalten der Anwälte und das der Behördenleiterin als strafbare „Kollusion“ bewertet, ohne zu berücksichtigen, dass beide Seiten eigentlich das getan haben, was sie tun sollten: Die Anwälte das bestmögliche für ihre Mandanten, die Behördenleiterin die Beachtung der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung. Dass dies (irgendwann) nicht mehr der gewünschten Politik des Innenministers entsprach, kann und darf man ihnen nicht zum (strafrechtlichen) Vorwurf machen.

Aber ich vermisse auch im jetzigen Panorama-Bericht wie auch in der sonstigen Berichterstattung zum ehemaligen Skandal wichtige Punkte, die zur Vollständigkeit der Geschichte dazu gehören und nicht unerwähnt bleiben sollen:

1. Die Suspendierung der Amtsleiterin Ulrike B. erfolgte schon 2016. Die Vorwürfe sind also schon wesentlich älter als der dann in den Medien groß aufgemachte „Skandal“ im April 2018. Auch die Staatsanwaltschaft Bremen hat schon wesentlich länger ermittelt, aber ihr Vorgehen wurde nach meinem Eindruck wohl noch „geschärft“ durch die öffentlichkeitswirksame Berichterstattung. Eine Einstellung des Verfahrens kam dann wohl nicht mehr in Betracht, nachdem man aufgrund des Drucks der Politik und Öffentlichkeit das seit Jahren aufwändigste Ermittlungsverfahren in Bremen durchgeführt hat.

2. Zwar hat die AfD den Skandal (wie nicht anders zu erwarten) zu ihrer Sache gemacht, aber die Angelegenheit zuerst aufgebauscht und „Skandal“ gerufen haben im April 2018 die Journalisten vieler Print- und Rundfunkmedien. Sie haben, anders als nachträglich behauptet, nicht nur sachlich über ein Ermittlungsverfahren berichtet, sondern sind z.T. als Recherchenetzwerk aufgetreten, das einem Riesenskandal auf die Spur gekommen sei.  Sie haben u.a. damals einer windigen „Insiderin“ Gehör verschafft, die ihre Hauptaufgabe darin sah, die angeblichen Fehler ihrer schon suspendierten Vorgängerin an die ganz große Glocke zu hängen.

3. Die Medien haben von April bis in den Sommer hinein die Politik vor sich her getrieben mit Korruptionsvorwürfen, die sich bei wirklich kritischer Recherche schon damals als wenig substantiell erwiesen hätten; der NDR spielte zu Beginn eine führende Rolle. Die wesentlichen (und relativ leicht aufklärbaren) Fehlmeldungen habe ich in meinem früheren Beitrag benannt. (Es wäre m.E. vertrauensbildend gewesen, wenn Panorama die anfänglichen Fehler in ihrem neuen Beitrag zumindest angesprochen hätte.)

4. Im Panorama-Bericht wird zwar nachdrücklich die berechtigte Rehabilitation der Ulrike B. betrieben, aber ein anderes politisches Opfer des Skandal-Geschreis, die Leiterin des BAMF, Jutta Cordt, taucht in dem Bericht von Panorama nicht mehr auf.

5. Nicht erwähnt wird im neuen Panorama-Report, dass die Staatsanwaltschaft selbst die ursprünglich erhobenen Vorwürfe (2000 rechtswidrig positive Bescheide) schon um fast 95 % reduziert hatte, und dass bis kurz vor Anklageerhebung wichtige Presseorgane (Spiegel, FAZ) immer noch auf der Skandalflamme kochten.

6. Das Bundesinnenministerium will offenbar bis heute von den Früchten des vom Ministerium (unter Seehofer) kräftig mitgeschürten BAMF-Skandals profitieren. Es wird nicht einmal ansatzweise zurückgerudert. Das halte ich für einen Skandal nach dem Skandal: Pressekonferenz der Bundesregierung vom 18.12. mit dem Sprecher des BMI, Herrn Alter, ab Minute 36:50

Hinweise:

Die Langfassung meines seit Juni 2018 immer wieder aktualisierten Beitrags zur Entwicklung des "BAMF-Skandals", den ich nach wie vor primär als Medienskandal bewerte, finden Sie hier: „Der eigentliche BAMF-Skandal – Rufmord vor Recherche?“

Meinen Blog-Beitrag bei Beendigung des Skandals finden Sie hier: Neues vom Bremer BAMF-„Skandal“ – Verteidigung begründet Zweifel an der Anklage

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4 Kommentare

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Der Bericht litt m. E. an drei großen Problemen:
- Es fehlt jedwede Selbstkritik des NDR. Die Berichterstattung auch des NDR war damals so unreflektiert wie heute.

- Die Bewertung des LG Bremen ist eben das: eine Bewertung. Es ist dasselbe LG Bremen, das im Todesfall nach Brechmitteleinsatz die Macht einer strafunwilligen Justiz vorgeführt hat. Auch wenn die StA keine Beschwerde einlegt, macht das die Entscheidung nicht objektiv "richtig" - siehe vorgenannten Fall. Für eine Bewertung der Entscheidung liefert der Bericht dem Publikum leider keine Grundlage.

