Keine e.A. beim ThürVerfGH gegen das Fahrverbot - und: "VerfGH des Saarlandes hat anderes zu entscheiden, als das BVerfG"

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 08.02.2021
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|1686 Aufrufe

Der arme Betroffene. Er war geblitzt worden. Mit PoliScan Speed. All seine Hoffnungen setzte er nun auf  das Urteil des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes vom 5. Juli 2019 (Az. Lv 7/17). AG und OLG in Thüringen verurteilten nämlich munter entsprechend der im sonstigen Deutschland üblichen Rechtsprechung, die der saarländischen Verfassungsrechtsprechung nichts abgewinnen kann. Aber auch die thüringer Verfassungsrichter*innen halfen ihm erst einmal nicht weiter. Im e.A.-Verfahren wegen der drohenden Fahrverbotsvollstreckung hielt das VerfG die Erfolgsaussichten für offen. Und ausreichende Gründe für eine e.A. hatte der Betroffene nicht vorgetragen. Also wird erst einmal das Fahrverbot vollstreckt. Der ThüringVerfGH stellt aber auch die Grundproblematik der (nicht erfolgten) Daten-Akteneinsicht im Hinblick auf die Rechtsprechung des SaarlVerfGH und des BVerfG schön dar:

 

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

 Gründe: 

 Der Antragsteller begehrt mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, ein gegen ihn verhängtes Fahrverbot bis zur Entscheidung über die in der Hauptsache erhobene Verfassungsbeschwerde auszusetzen.

 I.

 1. Die Stadt Gera setzte gegenüber dem als Rechtsanwalt tätigen Antragsteller mit Bußgeldbescheid vom 28. Januar 2019 eine Geldbuße in Höhe von 160 Euro fest und ordnete ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat an. Zur Begründung wird ausgeführt, der Antragsteller habe am 8. November 2018 als Führer eines Personenkraftwagens die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften nach Toleranzabzug um 33 km/h überschritten. Als Beweismittel sind im Bußgeldbescheid zwei von einem mobilen Geschwindigkeitsmessgerät des Typs „PoliScan Speed“ erstellte Lichtbilder aufgeführt.

 2. Der Antragsteller bestritt den ihm zur Last gelegten Tatvorwurf und legte gegen den Bußgeldbescheid Einspruch ein. Gegenüber dem mit der Sache befassten Amtsgericht Gera beanstandete er, dass die Daten, aus denen das Geschwindigkeitsergebnis gebildet würde, ihm und seinem Verteidiger - offensichtlich weil diese nicht gespeichert würden - nicht zur Überprüfung überlassen worden seien und daher nicht zur Verfügung stünden. Unter Bezugnahme auf das Urteil des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes vom 5. Juli 2019 (Az. Lv 7/17) machte er geltend, der Ausschluss einer Überprüfbarkeit der Geschwindigkeitsmessung aufgrund fehlender Speicherung der Rohmessdaten stelle eine verfassungswidrige Beschränkung seines Rechts auf eine wirksame Verteidigung dar. Das Amtsgericht Gera lehnte einen in der Hauptverhandlung vom 1. Oktober 2019 gestellten Antrag des Antragstellers auf Aussetzung der mündlichen Verhandlung und Beziehung sowie Zurverfügungstellung der vollständigen Rohmessdaten ab. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass es bei diesem Messgerät mangels Speicherung keine beiziehungsfähigen Rohmessdaten gebe. Nachdem der Antragsteller daraufhin der Verwertung der Geschwindigkeitsmessung widersprach, die Sachleitung des Vorsitzenden beanstandete und beantragte, hierüber durch Gerichtsbeschluss zu entscheiden, wies das Gericht die Rüge der Sachleitung mit der Begründung als unzulässig zurück, dass die Entscheidung über die Verwertung eines Beweismittels keine Maßnahme der richterlichen Sachleitung sei. Das Amtsgericht Gera verurteilte den Antragsteller wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 33 km/h zu einer Geldbuße in Höhe von 160,00 Euro und verhängte ein einmonatiges Fahrverbot.

