VG Gelsenkirchen: Fahrtenbuchauflage ist ok - wir lassen uns doch nicht vom Motorradverkäufer verschaukeln, wenn es um (angebliche) Probefahrten geht

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 20.01.2021
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht1|2768 Aufrufe

Das Motorrad des Antragstellers konnte bei einer OWi fotografiert werden. Wer der Fahrer war, wusste der Betroffene natürlich lieber nicht. So gab es eine Fahrtenbuchauflage gegen ihn. Das passte ihm nicht. Angeblich wollte der Antragssteller sein Fahrzeug verkaufen und ließ irgendjemanden eine Probefahrt machen. Wer der Fahrer war, wusste er angeblich nicht. Bei dem VG Gelsenkirchen konnte er damit nicht die die Fahrtenbuchauflage abwenden:

 

 

1. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes wird abgelehnt.

 Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

 2. Der Streitwert wird auf 1.200,00 € festgesetzt.

 Gründe: 

 Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO),

 die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 8. Dezember 2020 - 14 K 4703/20 - gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 19. November 2020 wiederherzustellen, 

 hat keinen Erfolg.

 Die Vollziehungsanordnung genügt zunächst dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO und wird von dem Antragsteller auch nicht gerügt.

 Die in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene Interessenabwägung geht zu Lasten des Antragstellers aus.

 Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht in den Fällen, in denen die Klage gegen einen belastenden Verwaltungsakt abweichend von § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO keine aufschiebende Wirkung entfaltet, weil es sich bei dem Verwaltungsakt um eine Maßnahme handelt, deren sofortige Vollziehbarkeit - wie hier - durch die erlassende Behörde angeordnet wurde, auf Antrag des Betroffenen die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs wiederherstellen.

 Dies kommt nur in Betracht, wenn das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes das Interesse des Antragstellers, von Vollziehungsmaßnahmen vorläufig verschont zu bleiben, nicht überwiegt. Bei der in diesem Zusammenhang gebotenen Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren mit zu berücksichtigen. Stellt sich heraus, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, spricht dies für ein vorrangiges Vollziehungsinteresse, sofern nicht besondere Umstände im Einzelfall eine andere Entscheidung erfordern.

 Die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 19. November 2020, mit welcher dem Antragsteller aufgegeben wurde, für das auf ihn zugelassene Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen XX - XX XX für die Dauer von 6 Monaten ein Fahrtenbuch zu führen, stellt sich bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig dar, so dass die dagegen erhobene Klage voraussichtlich keinen Erfolg haben wird.

 Grundlage für die hier streitgegenständliche Ordnungsverfügung ist § 31a Abs. 1 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO). Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Wirksamkeit dieser Vorschrift bestehen insbesondere in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht.

 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 1981- 2 BvR 1172/81 -, juris.

 Nach § 31a Abs. 1 StVZO kann die Verwaltungsbehörde einem Fahrzeughalter die Führung eines Fahrtenbuches auferlegen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Die tatbestandlichen Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

 Eine Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften ist - was vorliegend auch nicht bestritten wird - gegeben. Mit dem auf den Antragsteller als Halter zugelassenen v. g. Fahrzeug wurde am 26. Juni 2020 ein Verkehrsverstoß nach § 41 Abs. 1 i.V.m. Anl. 2 der Straßenverkehrsordnung (StVO) begangen. An diesem Tag überschritt um 16:54 Uhr der Fahrer des Kraftfahrzeuges des Antragstellers auf der C. … T. die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h innerhalb geschlossener Ortschaften um 21 km/h. Der Verstoß hiergegen wird als Ordnungswidrigkeit u. a. mit einer Geldbuße von 80,00 € und der Eintragung von einem Punkt im Fahreignungsregister geahndet (vgl. Ziffer 3.2.2 der Anlage 13 Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) und laufende Nummer 11.3. der Bußgeldkatalog-Verordnung (BKatV) i. V. m. Tabelle I Buchstabe c zur BKatV).

