Oh Mannomann....meine OWi ist doch schon so alt....die Probezeit schon abgelaufen...da will ich aber kein Aufbauseminar!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 30.01.2021
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|1939 Aufrufe

Tja. Es gibt im Verkehrsrecht für Fahrerlaubniserwerber in der Probezeit nichts Ärgerlicheres als eine sonst eigentlich recht folgenlose OWi, die ein sogenannter "A-Verstoß" ist. So war es auch bei der Klägerin. Sie war 24 km/h zu schnell gefahren. 70 Euro musste sie dafür zahlen. Den Verstoß hatte sie in der Probezeit begangen und musste ein Aufbauseminar absolvieren. Darauf hatte sie natürlich "keinen Bock". Ihre Ausrede: Die Sache ist schon lang her. Die Probezeit ist lange abgelaufen. Es gab keine neuen OWis." Das VG Koblenz hatte da wenig Mitleid:

 

 

Die Klage wird abgewiesen.

 Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

 Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

 Tatbestand: 

 Die Klägerin wendet sich gegen die Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar.

 Ihr wurde am 19. Oktober 2017 eine Fahrerlaubnis erteilt; die Probezeit sollte am 19. Oktober 2019 ablaufen.

 Am 11. April 2018 beging die Klägerin eine Verkehrsordnungswidrigkeit, indem sie die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 24 km/h überschritt. Diese wurde durch Entscheidung vom 25. Juni 2018 mit einem Punkt im Fahreignungsregister und einer Geldbuße in Höhe von 70 € geahndet. Die Entscheidung erlangte am 14. Juli 2018 Rechtskraft; die Beklagte wurde hierüber mit Schreiben vom 25. Juli 2018 informiert. Am 1. November 2018 überschritt die Klägerin erneut die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften, diesmal um 49 km/h. Diese Ordnungswidrigkeit wurde mit Entscheidung vom 16. Mai 2019, rechtskräftig seit dem 3. Juni 2019, mit einer Geldbuße von 480 € und zwei Punkten im Fahreignungsregister geahndet. Die Beklagte erhielt hierzu eine entsprechende Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes mit Schreiben vom 23. August 2019.

 Unter dem 30. Januar 2020 ordnete die Beklagte gegenüber der Klägerin aufgrund der noch in der Probezeit begangenen Verkehrsverstöße die Teilnahme an einem Aufbauseminar an und wies diese darauf hin, dass sich ihre Probezeit um zwei weitere Jahre bis zum 19. Oktober 2021 verlängere. Darüber hinaus setzte die Beklagte Gebühren in Höhe von 29,05 € fest.

 Den hiergegen unter dem 7. Februar 2020 erhobenen Widerspruch wies der Stadtrechtsausschuss bei der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juni 2020 zurück. Darin führte dieser aus, die Klägerin habe innerhalb der Probezeit zwei schwerwiegende Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr begangen, was zur gesetzlich vorgesehenen Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar geführt habe. Nach dem Gesetz sei die Fahrerlaubnisbehörde an die rechtskräftige Entscheidung über die Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten gebunden. Die Klägerin habe die genannten Zuwiderhandlungen innerhalb der Probezeit begangen. Irrelevant sei, dass die Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar nach der Probezeit ergangen sei. Denn maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Nichtbewährung eines Fahranfängers mit der Folge des Auslösens der Teilnahmepflicht an einem Nachschulungskurs sei der Zeitpunkt der Begehung der Zuwiderhandlung. Die zeitliche Grenze der Verwertbarkeit einer Zuwiderhandlung für eine solche Anordnung sei nach herrschender Meinung die Löschung im Fahrerlaubnisregister. Als sachgerechter Anknüpfungspunkt erscheine dabei unter Berücksichtigung des gesamten durch straßenverkehrsrechtliche Vorschriften verkörperten Sanktions- und Ordnungssystems für verkehrsauffällig gewordene Kraftfahrer der Zeitpunkt bzw. die Vorschriften über die Tilgung von Eintragungen verkehrsauffälliger Kraftfahrer im Verkehrszentralregister. Die angeordnete Maßnahme sei zwingend und stehe nicht im Ermessen der Behörde. Insgesamt sei von der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung auszugehen.

 Mit ihrer hiergegen am 15. Juli 2020 erhobenen Klage trägt die Klägerin vor, die streitgegenständliche Anordnung sei unverhältnismäßig und damit rechtswidrig. Davon sei auszugehen, wenn zwischen dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung eines „A-Verstoßes“ und der Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar ein erheblicher Zeitraum verstrichen, die verzögerte Bearbeitung der Sache ausschließlich im Verhalten der Behörde begründet sowie in der Zwischenzeit die Probezeit abgelaufen sei und keine weiteren Verstöße hinzugekommen seien. Denn ein Aufbauseminar erfülle den Zweck, Defizite bei jungen Verkehrsteilnehmern zu beseitigen, nur dann, wenn die zuständige Behörde die jeweils gebotene Maßnahme möglichst zeitnah ausführe. Im vorliegenden Fall habe die Beklagte am 2. September 2019 von den Umständen erfahren, welche zur Anordnung der Teilnahme am Aufbauseminar geführt hätten. Diese Anordnung sei jedoch erst mit Bescheid vom 30. Januar 2020, mithin nahezu fünf Monate nach Kenntniserlangung und dreieinhalb Monate nach Ablauf der Probezeit, ergangen. In einem solchen Fall sei die Teilnahme an einem Aufbauseminar zur Zweckerreichung offensichtlich überflüssig, zumal bis heute keine weiteren Verstöße mehr eingetragen worden seien. Darüber hinaus liege ein Fall des Ermessensnichtgebrauchs vor. Zwar sei die Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar grundsätzlich eine gebundene Entscheidung. Etwas anderes gelte jedoch dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - zwischen dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung von Verstößen und dem Zeitpunkt der Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar ein langer Zeitraum verstrichen sei. In einem solchen Fall sei immer die Verhältnismäßigkeit der jeweiligen Maßnahme unter Berücksichtigung der Zweckerreichung zu prüfen, mithin Ermessen insoweit auszuüben. Eine solche Ermessensausübung sei weder im Ausgangs- noch im Widerspruchsbescheid zu erkennen, da die Beklagte von einer gebundenen Entscheidung ausgegangen sei. Darüber hinaus sei aufgrund des langen Zeitraums zwischen dem ersten Verkehrsverstoß und dem Zugang der streitgegenständlichen Verfügung Verwirkung eingetreten.