 3. Die vom Antragsteller gegen das amtsgerichtliche Urteil eingelegte Rechtsbeschwerde verwarf das Thüringer Oberlandesgericht mit Beschluss vom 28. September 2020, welcher dem Antragsteller am 30. September 2020 zuging. Zur Begründung nahm das Oberlandesgericht umfassend Bezug auf die Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 2. Dezember 2019 und verwies unter Bezugnahme auf den Beschluss des Thüringer Oberlandesgerichts vom 23.09.2020 im Verfahren 1 OLG 171 SsRs 195/19 darauf, dass - entgegen dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes - die Verwertbarkeit der Ergebnisse eines standardisierten Messverfahrens nicht von dessen nachträglicher Überprüfbarkeit abhängig sei und weder der Anspruch auf ein faires Verfahren noch der auf eine effektive Verteidigung berührt würden.

 4. Am 16. Oktober 2020 hat der Antragsteller gegen die gerichtlichen Entscheidungen Verfassungsbeschwerde beim Thüringer Verfassungsgerichtshof eingelegt (VerfGH 107/20). Mit Antragsschrift vom 20. Oktober 2020, welcher am gleichen Tag beim Thüringer Verfassungsgerichtshof einging, beantragte er zudem, im Wege der einstweiligen Anordnung, die Wirksamkeit des vom Amtsgericht Gera mit Urteil vom 1. Oktober 2019 (Az: 14 OWi 260 Js 12465/19) gegen den Beschwerdeführer festgesetzten Fahrverbotes bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde (Az: VerfGH 107/20) auszusetzen.

 Der Antragsteller rügt die Verletzung seines Rechts auf wirksame Verteidigung nach Art. 88 Abs. 1 Satz 3 ThürVerf und seines Rechts auf unbeschränkte Verteidigung nach Art. 88 Abs. 1 Satz 2 ThürVerf. Ein Verstoß gegen das Recht auf eine wirksame Verteidigung folge daraus, dass einerseits ein Messgerät verwendet worden sei, welches die Rohmessdaten, aus denen es den Messwert errechne und mit denen dieser überprüft werden könne, nicht speichere, und andererseits das Amtsgericht, sowie dem folgend später auch das Oberlandesgericht, unter Anwendung der Grundsätze des standardisierten Messverfahrens von einem nicht widerlegten und damit zutreffenden Messergebnis ausgegangen seien. Die Gerichte hätten erkennen müssen, dass eine unveränderte Anwendung der Grundsätze des standardisierten Messverfahrens mit dem Fairnessgebot und den Verteidigungsrechten nicht vereinbar sei.

 Ergänzend verweist der Antragsteller auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2020 (Az.: 2 BvR 1616/18) und trägt vor, dass dessen Ausführungen eindeutig dahin gehend zu verstehen seien, dass ein Betroffener aufgrund des Gebots des fairen Verfahrens auch einen Anspruch auf Überlassung der Rohmessdaten habe, die zum Zweck der Ermittlung entstanden, aber nicht gespeichert und deshalb auch nicht zur Akte genommen worden seien.

 II.

 Der Anhörungsberechtigte hat von der ihm eingeräumten Möglichkeit zur Stellungnahme abgesehen.

 III.

 Die Entscheidung ergeht ohne mündliche Verhandlung (vgl. § 26 Abs. 2 Satz 1 ThürVerfGHG).

 Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.

 Der Thüringer Verfassungsgerichtshof kann nach § 26 ThürVerfGHG im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Wegen der meist weitreichenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren auslöst, ist bei der Prüfung ihrer Voraussetzungen ein strenger Maßstab anzulegen (st. Rspr., zuletzt: ThürVerfGH, Beschluss vom 14. Oktober 2020 - 106/20 -, juris Rn. 33). Dieser an die Prüfung einer einstweiligen Anordnung anzulegende strenge Maßstab verlangt nicht nur eine besondere Schwere der im Fall des Unterbleibens einer einstweiligen Anordnung drohenden Nachteile, sondern stellt zudem sehr hohe Anforderungen an die Darlegung, dass solche Nachteile zu gewärtigen sind (vgl. ThürVerfGH, Beschluss vom 24. Juni 2020 - VerfGH 17/20 -, juris Rn. 64).

 1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig.

 Der Antragsteller wendet sich mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ausdrücklich nur gegen die Vollstreckung des in der angegriffenen Entscheidung des Amtsgerichts Gera verhängten einmonatigen Fahrverbots und nicht gegen die ebenfalls verhängte Geldbuße in Höhe von 160,00 Euro.