- Das LG Bremen hat über die Strafbarkeit des Verhaltens zu entscheiden, nicht (direkt) über die verwaltungsrechtliche Korrektheit. Der Beitrag gab an, das LG habe einige Fälle als Rechtsirrtümer bewertet, aber nicht als strafbar. Das mag sogar richtig sein, ändert die Bewertung des Gesamtvorgangs aber im Ergebnis nicht unbedingt. Vielmehr könnte man fragen, ob es nicht ein größerer Skandal ist, wenn "straflos" serienweise fehlerhafte Bescheide ausgestellt werden. Für die Bewertung in ausländerrechtlicher Sicht wäre daher zu ermitteln und zu berichten wie viele Bescheide materiell rechtswidrig waren, wie viele von der übrigen Verwaltungspraxis des BAMF und/oder internen Abweisungen abwichen usw. usf.

Es ist bedauerlich, dass dieser Vorgang politisch so aufgeheizt behandelt wird. Sowohl die unrechtmäßige Verweigerung als auch die unrechtmäßige Gewährung von Asyl sind rechtlich und gesellschaftlich wichtige Themen. Das auf dem Niveau der Boulevardpresse und der Populisten zu diskutieren, wird der Sache und den Betroffenen nicht gerecht.

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Sehr geehrter Leser,

vielen Dank für Ihren Kommentar. Sie schreiben:

Vielmehr könnte man fragen, ob es nicht ein größerer Skandal ist, wenn "straflos" serienweise fehlerhafte Bescheide ausgestellt werden. Für die Bewertung in ausländerrechtlicher Sicht wäre daher zu ermitteln und zu berichten wie viele Bescheide materiell rechtswidrig waren, wie viele von der übrigen Verwaltungspraxis des BAMF und/oder internen Abweisungen abwichen usw. usf.

Es ist richtig: Selbst wenn nicht strafbar, wäre es sicher kein Ruhmesblatt, wenn reihenweise rechtswidrige Bescheide ausgestellt worden wären. Eine Reihe von Bescheiden (eine zweistellige Zahl, also ein sehr geringer Anteil der ca 18000 überprüften) wurde tatsächlich zurückgenommen, d.h. aus Sicht der Prüfer seien diese Bescheide  von Anfang an rechtswidrig gewesen. Soweit ich informiert bin, ist aber bisher keine dieser Rücknahmen von den Verwaltungsgerichten bestätigt worden.  Der Grund dafür ist, dass es sich in der ganz großen Mehrzahl von Fällen um jesidische Flüchtlinge gehandelt hat, deren Verfolgung als anerkennenswerter Fluchtgrund von niemandem in Zweifel gezogen wurde. Die Streitfrage war hier, ob zB Bulgarien als Durchgangsstation der Flucht als sicheres Drittland anzusehen war bzw. ob die dortige Behandlung der Geflüchteten einen Hinderungsgrund für eine Rückführung anzusehen war. In der Beurteilung dieser Frage stritten BAMF und die Verwaltungsgerichte. Die Außenstelle Bremen hat hier offenbar frühzeitig die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung in die Bescheide inkorporiert. Ob diese Konstellation für alle von der Staatsanwaltschaft zuletzt noch als rechtswidrig angesehenen Fälle gilt, ist öffentlich nicht bekannt. Das liegt wiederum daran, dass die Staatsanwaltschaft die entsprechenden Asylverfahrensakten nicht zu den strafrechtlichen Ermittlungsakten genommen hat, mit dem (außerhalb der §§ 331 ff. StGB zweifelhaften) Argument, die Strafbarkeit hänge nicht von der Rechtmäßigkeit der Bescheide ab. Mehr dazu in meinem früheren Beitrag. Einige Rücknahmen sind aber wohl (noch) nicht von Verwaltungsgerichten überprüft worden.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Müller,

danke an dieser Stelle für die immer lesenswerten Beiträge. Ich greife die Antwort an mich auf:

"Die Außenstelle Bremen hat hier offenbar frühzeitig die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung in die Bescheide inkorporiert."

Diese Frage stelle ich mir auch: Hat das BAMF hier möglicherweise eine Beschäftigte kritisiert, weil sie a.) wohlwollender entscheidet, als die Zentrale des BAMF es wollte, aber b.) damit durchaus im Recht lag, weil das BAMF eine zu strenge Linie verfolgte?

Falls dem so ist, liegen zwei Probleme vor:

- Compliance-Defizite innerhalb des BAMF, weil die Linie der Leitung nicht konsequent umgesetzt wird. Auch falls die Linie der Leitung fehlerhaft war, mag hier beamtenrechtlich ein Problem vorliegen. Möglicherweise wurde nicht ordnungsgemäß remonstriert, sondern auf eigene Kappe entschieden - zwar richtig, aber außerhalb der Befugnisse.

- Compiance-Defizite des BAMF insgesamt, weil die Linie der Leitung nicht der - durch die Gerichte erarbeiteten - Rechtslage entsprach. Dass das einer Verwaltung passiert, ist normal und durchaus richtig. Jedoch wäre hier zu fragen, wieso die Außenstelle Bremen fachlich schneller und/oder besser arbeiten konnte als die Zentrale - oder ob diese die Rechtslage/Rechtsprechung vielleicht sogar bewusst ignoriert hat.

Dieser Skandal löst sich m. E. keineswegs in Luft aus. Es ändert sich wahrscheinlich höchstens, was skandalös ist. Man kann nur hoffen, dass dieses u. U. wesentlich komplexere Bild medial korrekt dargestellt werden wird.

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Es ist eine Schande, daß sich der Rechtsstaat auf solch ein Niveau begeben muss. Die neue Reaktion des Bundesinnenministeriums macht es nicht besser. Sie machen sich jetzt lächerlich! Was ist mit den Ermittlern? Droht hier ein Boomerang? 

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