 Der Antragsgegner ist zudem zutreffend davon ausgegangen, dass die Ermittlung des verantwortlichen Fahrzeugführers im Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht möglich war. „Unmöglichkeit“ im Sinne des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anzunehmen, wenn die Behörde nach den Umständen des Einzelfalles nicht in der Lage war, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen Maßnahmen ergriffen hat. Die Angemessenheit der Aufklärung beurteilt sich danach, ob die Behörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen getroffen hat, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und in gleichliegenden Fällen erfahrungsgemäß Erfolg haben. Art und Umfang der Ermittlungstätigkeit der Behörde dürfen sich an den Erklärungen des Fahrzeughalters ausrichten. Der Grund für die Unmöglichkeit ist unerheblich, solange nicht ein Ermittlungsdefizit der Behörde ursächlich gewesen ist.

 Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) Beschluss vom 9. Dezember 1993 - 11 C. 113.93 -, juris,; Beschluss vom 21. Oktober 1987 - 7 C. 162.87 -, Buchholz 442.16 § 31 a StVZO Nr. 18, jeweils m. w. N.; vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 30. November 2005 - 8 A 280/05 -, NWVBl 2006, 193; Hessischer VGH, Urteil vom 22. März 2005 - 2 UE 582/04 -, juris.

 Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass die Behörden nicht gehalten sind, bestimmte Ermittlungsmethoden anzuwenden, insbesondere den Täter eines Verkehrsverstoßes (etwa durch Anhalteposten) auf frischer Tat zu stellen.

 Vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Dezember 1993- 11 C. 113.93 -, juris, m.w.N.

 Zu den angemessenen Maßnahmen gehört jedoch grundsätzlich, dass der Halter möglichst umgehend, im Regelfall - wie hier - innerhalb von zwei Wochen, von dem mit seinem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoß benachrichtigt wird, damit er die Frage, wer zur Tatzeit sein Fahrzeug geführt hat, noch zuverlässig beantworten und der Täter Entlastungsgründe vorbringen kann.

 Der Antragsteller hat - nach vorangeganger Akteneinsicht - mit Schreiben vom 28. August 2020 mitgeteilt, dass er zum Tatzeitpunkt nicht gefahren sei. Den Fahrer könne er nicht benennen. Er habe zum Tatzeitpunkt die Absicht gehabt, sein Motorrad zu verkaufen, weshalb mehrere Personen Probefahrten von längerer Dauer gemacht hätten. Allerdings habe er sich die Namen nicht dauerhaft gemerkt oder notiert. Auch sei das Lichtbild nicht deutlich, weshalb eine Identifizierung nicht möglich sei. Hierzu hat der Antragsteller - wenn auch unsubstantiiert - im vorliegenden Verfahren weiter ausgeführt, dass er sich von den Kaufinteressenten zur Sicherheit den Personalausweis vor jeder Probefahrt habe geben lassen. Auch habe er keine Veranlassung gehabt, die persönlichen Daten zu notieren, insbesondere habe er nicht davon ausgehen müssen, dass ein Interessent eine Geschwindigkeitsübertretung begehen werde.

 Die Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrers im Tatzeitpunkt beruht in Ansehung dieses Vortrags nicht auf einem Ermittlungsdefizit der Behörde. Es hätte dem Antragsteller oblegen, einen höheren Sorgfaltsmaßstab an die Dokumentation der mit dem auf ihn als Halter zugelassenen Fahrzeug durchgeführten Fahrten obwalten zu lassen.

 Vgl. Urteil der Kammer vom 9. April 2019 - 14 K 9805/17 -.

 Die von der Rechtsprechung aufgestellte zweiwöchige Regelfrist für Anhörungen in Verkehrsordnungswidrigkeitssachen gilt erkennbar in typischen Fällen, in denen Private, die ihr Fahrzeug gelegentlich an ihnen bekannte Fahrer weitergeben, nach zwei Wochen gewöhnlich noch über eine gute Erinnerung darüber verfügen, wer zum benannten Tatzeitpunkt gefahren ist. In einem atypischen Fall wie der Überlassung an völlig unbekannte Dritte zum - unbegleiteten - Probefahren darf von einem Fahrzeughalter davon abweichend ohne weiteres bereits im eigenen Interesse erwartet werden, dass er, wie beispielsweise ein Kaufmann,

