Anspruch auf staatliche Suizidhilfe durch Erlaubniserteilung zum Erwerb eines tödlich wirkenden Betäubungsmittels - Urteil des VG Köln vom 24.11.2020

von Dr. Jörn Patzak, veröffentlicht am 13.05.2021

Nachdem das BVerfG mit Beschluss vom 20.5.2020 (1 BvL 2/20 ua, NJW 2020, 2394) die Vorlage des VG Köln zur Frage einer möglichen Verfassungswidrigkeit des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG für unzulässig erklärt hatte (siehe hier), war das VG Köln weiterhin zur Entscheidung in der Sache des unheilbar erkrankten Klägers, der zuvor erfolglos eine Erlaubniserteilung zum Erwerb von 15 g Natriumpentobarbital zum Zwecke der Selbsttötung beim BfArM begehrt hatte, berufen. Das VG Köln wies die Klage zurück, weil nach der Entscheidung des BVerfG vom 26.2.20202 zu § 217 StGB nunmehr wieder Hilfen zur Verwirklichung des Wunsches auf eine Selbsttötung, auch mit Stoffen, die nicht dem Betäubungsmittelgesetz unterliegen, wie z.B. Psychopharmaka, Beta-Blocker, Antidiabetika, Antiepileptika sowie antiparasitäre Mittel (Chloroquin), in Anspruch genommen werden könnten. Hierzu führt das VG Köln aus (Urteil vom 24.11.2020 - 7 K 13803/17, BeckRS 2020, 35026):

„…Nach dem Entfallen der Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe in § 217 StGB bestehen aber jetzt wieder mehr Möglichkeiten zur Ausübung des Rechts auf einen selbstbestimmten Tod, sodass die Annahme der Kammer im Aussetzungsbeschluss vom 19.11.2019, dass ein schwerkranker Mensch - ohne eine Erwerbserlaubnis für Natriumpentobarbital - seinem Leiden ausweglos ausgeliefert sei, revidiert werden muss. …

Die Kammer hält die Inanspruchnahme der Hilfe von Sterbehilfeorganisationen oder zur Suizidassistenz bereiten Ärzten bei der Verschaffung von Arzneimitteln zur Selbsttötung jedenfalls für eine Übergangszeit für zumutbar und ausreichend, um das Recht auf eine Beendigung des Lebens in einer sicheren und humanen Weise zu verwirklichen. …

Der Zugang zu einer Sterbehilfe durch Sterbehilfeorganisationen ist auch tatsächlich für schwer kranke, bewegungsunfähige Personen, auch mit geringem Einkommen zugänglich. …

Die Kammer hält diesen Weg einer Verwirklichung des Suizidwunsches für eine zumutbare Lösung. Dies gilt jedoch nur für eine Übergangszeit, in der der Gesetzgeber ein sinnvolles Schutzkonzept für die Sterbehilfe entwickelt und hierbei auch die Verwendung von geeigneten Betäubungsmitteln wie Natriumpentobarbital berücksichtigt. …

Vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das dem einzelnen Bürger das Recht eingeräumt hat, selbstbestimmt über Zeit und Art seines Todes zu entscheiden und dabei auch ärztliche Hilfe von hierfür bereiten Dritten zu suchen und anzunehmen, besteht kein sachlicher Grund, schwer erkrankten Personen, die sich in einer extremen Notlage zur Durchführung eines Suizides entschlossen haben, das Mittel Natriumpentobarbital bei einer gesetzlichen Neuregelung vorzuenthalten. Die Frage, ob dies auch für andere Menschen gilt, die von ihrem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch machen wollen, stellt sich in den vorliegenden Verfahren nicht und kann daher offen bleiben. …

Der Umstand, dass diese noch nicht ausgewertet sind und das Verfahren derzeit stockt, dürfte hauptsächlich mit den enormen Aufgaben des zuständigen Bundesministeriums zur Bewältigung der Corona-Pandemie zusammenhängen. Es ist nicht zu beanstanden, dass diese Aufgaben im Augenblick vorrangig bearbeitet werden, da Leben und Gesundheit zahlreicher Menschen in Gefahr sind und wegen der dynamischen Entwicklung ein ständiger Bedarf an einer neuen Beurteilung und Reaktion besteht.

Dies ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass auch das Anliegen schwerkranker Personen an einem Zugang zu einer humanen Sterbehilfe innerhalb einer zumutbaren Zeit einer Lösung bedarf. Es kann jedoch angenommen werden, dass der Gesetzgeber sich dieser Aufgabe jedenfalls in der nächsten Legislaturperiode ab 2021 annimmt, da zum einen das Bundesverfassungsgericht ein gesetzgeberisches Schutzkonzept für vulnerable Personen in seiner Entscheidung vom 26.02.2020 angemahnt hat und der Bedarf für dieses Konzept nach dem Wegfall des § 217 StGB erneut aufgetreten ist. …“

Weil damit ein grundsätzlicher Zugang zur Selbsthilfe besteht, sieht das VG Köln keine Notwendigkeit für eine verfassungskonforme Auslegung des Versagungsgrundes des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG, der – de lege lata – einer Erlaubniserteilung entgegensteht.

