OLG Frankfurt am Main: Wie „liquide“ muss eine Aktie sein, um sich als Gegenleistung in einem öffentlichen Übernahmeangebot zu eignen?

von Dr. Cornelius Wilk, veröffentlicht am 17.03.2021

Das OLG Frankfurt am Main tritt in seinem Beschluss vom 11. Januar 2021 (WpÜG 1/20; BeckRS 2021, 2598) für ein formales Verständnis der Liquiditätsanforderung aus § 31 Abs. 2 S. 1 WpÜG ein. Anlass der Entscheidung war die Beschwerde eines Bieters, dessen Übernahmeangebot die BaFin untersagt hatte. Der Bieter hatte als Gegenleistung neu auszugebende eigene Aktien angeboten.

Liquidität als eigenständiges Tatbestandsmerkmal

Gemäß § 31 Abs. 2 S. 1 WpÜG muss die in einem Übernahmeangebot angebotene Gegenleistung entweder in einer Geldleistung in Euro oder in liquiden Aktien bestehen, die zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind. Dabei, so der Senat, sei die Liquidität der Aktien als eigenständige Voraussetzung zu verstehen und nicht als automatische Folge der geforderten Börsenzulassung.

Zweck der Vorschrift: Angemessenheit der Gegenleistung

Der Inhalt des Liquiditätsbegriffs ergebe sich aus dem Zweck der Vorschrift, für eine angemessene Gegenleistung zu sorgen. Die Aktionäre der Zielgesellschaft sollten bei Annahme des Angebots so gestellt werden, als hätten sie ihre Aktien noch vor Veröffentlichung der Übernahmeabsicht an der Börse oder ggf. zu einem höheren vom Bieter gezahlten Preis veräußert. Eine Aktie sei nur dann liquide, wenn sie als Vermögensgegenstand – jedenfalls fast – so gut wie ein Geldbetrag in Euro sei, also ohne weiteres und jederzeit verkauft werden könne und bei einem kurzfristigen Verkauf an der Börse voraussichtlich der als angemessen bestimmte Wert der ursprünglich gehaltenen Aktien der Zielgesellschaft erzielt werden könne. Es müsse sich also um leicht veräußerliche Aktien handeln, deren Kurs eine geringe Volatilität aufweise.

Inhaltliche Orientierung an Finanzinstrumente-Aufzeichnungspflicht-DVO

Um den Begriff näher auszufüllen, verweist der Senat auf Art. 22 Abs. 1 der Verordnung (EG) 1287/2006 (Finanzinstrumente-Aufzeichnungspflicht-Durchführungsverordnung). Danach ist eine Aktie liquide, wenn sie täglich gehandelt wird und der Streubesitz nicht weniger als EUR 500 Mio. beträgt sowie entweder (a) die durchschnittliche tägliche Zahl der Geschäfte mit der Aktie nicht unter 500 oder (b) der durchschnittliche Tagesumsatz nicht unter EUR 2 Mio. liegt. Für ein Heranziehen dieser Kriterien spreche, dass der Begriff der liquiden Aktien im WpÜG historisch europarechtlich beeinflusst sei. Ein solches formales Kriterium schaffe Rechtssicherheit. Es liege daher nahe, den Begriff jedenfalls an Art. 22 Abs. 1 der Verordnung zu orientieren – auch wenn damit der Kreis der als Gegenleistung in Frage kommenden Aktien auf eine sehr geringe Zahl begrenzt werde (nach Annahme der Beschwerde ca. 80 deutsche Aktiengesellschaften). Selbst wenn man die durch Art. 22 Abs. 1 gezogene Grenze nicht als starr ansehen wollte, müssten Aktien, die nicht unter die Vorschrift fielen, jedenfalls Gewähr dafür bieten, dass ein Aktionär sie mit ähnlicher Wahrscheinlichkeit ohne weiteres über die Börse veräußern könne.

Bei der Entscheidung des OLG Frankfurt am Main handelt es sich, soweit ersichtlich, um die erste gerichtliche Stellungnahme zu dieser umstrittenen Frage. Der Senat entscheidet sich für eine bislang nur vereinzelt in der Literatur vertretene Ansicht, die im konkreten Fall auch von der BaFin so nicht vertreten wurde. Der Beschluss ist rechtskräftig.

 

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