EuGH: Bei mehreren Arbeitsverträgen mit demselben Arbeitgeber ist Gesamtbetrachtung für Mindestruhezeit maßgeblich

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 19.03.2021
Rechtsgebiete: Arbeitsrecht|1773 Aufrufe

Eine neuere Entscheidung des EuGH (Urteil vom 17.3.2021 in der Rechtssache C-585/19 Academia de Studii Economice din Bucureşti, BeckRS 2021,4440) entwickelt die Rechtsprechung zur Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG weiter fort. Der Ausgangsfall spielt in Rumänien, genauer in der Hauptstadt Bukarest. Die dortige Akademie für wirtschaftswissenschaftliche Studiengänge hatte von Oktober 2012 bis Januar 2013 Sachverständige gleichzeitig mit mehreren verschiedenen Arbeitsverträgen beschäftigt. Dadurch wurde die von der rumänischen Behörde vorgesehene Obergrenze von 13 Stunden Arbeitszeit pro Tag überschritten.

Das mit der Rechtssache befasste Tribunalul Bucureşti (Landgericht Bukarest) fragt den EuGH, ob die in Art. 3 der Arbeitszeitrichtlinie vorgesehene tägliche Mindestruhezeit, wenn ein Arbeitnehmer mit demselben Arbeitgeber mehrere Arbeitsverträge geschlossen hat, für diese Verträge zusammen genommen oder für jeden dieser Verträge für sich genommen gilt.

Laut EuGH ist das Recht jedes Arbeitnehmers auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf tägliche Ruhezeiten nicht nur eine Regel des Sozialrechts der Union, sondern auch in der Charta der Grundrechte der EU ausdrücklich verbürgt. Die Arbeitszeitrichtlinie verpflichte die Mitgliedstaaten, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit jedem Arbeitnehmer pro 24-Stunden-Zeitraum eine Mindestruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden gewährt wird. Diese Anforderung könne jedoch nicht erfüllt werden, wenn die Ruhezeit für jeden Vertrag zwischen dem Arbeitnehmer und seinem Arbeitgeber getrennt geprüft wird. In einem solchen Fall könnten Stunden, die im Rahmen eines Vertrags als Ruhezeit gelten, in einem anderen Vertrag Arbeitszeit darstellen. Derselbe Zeitraum dürfe aber nicht gleichzeitig als Arbeitszeit und als Ruhezeit eingestuft werden. Mehrere Arbeitsverträge, die ein Arbeitnehmer mit demselben Arbeitgeber geschlossen habe, müssten deshalb gemeinsam geprüft werden. Diese Auslegung entspräche auch den Zielen der Richtlinie: Mindestruhezeiten sollten einen besseren Schutz der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer gewährleisten. Zusammengefasst gilt daher: Die tägliche Mindestruhezeit gilt, wenn ein Arbeitnehmer mit demselben Arbeitgeber mehrere Arbeitsverträge geschlossen hat, für diese Verträge zusammen genommen und nicht für jeden dieser Verträge für sich genommen.

Das deutsche Recht stimmt mit dieser Auslegung europäischen Rechts durch den EuGH überein, muss also nicht nachgebessert werden. In § 2 Abs. 1 ArbZG heißt es „Arbeitszeiten bei mehreren Arbeitgebern sind zusammenzurechnen“. Was für mehrere Arbeitgeber gilt, muss erst recht bei einem Arbeitgeber gelten.

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