 Für die Zulässigkeit eines Antrags nach § 26 ThürVerfGHG bedarf es gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 ThürVerfGHG einer substantiierten Darlegung der Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Hierzu zählt neben einem Vortrag, der einen - ggf. noch zu stellenden - Antrag in der Hauptsache weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet erscheinen lässt, auch die nachvollziehbare und hinreichend substantiierte Darlegung, dass bei Nichtergehen einer einstweiligen Anordnung ein schwerer Nachteil droht (siehe ThürVerfGH, Beschluss vom 24. Juni 2020 - VerfGH 17/20 -, juris Rn. 63). Der Antragsteller hat über den Vortrag zur Hauptsache hinaus ausgeführt, welche Nachteile ihm im Falle eines Nichtergehens einer einstweiligen Anordnung drohen, und damit auch die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 26 Abs. 1 ThürVerfGHG hinreichend dargelegt.

 2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist jedoch unbegründet.

 a. Aufgrund des bereits dargelegten strengen Maßstabs haben bei der Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen einer einstweiligen Anordnung die Gründe, die für oder gegen die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme sprechen, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Etwas anderes gilt nur, wenn das Hauptsacheverfahren von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre. In den übrigen Fällen sind die Nachteile, die eintreten, wenn die einstweilige Anordnung nicht ergeht, die Maßnahme später aber für verfassungswidrig erklärt wird, gegen die Folgen abzuwägen, die entstehen, wenn die Anordnung erlassen wird, die Maßnahme sich aber als rechtmäßig erweist (st. Rspr., zuletzt: ThürVerfGH, Beschluss vom 14. Oktober 2020 - 106/20 -, juris Rn. 33).

 Darüber hinaus ist einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung aber auch dann stattzugeben, wenn ein Antrag in der Hauptsache zulässig und offensichtlich begründet wäre und die Rechtsverletzung bei Verweigerung des einstweiligen Rechtsschutzes nicht mehr rückgängig gemacht werden könnte (ThürVerfGH, Beschluss vom 14. Oktober 2020 - VerfGH 106/20 -, juris Rn. 34 f. mwN).

 b. Nach diesen Maßstäben ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht geboten. aa. Die Verfassungsbeschwerde des Antragstellers erscheint zum gegenwärtigen Zeitpunkt weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet.

 bb. Entgegen der Ansicht des Antragstellers ist es jedoch auch nicht unter Berücksichtigung des Kammerbeschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2020 (Az.: 2 BvR 1616/18) offensichtlich, dass die Verfassungsbeschwerde begründet ist.

 Der Beschwerdeführer verweist zwar in seinem ergänzenden Schriftsatz darauf, dass das Bundesverfassungsgericht einen grundrechtlich gesicherten Anspruch des Betroffenen im Ordnungswidrigkeitenverfahren auf Informationszugang zu den nicht zur Bußgeldakte genommenen Informationen anerkannt hat, der auch die im Rahmen eines standardisierten Messverfahrens anfallenden Informationen umfasse und der seinen Grund im Recht auf ein faires Verfahren habe, das wiederum dem Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit und der Verfassungs- und Gesetzesbindung der öffentlichen Gewalt (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) zu entnehmen sei (BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. November 2020 - 2 BvR 1616/18 -, juris Rn. 31, 51 ff.).

 Doch auch wenn die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts aufgrund von Art. 142 GG für die Auslegung des nach der Thüringer Verfassung gewährleisteten Rechts auf ein faires Verfahren maßgeblich sind, so ist zu berücksichtigen, dass sich der von der Kammer entschiedene Fall nicht vollständig mit dem hier zu prüfenden Sachverhalt deckt. Zum einen wurde dem Antragsteller - anders als in dem Verfahren, das der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vorausging (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. November 2020 - 2 BvR 1616/18 -, juris Rn. 3, 4 und 8) - von der Bußgeldstelle Akteneinsicht in die komplette Messserie (incl. Token und Passwort), die Lebensakte und auch den Schulungsnachweis der eingesetzten Mitarbeiter gewährt. Es war auch nicht die Informationsparität im Verhältnis zur Verwaltungsbehörde tangiert, deren Bedeutung das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung explizit betonte und die es im zugrundeliegenden Verfahren vermisste (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. November 2020 - 2 BvR 1616/18 -, juris Rn. 66). Soweit der Antragsteller darüber hinaus auf die vieldiskutierte Problematik verweist, ob ein Messergebnis des hier vorliegenden Messgerättyps Vitronic PoliScan Speed FM1 überhaupt hinreichend überprüfbar ist und zum Zwecke der Überprüfung auch ein Anspruch auf Überlassung der Rohmessdaten besteht, die zum Zweck der Ermittlung zwar entstehen, aber nicht gespeichert und deshalb auch nicht zur Akte genommen werden, so verhält sich das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 14. November 2020 hierzu gerade nicht. Vielmehr beschränkt es sich darauf, die unterbliebene Zugänglichmachung von Informationen dann als verfassungswidrig zu beanstanden, wenn diese an anderer Stelle vorhanden waren (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. November 2020 - 2 BvR 1616/18 -, juris Rn. 49).

