BVerwG: Mitglied des Personalrats ist nach außerordentlicher Kündigung an der Ausübung seines Amtes rechtlich verhindert

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 09.02.2021
Rechtsgebiete: Arbeitsrecht|2392 Aufrufe

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG 5 VR 1.20 - Beschluss vom 4. Februar 2021, PM 11/2021) hat eine Frage zum Personalvertretungsrecht entschieden, die sich in gleicher Weise auch im Betriebsverfassungsgericht stellt. Es geht darum, ob ein dem Personalrat angehörender Arbeitnehmer, der nach der außerordentlichen Kündigung seines Arbeitsverhältnisses ein Kündigungsschutzverfahren einleitet, weiterhin sein Personalratsamt ausüben kann.

Im jetzt entschiedenen Fall ging es um einen Arbeitnehmer, der seit 1993 als Tarifbeschäftigter beim Bundesnachrichtendienst (BND) beschäftigt ist. Seit den Personalratswahlen im Jahre 2020 ist er Mitglied des Gesamtpersonalrats beim BND in Berlin. Einige Monate nach der Wahl wurde das Arbeitsverhältnis mit Zustimmung des Gesamtpersonalrats außerordentlich gekündigt. Hiergegen hat der Antragsteller vor dem ArbG Berlin Kündigungsschutzklage erhoben, über die noch nicht entschieden wurde. Parallel dazu hat er ein personalvertretungsrechtliches Hauptsache- und Eilverfahren eingeleitet. In der Hauptsache begehrt er die Feststellung, dass der Beschluss des Gesamtpersonalrats über die Zustimmung zu seiner außerordentlichen Kündigung unwirksam und er weiterhin Mitglied des Gesamtpersonalrats sei. Mit seinem Eilantrag möchte der Antragsteller in der Sache erreichen, dass er vom Gesamtpersonalrat sowie dem Präsidenten des BND in der Ausübung seines Personalratsamtes bis zur Entscheidung des BVerwG in der Hauptsache nicht behindert wird. Dazu macht er geltend, dass der Zustimmungsbeschluss des Gesamtpersonalrats zur Kündigung fehlerhaft und die Kündigung aus verschiedenen Gründen rechtswidrig sei.

Das in erster und letzter Instanz zuständige BVerwG hat den Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung abgelehnt. Ein außerordentlich gekündigtes Personalratsmitglied, das seine Kündigung im Wege der Kündigungsschutzklage vor den Arbeitsgerichten angreife, sei weiterhin Mitglied des Personalrats. Die Mitgliedschaft im Personalrat setze nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 BPersVG bei Arbeitnehmern ein bestehendes Arbeitsverhältnis voraus. Die für ein Erlöschen der Mitgliedschaft erforderliche Gewissheit über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei im Falle der Erhebung einer Kündigungsschutzklage in der Regel erst mit einer rechtskräftigen Entscheidung im Kündigungsschutzverfahren gegeben. Einem Mitglied des Personalrats stehe (nach § 8 BPersVG) ein Anspruch auf ungestörte Ausübung seines Amtes und der damit verbundenen Tätigkeiten zu. Dieser Anspruch erstrecke sich gegenüber dem Dienststellenleiter auch auf den ungehinderten Zutritt zur Dienststelle und zu allen Räumlichkeiten in ihr, soweit dies zur Erledigung der Personalratstätigkeit erforderlich sei. Der Anspruch könne im Eilverfahren erfolgreich geltend gemacht werden, wenn das gekündigte Personalratsmitglied glaubhaft mache, dass die angegriffene Kündigung offensichtlich unwirksam ist. Denn bei einer derartigen Kündigung sei in Wahrheit kein ernstzunehmender Zweifel am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gegeben, sodass der Rechtsposition des Personalratsmitglieds der Vorrang einzuräumen sei. An einer entsprechenden Glaubhaftmachung fehle es hier. Lasse sich danach die offensichtliche Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung nicht feststellen, gehe die rechtliche Ungewissheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses und der davon abhängenden Mitgliedschaft im Personalrat dergestalt zu Lasten des gekündigten Personalratsmitglieds, dass dieser bis auf Weiteres (nach § 31 Abs. 1 Satz 2 BPersVG) aus rechtlichen Gründen an der Ausübung seines Amtes verhindert sei.

Diese Beurteilung dürfte auch für das Betriebsverfassungsrecht zutreffend sein. Das BAG geht davon aus, dass ein Betriebsratsmitglied während eines Kündigungsschutzprozesses nach erfolgter außerordentlicher Kündigung (§ 103 BetrVG) an der Ausübung seines Amts zeitweilig verhindert ist und nach § 25 I 2 BetrVG von einem Ersatzmitglied vertreten wird (BAG 10.11.2004 NZA 2005, 707). Wird allerdings das Betriebsratsmitglied während des Prozesses weiterbeschäftigt, übt es weiterhin das Amt aus. Außerdem entspricht es instanzgerichtlicher Rechtsprechung, dass während des Kündigungsrechtsstreits zum Schutz der Betriebsratstätigkeit eine einstweilige Verfügung jedenfalls dann erlassen werden kann, wenn die Kündigung offensichtlich unbegründet ist oder der allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch besteht (LAG Schlewsig-Holstein DB 1976, 1974).

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