 vgl. zur Dokumentationsobliegenheit von Kaufleuten in st. Rechtsprechung z.C. . VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 12. März 2014, -14 L 340/14-, vom 18. Februar 2015 -14 L 213/15-, OVG NRW, Urteile vom 31. März 1995 -25 A 2798/93, NJW 1995, 3335, vom 29. April 1999 -8 A 699/97-, NJW 1999, 3279, Beschlüsse vom 29. Juni 2006 -8 C. 910/06-, juris, vom 15. März 2007, -8 C. 2746/06-, juris, vom 13. November 2013, -8 A 632/13-, juris, vom 23. Mai 2014, -8 C. 340/14-, OVG Bremen, Beschluss vom 12. Januar 2006, - 1 a 236/05-, juris, OVG M.-V., Beschluss vom 26. Mai 2008 -1 L 103/08-, juris, BayVGH Beschlüsse vom 29. April 2008, -11 CS 07.3429-, juris, vom 1. Juli 2009 -11 CS 09.1177-, juris, OVG Schl.-Holst., Beschluss vom 26. März 2012 -3 LA 21/12-, juris,

 die getätigten Fahrten dokumentiert, um sich bei Verkehrsverstößen oder Schäden an Rechtsgütern Dritter exkulpieren und Anhaltspunkte zum Täter liefern zu können. Es fällt vorliegend auch in die Sphäre des Fahrzeughalters, organisatorische Vorkehrungen dafür zu treffen, dass im Falle einer Verkehrszuwiderhandlung ohne Rücksicht auf die Erinnerung Einzelner festgestellt werden kann, welche Person zu einem bestimmten Zeitpunkt das Privatfahrzeug benutzt hat, wenn er dies - wie von ihm selbst vorgetragen - an ihm unbekannte Dritte zum unbegleiteten Fahren herausgibt.

 Die Notwendigkeit einer Dokumentation entsteht im Vergleich zur Gruppe der Kaufleute sogar in noch verstärktem Maße, als auch jene zwar eine mitunter größere Anzahl an Mitarbeitern mit ihren Fahrzeugen fahren lassen, diese ihnen aber jedenfalls sämtlich bekannt sind und ein Lichtbildabgleich daher regelmäßig zum Erfolg führen wird. Demgegenüber hat der Antragsteller seinem Vortrag zu Folge ihm völlig unbekannten Personen sein Fahrzeug für unbegleitete Fahrten überlassen.

 Im Übrigen erscheint es unplausibel, dass der Antragsteller keine Dokumentation zu den Kaufinteressenten angefertigt haben will, denn es entspricht allgemeiner Lebenserfahrung, dass die Verfolgung von Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten, -straftaten und zivilrechtlichen Ansprüchen Dritter im Zusammenhang mit Rechtsgutsverletzungen im Straßenverkehr oft erst deutlich später eingeleitet wird bzw. der Halter erst später von etwaigen Maßnahmen Kenntnis erlangt. Schon aus diesem Grunde hätte es dem Antragsteller in seinem ureigenen Interesse oblegen, Aufzeichnungen anzufertigen.

 Soweit der Antragsteller noch vorträgt, er hätte nicht mit Verkehrsverstößen der ihm unbekannten Fahrer rechnen müssen, vermag ihn auch dies nicht zu entlasten. Der Einwand greift bereits aufgrund der relativen Häufigkeit von - fahrlässig wie vorsätzlich begangenen - Geschwindigkeitsübertretungen usw., die als offenkundige Tatsache zu bewerten ist, nicht durch und kann erst recht bei unbegleiteten Fahrten, bei denen sich der Halter jeder Einflussmöglichkeit über das auf ihn zugelassene Fahrzeug begibt, nicht überzeugen.

 Dass der Antragsteller keinerlei Dokumentation aufbewahrt hat und im Zuge dessen nicht in der Lage war, die Ermittlungen des ihm unbekannten Fahrers seines Fahrzeuges zu befördern, geht zu seinen Lasten. Er hat durch seine besondere Sorglosigkeit in der Weitergabe seines Motorrads an Unbekannte die Voraussetzungen für die Nichtermittelbarkeit des Tatfahrers erst geschaffen. Vor diesem Hintergrund ist daher auch unerheblich, ob das Lichtbild - wie vom Antragsteller geltend gemacht - zu undeutlich gewesen ist.