 Die Klägerin beantragt,

 den Bescheid der Stadt A* … vom 30. Januar 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2020 aufzuheben,

 hilfsweise die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Stadt A* … zurückzuverweisen.

 Die Beklagte beantragt unter Wiederholung und Vertiefung der Ausführungen im Ausgangs- und Widerspruchsbescheid,

 die Klage abzuweisen.

 Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 10. und 11. November 2020 ihr Einverständnis zu einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung erklärt.

 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze und Unterlagen der Beteiligten sowie die Verwaltungs- und Widerspruchsakten (zwei Hefte) Bezug genommen; sämtliche Unterlagen sind Gegenstand der Beratung gewesen.

 Entscheidungsgründe: 

 Die zulässige Klage, über welche das Gericht im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§ 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO), hat in der Sache weder im Haupt- noch im Hilfsantrag Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 30. Januar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

 Die Voraussetzungen für die Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 des Straßenverkehrsgesetzes - StVG - liegen vor, da die Klägerin während der Probezeit im Straßenverkehr schwerwiegende Zuwiderhandlungen begangen hat, die im Fahreignungsregister einzutragen waren. Insoweit verweist die Kammer gemäß § 117 Abs. 5 VwGO auf die zutreffenden Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Ergänzend weist sie auf folgendes hin:

 Da es sich bei den beiden Verkehrsverstößen der Klägerin nach Ziff. A.2.1. der Anlage 12 zu § 34 der Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV - jeweils um schwerwiegende Zuwiderhandlungen gehandelt hat, hätte jede dieser Zuwiderhandlungen bereits nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG die Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar gerechtfertigt.

 Die Vorschrift des § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG lässt ausdrücklich die Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar auch dann zu, wenn die Probezeit zwischenzeitlich abgelaufen ist. Aus diesem Grund ist eine Anordnung auch dann noch zulässig, wenn seit der Begehung der Tat eine längere beanstandungsfreie Zeit vergangen ist (vgl. Trésoret, in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Auflage 2016, § 2a StVG Rn. 183; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage 2019, § 2a StVG Rn. 26, jeweils m.w.N. aus der Rspr.). Nach zutreffender Auffassung ist aus Gründen der Verhältnismäßigkeit vor dem Hintergrund des Sinns und Zwecks der Anordnung, den Fahranfänger zu einem verkehrsordnungsgemäßen Verhalten anzuhalten, eine maximale zeitliche Grenze für den Zeitraum zwischen der begangenen Zuwiderhandlung und der Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar festzulegen. Ob diese erst bei Tilgungsreife des Verkehrsverstoßes oder bei einem beanstandungsfreien Zeitraum von zwei Jahren gezogen werden muss (s. zum Meinungsstand Dauer, a.a.O.), kann die Kammer im vorliegenden Fall offenlassen. Denn zwischen dem zuletzt begangenen Verkehrsverstoß der Klägerin am 1. November 2018 und der Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar mit Bescheid vom 30. Januar 2020 lag ein Zeitraum von lediglich 15 Monaten und der genannte Verstoß war im Zeitpunkt des Bescheiderlasses noch nicht tilgungsreif (§ 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 b), § 29 Abs. 4 Nr. 3 StVG).

 Weitere Rechtsfehler sind hinsichtlich der streitgegenständlichen Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar nicht ersichtlich, insbesondere war der Behörde kein Ermessen bei ihrer Entscheidung eingeräumt und sie hat der Klägerin für die Vorlage der Teilnahmebescheinigung eine angemessene Frist von ca. zwei Monaten bis zum 31. März 2020 gesetzt (§ 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG).

 Hat der Hauptantrag der Klägerin bereits aus den dargelegten Gründen keinen Erfolg und war der Behörde bei ihrer Entscheidung kein Ermessen eingeräumt, kann auch der gemäß § 88 VwGO als Antrag auf Neubescheidung auszulegende Hilfsantrag der Klägerin keinen Erfolg haben.

 Bedenken gegen die Höhe der festgesetzten Gebühren sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Diese beruhen auf § 1 der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr - GebOSt - i.V.m. Ziffer 210 der Anlage 1 zu dieser Vorschrift und die Beklagte konnte gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 GebOSt ihre Auslagen für die Zustellung des Bescheides festsetzen.

VG Koblenz Urt. v. 14.12.2020 – 4 K 612/20, BeckRS 2020, 36914

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