 Die Frage, welche Konsequenzen sich aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch für Fallgestaltungen ergeben, in denen die Speicherung und Dokumentation von Rohmessdaten zwar möglich war, aber von der Ermittlungsbehörde unterlassen wurde, ist aufgrund ihrer Komplexität im Hauptsacheverfahren zu prüfen und diesem vorbehalten. In diesem Verfahren ist insbesondere zu klären, ob - wie der Saarländische Verfassungsgerichtshof entschieden hat (VerfGH Saarland, Urteil vom 5. Juli 2019 - Lv 7/17 -, juris Rn. 80) - aufgrund des Rechts auf ein faires Verfahren dann eine Verurteilung zu unterbleiben hat, wenn sich ein Betroffener gegen das Messergebnis wendet und dabei lediglich die unterbliebene Speicherung und Dokumentation von Rohmessdaten rügt oder ob es darüber hinausgehend erforderlich ist, dass der Betroffene im konkreten Fall Anhaltpunkte für die Fehlerhaftigkeit des Messergebnisses vorträgt.

 cc. Da die Erfolgsaussichten in der Hauptsache mithin noch offen sind, ist eine Rechtsfolgenabwägung vorzunehmen. Die nachteiligen Folgen, die ohne die einstweilige Anordnung für den Fall des Obsiegens in der Hauptsache zu erwarten sind, müssen im Vergleich zu den nachteiligen Folgen, die sich bei Erlass der einstweiligen Anordnung für den Fall der Erfolglosigkeit in der Hauptsache ergeben, deutlich überwiegen, da sonst bei vergleichender Betrachtungsweise gerade kein schwerer Nachteil im Sinne des Gesetzes droht (vgl. VerfGH Brandenburg, Beschluss vom 18. Januar 2019 - 4/18 EA -, juris Rn. 14). Im Rahmen der Abwägung wird insbesondere bedeutsam, ob für den Fall, dass die einstweilige Anordnung nicht ergeht, ein Eingriff in Grundrechte droht, der als solcher nicht mehr rückgängig gemacht werden kann (BVerfG, Kammerbeschluss vom 29. August 2007 - 1 BvR 1225/07 -, juris Rn. 27). Bei der Beurteilung der Schwere der Beeinträchtigungen, die für das als verletzt behauptete Grundrecht im Falle des Nichterlasses der einstweiligen Anordnung zu erwarten stünden, ist ebenso maßgebend, mit welcher Wahrscheinlichkeit der Eintritt solcher Beeinträchtigungen zu erwarten steht und ob Maßnahmen getroffen sind, ihren Eintritt auszuschließen oder in seinen Folgen abzumildern (BVerfG, Kammerbeschluss vom 29. August 2007 - 1 BvR 1225/07 -, juris Rn. 27). Nachteile, die nachträglich wieder beseitigt oder wirtschaftlich kompensiert werden können, muss ein Antragsteller grundsätzlich hinnehmen (Barczak, in: ders., MK BVerfGG, § 32 Rn. 55).

 Vorliegend ist bereits nicht ersichtlich, dass dem Antragsteller ein schwerer Nachteil droht, wenn die begehrte einstweilige Anordnung nicht ergeht und das Fahrverbot vor einer Entscheidung in der Hauptsache vollstreckt wird. Das Fahrverbot ist auf einen überschaubaren Zeitraum von einem Monat beschränkt. Der Antragsteller hat nicht schlüssig dargelegt, dass ihm aufgrund der Vollstreckung des Fahrverbots gravierende oder auch nur erhebliche Einbußen wirtschaftlich-existentieller oder sonstiger Art drohen. Es kann dahinstehen, ob durch das Fahrverbot überhaupt in das Grundrecht des Antragstellers auf Berufsfreiheit nach Art. 35 Abs. 1 ThürVerf eingegriffen wird. So genügt es grundsätzlich nicht, dass eine Rechtsnorm oder ihre Anwendung unter bestimmten Umständen Auswirkungen auf die Berufstätigkeit entfaltet. Vielmehr ist das Grundrecht der Berufsfreiheit erst dann berührt, wenn die Norm, auf die die Maßnahme gestützt ist, infolge ihrer Gestaltung in einem engen Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufs steht und objektiv eine berufsregelnde Tendenz hat (BVerfG, Urteil vom 8. April 1997 - 1 BvR 48/94 -, BVerfGE 95, 267 [302] = juris Rn. 135 f.).