 Hinzu kommt, dass der Antragsteller gehalten gewesen wäre, den möglichen Täterkreis nach den ihm vorhandenen Erkenntnismöglichkeiten weiter einzugrenzen. Hierzu hätte ihm beispielsweise die Darlegung - schon im Anhörungsverfahren - des Umstandes oblegen, wie er mit den potentiellen Kaufinteressenten Kontakt aufgenommen hatte.

 Die zuständige Stelle des I. durfte nach alledem bereits aus den gänzlich unterlassenen Angaben zum berechtigten Nutzerkreis des Fahrzeugs zulässigerweise auf die fehlende Mitwirkungsbereitschaft des Antragstellers schließen.

 Vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23. August 2013 - 8 C. 837/13 -; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 2. November 2004 -12 ME 413/04-, juris; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 4. Dezember 2003 -12 LA 442/03-, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse 9. Mai 2006 - 8 A 3429/04-, juris und vom 21. März 2016 -8 C. 64/16-, VG Gelsenkirchen, Urteil vom 4. März 2013 -14 K 2369/12-, juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 24. Mai 2012 -6 K 8411/10-, juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 25. März 2013 -14 L 356/13-, juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 25. Juni 2013 -14 L 996/13 -; VG Düsseldorf, Urteil vom 3. Dezember 2013 -14 K 4334/13-, juris.

 Dabei ist unerheblich, aus welchen Gründen der Halter keine (detaillierten) Angaben zur Sache macht. Die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage nach § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO setzt vor allem nicht voraus, dass der Halter seine Mitwirkungsobliegenheiten schuldhaft nicht erfüllt hat oder die Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers sonst zu vertreten hat.

 Vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28. Oktober 2013 -8 A 562/13-, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11. November 2013 - 8 C. 1129/13 -, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14. November 2013 - 8 A 1668/13 -, juris.

 Gleichfalls nicht entscheidend ist, dass der Antragsteller eine Mitwirkung nicht ausdrücklich verweigert hat. Entscheidend ist allein, dass er auch nach Kenntnisnahme vom Verkehrsverstoß bis zum Eintritt der Verfolgungsverjährung nicht zureichend an der Aufklärung mitgewirkt hat.

 Vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 9. Juli 2014 -8 C. 591/14-.

 Die Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuchs für die Dauer von 6 Monaten stellt sich auch nicht als ermessensfehlerhaft dar. Insbesondere hat der Antragsgegner das ihm zustehende Ermessen erkannt (vgl. etwa Seite 4 des streitgegenständlichen Bescheides) und nach den einschlägigen rechtlichen Vorgaben unter Berücksichtigung des Vortrags des Antragstellers im Rahmen der Anhörung sachgerecht ausgeübt. Das auf der Rechtsfolgenseite zu betätigende Ermessen kann gerichtlich nur in den Grenzen des § 114 VwGO überprüft werden. Das Gericht prüft ausschließlich, ob die Behörde in der Erkenntnis des ihr eingeräumten Ermessens alle die den Rechtsstreit kennzeichnenden Belange in ihre Erwägung eingestellt hat, dabei von richtigen und vollständigen Tatsachen ausgegangen ist, die Gewichtung dieser Belange der Sache angemessen erfolgt ist und das Abwägungsergebnis vertretbar ist, insbesondere nicht gegen höherrangiges Recht verstößt. Dabei sind Ermessenserwägungen bis zur letzten Verwaltungsentscheidung zu berücksichtigen, die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren noch ergänzt werden können (§ 114 Satz 2 VwGO)

 Es ist nach Inkrafttreten des neuen Punktesystems zum 1. Mai 2014 nicht zu beanstanden, wenn eine Behörde zur Ausübung ihres Ermessens nach § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO für die Einstufung der Schwere eines Verkehrsverstoßes auf das zum Zeitpunkt des Erlasses der Ordnungsverfügung geltende Punktesystem in der Anlage 13 zur Fahrerlaubnisverordnung zurückgreift. Danach rechtfertigt schon die erstmalige Begehung einer Verkehrsordnungswidrigkeit, die mit einem Punkt zu bewerten ist, die Anordnung eines Fahrtenbuchs, ohne dass es auf besondere Umstände des Einzelfalls, namentlich die Gefährlichkeit des Verkehrsverstoßes, ankommt.