„Da somit eine Selbsttötung in einer Übergangszeit mit Hilfe einer Sterbehilfeorganisation in zumutbarer Weise verwirklicht werden kann, kann eine Verfassungswidrigkeit der Untersagung des Erwerbs von Natriumpentobarbital in dieser Übergangszeit nicht angenommen werden. Damit entfällt auch die Notwendigkeit oder Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung von § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG, denn ein Verfassungsverstoß kann auch bei einer einfachgesetzlichen Auslegung vermieden werden.

Selbst wenn man aber weiterhin von einer verfassungswidrigen Situation bei der Realisierung des Selbstbestimmungsrechts über den eigenen Tod ausgehen wollte, käme jedenfalls eine verfassungskonforme Auslegung von § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vom 02.03.2017 nicht mehr in Betracht.

Das Bundesverwaltungsgericht knüpft die Möglichkeit der Erteilung einer Erwerbserlaubnis in den Fällen einer extremen Notlage nämlich auch daran, dass dem Betroffenen eine andere zumutbare Möglichkeit zur Verwirklichung des Sterbewunsches nicht zur Verfügung steht,

 vgl. BVerwG, Urteil vom 02.03.2017 - 3 C 19/15 - juris, Rn. 31 und 34 ff.

Nachdem § 217 StGB für nichtig erklärt wurde, die Strafbarkeit einer ärztlichen Suizidbeihilfe durch die Urteile des Bundesgerichtshofs vom 03.07.2019 - 5 StR 393/18 und 5 StR 132/18 - nach einer Neubewertung verneint wurde und das ärztliche Berufsrecht zur Überprüfung ansteht, erweist sich die Möglichkeit einer Inanspruchnahme von Sterbehilfe durch Organisationen oder hierzu bereite Ärzte aus der Sicht der Kammer - wie ausgeführt - als zumutbare Alternative.

Ungeachtet dessen scheitert die ausnahmsweise Begründung einer Erwerbserlaubnis von Natriumpentobarbital in extremen Notfällen im Wege einer verfassungskonformen Auslegung von § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG bereits daran, dass diese gegen den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers und damit gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz verstößt,

vgl. VG Köln, Aussetzungsbeschluss vom 19.11.2019 - 7 K 13803/17 -, S. 42 f. unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschluss vom 06.06.2018 - 1 BvL7/14 - juris, Rn. 73.

Wesentliche Entscheidungen im grundrechtsrelevanten Bereich sind dem Gesetzgeber vorbehalten, wobei diesem ein weiter Gestaltungsspielraum bei der Erfüllung seiner Schutzpflicht zusteht. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 26.02.2020 zu der vorliegenden Thematik deutlich hervorgehoben, indem es auf ein breites Spektrum an Möglichkeiten für eine gesetzliche Regelung hinweist,

BVerfG, Urteil vom 26.02.2020 - 2 BvR 2347/15 u.a. - juris, Rn. 339 ff.

Hierzu gehören prozedurale Sicherungsmechanismen, wie Aufklärung- und Wartepflichten, Erlaubnisvorbehalte für Sterbehilfeorganisationen, Verbote für besonders gefahrträchtige Suizidhilfeangebote, ggfs. mit Hilfe des Strafrechts. Das Gericht weist ferner darauf hin, dass das Sicherungskonzept faktisch hinreichenden Raum für die Entfaltung des Selbstbestimmungsrechts belassen müsse und fordert eine konsistente Ausgestaltung des Berufsrechts der Ärzte und der Apotheker, möglicherweise auch Anpassungen des Betäubungsmittelrechts.

Es hält jedoch eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes nicht für zwingend geboten. Denn „die Obliegenheit zur konsistenten Ausgestaltung der Rechtsordnung schließt nicht aus, die im Bereich des Arzneimittel- und des Betäubungsmittelrechts verankerten Elemente des Verbraucher- und des Missbrauchsschutzes aufrechtzuerhalten und in ein Schutzkonzept im Bereich der Suizidhilfe einzubinden“,

vgl. BVerfG, Urteil vom 26.02.2020 - 2 BvR 2347/15 u.a. - juris, Rn. 342.

Diese Ausführungen stützen die Annahme, dass der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts derzeit eine normerweiternde Auslegung von § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG im Sinne einer ausnahmsweise zu erteilenden Erwerbserlaubnis für Betäubungsmittel in tödlicher Dosierung nicht für geboten erachtet.

In diese Richtung deutet auch die Begründung des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom 20.05.2020 - 1 BvL 7/20 -, mit dem die Vorlage der Kammer zurückgewiesen wurde. Das Gericht führt aus, die Frage nach der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme von Sterbehilfe anstelle einer Erlaubnis zum Erwerb eines Betäubungsmittels zur Selbsttötung stelle sich nach dem Entfallen der Strafbarkeit nach § 217 StGB nunmehr anders, sodass die Verfassungswidrigkeit der Versagung nicht mehr ausreichend begründet sei. Fehlt es aber wegen des Bestehens einer Alternative für die Realisierung des Suizides an der Verfassungswidrigkeit der Normen des Betäubungsmittelrechts, kommt eine verfassungskonforme Auslegung nicht mehr in Frage.“

Man darf gespannt sein, wie der Gesetzgeber die Rechtsfrage zukünftig regeln wird...

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