 Der Antragsteller wird durch das Fahrverbot zumindest nicht im Kernbereich seiner Berufsausübung tangiert und auch für eine Bedrohung seiner wirtschaftlichen Existenz als Anwalt bestehen keine Anhaltspunkte. Es ist bereits vom Antragsteller nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich, dass er im Rahmen der gesetzlich vorgesehenen viermonatigen Frist, in der er das Fahrverbot anzutreten hat, die Auswirkungen auf seine Berufstätigkeit nicht durch die Inanspruchnahme von Urlaub hätte vermeiden können. Außerdem könnte der notwendige Austausch mit seinen Mandanten während des Fahrverbots weitestgehend auch telefonisch oder per Fax und E-Mail erfolgen.

 Ebenso besteht für ihn zur Wahrnehmung von Mandantengesprächen und auch seiner Gerichtstermine die Möglichkeit, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen oder auch auf Taxis oder private Fahrer zurückzugreifen. Unter Wahrung der sog. A-H-A-Regeln bestehen keine Anhaltspunkte, dass sich der Antragsteller, wie von ihm vorgetragen, durch die Nutzung anderer Verkehrsmittel als das eigene Auto erheblich selbst gefährden würde. Dies gilt nicht zuletzt deswegen, weil Gerichtstermine und auch Mandantengespräche nicht täglich anfallen. Zudem gilt zu berücksichtigen, dass der Antragsteller Mitglied einer Anwaltssozietät ist. Zu dieser zählen außer ihm noch weitere Anwälte, die ggf. Mandanten- und auch Gerichtstermine für ihn wahrnehmen könnten. Obwohl der Antragsteller der einzige Fachanwalt für Verwaltungsrecht und für Verkehrsrecht der Sozietät ist, ist nicht ersichtlich, dass ihn die anderen Mitglieder der Sozietät als erfahrene Anwälte - ggf. nach entsprechender Vorbereitung der Verfahren durch ihn - nicht hinreichend vor den Gerichten und bei den Mandanten vertreten können. Auch erhebliche anderweitige Nachteile sind nicht ersichtlich. So hat der Antragsteller lediglich sich selbst und keine Familie zu versorgen. Dass er für seine eigene tägliche Versorgung zwingend auf die Nutzung eines Autos angewiesen ist, hat er weder nachvollziehbar dargelegt noch liegt dies angesichts der Tatsache, dass er in der Innenstadt Geras lebt, nahe.

 Unabhängig davon fällt auch eine vorzunehmende Folgenabwägung zuungunsten des Beschwerdeführers aus. Die Eingriffe, die durch die Vollstreckung des Fahrverbots in die Grundechte des Antragstellers erfolgen, überwiegen nicht in deutlicher Form die Gemeinwohlbelange, die tangiert würden, wenn die einstweilige Anordnung erginge, die Hauptsache jedoch erfolglos bliebe. Die Durchsetzung der Gesetze und die Vollstreckung der auf ihrer Grundlage erlassenen Maßnahmen dient der Rechtspflege und somit dem Rechtsstaatsprinzip. Diesen Belangen stehen auf Seiten des Antragsstellers Grundrechtseingriffe von geringer Intensität gegenüber. Insbesondere sind auf Seiten des Antragstellers keine irreparablen Schäden oder Verstöße gegen fundamentale Verfassungsgrundsätze ersichtlich. Dem Antragsteller stehen zudem mit der Nutzbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel und dem Einsatz eines Fahrers sowie technischer Kommunikationsmittel Möglichkeiten zur Verfügung, um die Folgen seines Fahrverbots abzumildern.

 IV.

 Das Verfahren ist nach § 28 Abs. 1 ThürVerfGHG kostenfrei.

 Die Entscheidung ist nicht rechtsmittelfähig.

 Die Entscheidung ist mit 6 : 3 Stimmen ergangen.

ThürVerfGH Beschl. v. 11.1.2021 – VerfGH 109/20, BeckRS 2021, 629 

 

 

 

Ach so: Übermorgen gibt`s im Blog noch etwas zu dem Thema...

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