 Vgl. OVG NRW, Urteile vom 29. April 1999 - 8 A 699/97 -, NJW 1999, 3279, juris, vom 30. November 2005- 8 A 280/05 -, NZV 2006, 223, juris; auch BVerwG, Beschluss vom 9. September 1999 - 3 C. 94.99 -, NZV 2000, 386, juris, Urteil vom 17. Mai 1995 - 11 C 12.94 -, BVerwGE 98, 227, juris, OVG NW, Beschluss vom9. Juli 2014 - 8 C. 591/14 -.

 Hier wäre der Verkehrsverstoß - wie bereits ausgeführt - mit einem Punkt in das Fahreignungsregister einzutragen gewesen. Von daher handelt es sich um einen erheblichen Verkehrsverstoß, der unter Ermessenssowie Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten die Auferlegung eines Fahrtenbuches für die Dauer von 6 Monaten ohne Weiteres rechtfertigt.

 Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 13. Januar 2016- 8 A 1030/15 -, NJW 2016, 968, das 12 Monate für einen mit nur einem Punkt einzutragenden Verstoß als verhältnismäßig ansieht.

 Die Fahrtenbuchanordnung ist auch aus sonstigen Gründen weder unverhältnismäßig noch ermessensfehlerhaft. Auch der Vortrag des Antragstellers, dass er von einem Verkauf seines Motorrads Abstand genommen habe und es nunmehr ausschließlich selbst benutze, gebietet keine andere Bewertung. Dabei ist im Übrigen auch zu berücksichtigen, dass das Führen eines Fahrtenbuches für den Antragsteller keine schwerwiegenden Belastungen mit sich bringt. Die damit verbundene geringfügige Belastung steht in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit der Anordnung verfolgten Zweck, die Sicherheit und Ordnung im Straßenverkehr zu gewährleisten und sicherzustellen, dass zukünftige Verkehrsverstöße nicht ungeahndet bleiben.

 Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 15. März 2007- 8 C. 2746/06 -, juris, und vom 7. April 2011 - 8 C. 306/11 -, juris, VG Gelsenkirchen, Beschlüsse vom 12. Januar 2011 - 14 L 1584/10 - und vom 30. Mai 2011 - 14 L 470/11 -.

 Es liegt auch ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Fahrtenbuches vor. Insoweit kann auf die zutreffende Begründung des streitgegenständlichen Bescheides Bezug genommen werden. Da die Lebenssachverhalte, die eine Fahrtenbuchauflage nach § 31a StVZO rechtfertigen können, typischerweise vergleichbar sind, durfte der Antragsgegner das öffentliche Interesse am Sofortvollzug auch allgemein mit der Möglichkeit künftiger erneuter Verkehrsverstöße und dem öffentlichen Interesse an der Ermöglichung der effektiven Verfolgung künftiger Verkehrsverstöße (mit dem betroffenen Fahrzeug) begründen.

 Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. Juni 2019, 8 C. 527/19, n. v.

VG Gelsenkirchen Beschl. v. 4.1.2021 – 14 L 1707/20, BeckRS 2021, 5 

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1 Kommentar

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Verstehe ich das richtig: Wenn der Halter sich gar nicht mehr erinnert hätte, wäre er um das Fahrtenbuch wegen der 2-Wochenfrist herumgekommen? Weil er sich besser als danach nötig erinnert, sich aber nicht alle Details gemerkt und dies auch noch zugegeben hat, muss er ein Fahrtenbuch führen. Und dies mit der Begründung, er hätte, obwohl rechtlich nicht zur Aufzeichnung verpflichtet war, Aufzeichnungen machen müssen?

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