OLG Hamm: 4 Jahre alte OWi kann man besser einstellen...

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 04.02.2021
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|1724 Aufrufe

Ein durchaus kurioser Verfahrenslauf: Das VerkehrsOWi-Verfahren dauerte nämlich über 4 Jahre, bis es das OLG erreichte. Und das OLG hat diese Besonderheit m.E. ganz nachvollziehbar in einen § 47 OWiG gegossen:

 

Das Bußgeldverfahren gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit wird gemäß § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt.

Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der dem Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen, allerdings nicht diejenigen notwendigen Auslagen, die dem Betroffenen wegen der Anbringung des Antrages vom 06.01.2017 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist entstanden sind.

 

Gründe

I.

Gegen den Betroffenen hat der Landrat des Kreises T mit Bußgeldbescheid vom 14.09.2015 wegen (fahrlässiger) Geschwindigkeitsüberschreitung eine Geldbuße von 240 Euro verhängt und ein einmonatiges Fahrverbot unter Gewährung der sog. „Viermonatsfrist“ festgesetzt. Den hiergegen gerichteten Einspruch hat das Amtsgericht mit dem angefochtenen Urteil vom 21.01.2016 wegen unentschuldigten Fernbleibens des Betroffenen von der Hauptverhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung verworfen. Gegen das ihm am 02.03.2016 zugestellte Urteil hat der Betroffene mit am selben Tag eingegangenem Verteidigerschriftsatz vom 08.03.2016 Rechtsbeschwerde eingelegt und Wiedereinsetzung in die Versäumung der Verhandlung über den Einspruch beantragt. Mit Verteidigerschriftsatz vom 06.01.2017 hat der Betroffene die Rechtsbeschwerde begründet und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist beantragt.

Den Antrag auf Wiedereinsetzung in die Versäumung der Hauptverhandlung hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 10.07.2019 verworfen. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde hat das Landgericht  Münster mit Beschluss vom 30.09.2020 als unzulässig verworfen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Verfahren einzustellen und die Kosten des Verfahrens, einschließlich der Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens – mit Ausnahme der notwendigen Auslagen des Betroffenen – der Staatskasse aufzuerlegen. Der Betroffene hat Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Er befürwortet ebenfalls die Verfahrenseinstellung, wendet sich aber gegen die Kostenlast. Von der Anhörung der Verwaltungsbehörde hat der Senat entsprechend § 76 Abs. 2 OWiG abgesehen.

II.

Angesichts des erheblichen Zeitablaufs seit der Tat hält auch der Senat vorliegend eine Einstellung für angemessen (vgl. etwa (OLG Stuttgart, Beschluss vom 04. November 2008 – 4 Ss 517/06 – juris). Der erhebliche Zeitablauf ist in weiten Teilen auf eine justizseitig zu vertretende Verfahrensverzögerung zurückzuführen. Ein Hinweis des Amtsgerichts auf die beabsichtige Verwerfung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung erfolgte erst am 23.12.2016, also rund neun Monate nach Anbringung des Antrages. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Hauptverhandlung wurde erst rund zweieinhalb Jahre nach seiner Anbringung vom Amtsgericht beschieden, weil die „Akte zunächst liegen geblieben und in Vergessenheit geraten“ war (Bl. 206 d.A.). Zwischenzeitlich hatten allerdings der Landrat des Kreises T am 10.08.2017 und die Staatsanwaltschaft Münster am 05.02.2018 sowie am 09.07.2018 nach dem Sachstand angefragt. Auch hatte das Amtsgericht dem Verteidiger des Betroffenen mit Verfügung vom 10.07.2018 Akteneinsicht gewährt mit der Bemerkung, dass nach Rücksendung der Akten dem Verfahren Fortgang gegeben werde sollte. Die Akten waren am 19.07.2018 an das Amtsgericht zurückgelangt (Bl. 207 d.A.). Auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen vom 17.07.2019 gegen den die Wiedereinsetzung ablehnenden Beschluss des Amtsgerichts wurden die Akten erst am 28.06.2020, mithin fast ein Jahr später, an das Landgericht als Beschwerdegericht weitergeleitet. Nachvollziehbare Gründe für diese Verzögerung ergeben sich aus den Akten nicht. Vor diesem Hintergrund müsste im Falle einer Entscheidung in der Sache und Bestehenbleiben des Schuldspruchs eine Kompensation für die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung erfolgen, denn die insoweit für das Strafverfahren entwickelten Grundsätze gelten auch im Bußgeldverfahren (vgl. OLG Bamberg NJW 2009, 2468; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 06. Dezember 2019 – IV-2 RBs 171/19 –,juris; OLG Hamm DAR 2011, 409; OLG Hamburg NStZ 2019, 529), wobei es der Erhebung einer entsprechenden Verfahrensrüge nicht bedurft hätte, da die Verfahrensverzögerung im Wesentlichen nach der Begründung der Rechtsbeschwerde eingetreten ist (vgl. OLG Bamberg a.a.O.). Angesichts dessen hätte das Fahrverbot als vollstreckt und auch die Geldbuße (ganz oder überwiegend) als vollstreckt gelten müssen. Angesichts der dargestellten Umstände und des deswegen nur noch marginalen Sanktionierungsinteresses ist eine Ahndung der Ordnungswidrigkeit nicht mehr geboten.

Die Kosten des Verfahrens waren gem. §§ 467 Abs. 1 StPO, 46 Abs. 2 OWiG der Staatskasse aufzuerlegen. Angesichts des ungewöhnlichen großen Ausmaßes der Verfahrensverzögerung hält der Senat es für unbillig, den Betroffenen mit seine notwendigen Auslagen zu belasten, vielmehr sind diese ebenfalls der Staatskasse aufzuerlegen (§ 46 Abs. 2 OWiG, 467 Abs. 4 StPO). Ausgenommen hiervon (von der Kostentragungspflicht der Staatskasse) sind lediglich seine notwendigen Auslagen, welche im Rahmen des gestellten Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist entstanden sind, denn diese hätte der Betroffene selbst im Falle einer gewährten Wiedereinsetzung nach §§ 473 Abs. 7 StPO, 46 Abs. 2 OWiG selbst tragen müssen.

In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts Münster vom 10.07.2019 (betreffend den Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung der Hauptverhandlung) keine tenorierte Kostenentscheidung enthält, dem Betroffenen offenbar aber ausweislich der Beschlussgründe Kosten und Auslagen des dortigen Beschwerdeverfahrens auferlegt werde sollten. Kosten und Auslagen dieses Beschwerdeverfahrens werden durch den vorliegenden Senatsbeschluss nicht berührt.

Weiter weist der Senat darauf hin, dass soweit ihm die Sache auch wegen einer Beschwerde gegen die Ablehnung der Verlegung des Hauptverhandlungstermins vor dem Amtsgericht vorgelegt worden ist (vgl. Bl. 248 d.A.), eine Zuständigkeit des Senats nicht erkennbar ist.

 

OLG Hamm, Beschl. v. 18.12.2020 - 4 RBs 414/20

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