"Karlsruher Formel" ist nichts für Karlsruhe

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 22.05.2021
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|3800 Aufrufe

Aus Zivilsachen bin ich bereits lange heraus. Die "Karlsruher Formel" erinnert mich jedoch an meine Zeit als Referendar und junger Richter. Damals war die heute ja wohl übliche Floskel zur Sicherheitsleistung "in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages" etwas für ältere Richterinnen und Richter Untunliches. Es wurde behauptet, dass das zu unkonkret sei und im übrigen auch Faulheit zeige. Eigentlich stets wurde konkret berechnet. 

Bei der "Karlsruher Formel" scheint mir das ebenso. Im Vorliegenden Falle hieß sie etwa so:

 

Die Beklagte wird zu einer Zahlung in Höhe von .... EUR abzüglich 0,11 EUR von der Klagepartei zu zahlender Nutzungsentschädigung für jeden bis zur Rückgabe des Fahrzeugs über .... Kilometer auf dem Kilometerzähler erfassten Kilometer nebst Rechtshängigkeitszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs verurteilt. Ferner wird festgestellt, dass die Beklagte sich mit der Annahme des Fahrzeugs in Verzug befindet.

 

Klingt gut. Aber auch ohne Zivilrechtler zu sein, klingt mir das schwer vollstreckbar. So sieht es auch das OLG Karlsruhe:

 

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 24.06.2020 (11 O 1/20) wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor wie folgt neu gefasst wird:

 1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 16.953,67 EUR Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges der Marke Volkswagen Touran mit der Fahrzeugidentifikationsnummer … nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.02.2020 zu zahlen.

 2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in Ziffer 1 genannten Zug-um-Zug-Leistung der Klägerin im Verzug befindet.

 3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

 II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt die Klägerin 37% und die Beklagte 63%.

 III. Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

 IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

 Gründe: 

 A.

 Die Klagepartei begehrt von der Beklagten im Wege des Schadensersatzes die Rückgängigmachung eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrages über ein von der Beklagten hergestelltes Fahrzeug im Zusammenhang mit dem sog. Dieselabgasskandal.

 Die Klagepartei erwarb am 26.09.2014 bei einer Autohändlerin den streitgegenständlichen PKW der Marke VW Touran, bei dem ein Motor des Typs EA 189 EU5 eingebaut ist und der eine Laufleistung von 11.400 km hatte, zu einem Brutto-Kaufpreis in Höhe von 26.900,00 Euro.

 In den Fahrzeugen des streitigen Typs war - beginnend im Laufe des Jahres 2008 - eine Software zur Steuerung des Motors installiert, die erkennt, ob sich das Fahrzeug im Testlauf unter Laborbedingungen oder im normalen Straßenverkehr befindet. Während im Testlauf die Motorsteuerung dergestalt erfolgt, dass mittels einer Abgasrückführung die Abgase zusätzlich gereinigt werden und die Emissionsgrenzwerte entsprechend der genannten Verordnung eingehalten werden (Abgasrückführungsmodus 1), ist im Betriebsmodus des normalen Straßenverkehrs der Abgasrückführungsmodus 0 aktiv, in dem keine oder eine deutlich geringere Abgasrückführung stattfindet.

 Im September 2015 räumte die Beklagte öffentlich die Verwendung einer entsprechenden Software ein. Unter dem 15. Oktober 2015 erging gegen sie ein bestandskräftiger Bescheid des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) mit nachträglichen Nebenbestimmungen zur Typgenehmigung. Das KBA ging vom Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus und gab der Beklagten auf, diese zu beseitigen und die Einhaltung der maßgeblichen Grenzwerte anderweitig zu gewährleisten. Die Beklagte hat den Haltern von betroffenen Fahrzeugen das Aufspielen eines Software-Updates angeboten, mit denen die Software entfernt werden sollte.

 Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes, der in erster Instanz gestellten Anträge sowie der erstinstanzlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

 Das Landgericht hat die Beklagte zu einer Zahlung in Höhe von 26.900,00 EUR abzüglich 0,11 EUR von der Klagepartei zu zahlender Nutzungsentschädigung für jeden bis zur Rückgabe des Fahrzeugs über 11.140 Kilometer auf dem Kilometerzähler erfassten Kilometer nebst Rechtshängigkeitszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs verurteilt. Ferner hat es festgestellt, dass die Beklagte sich mit der Annahme des Fahrzeugs in Verzug befindet. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.

 Hiergegen hat die Klagepartei Berufung eingelegt.

 Die Klagepartei beantragt,

 1.Das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 24.06.2020 (Az. 11 O 1/20) wird insoweit abgeändert, als es die gegen die Beklagte gerichtete Klage abgewiesen hat, jedoch ohne die weitere Geltendmachung der Deliktszinsen.

 2.Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei weitere EUR 9.946,33 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, gegen Zahlung einer in das Ermessen des Gerichts zu stellenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des Fahrzeugs durch die Klagepartei, zu zahlen.

 3.Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von weiteren EUR 2.077,74 nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

 Die Beklagte beantragt,

 Die Berufung zurückzuweisen.

 II.

 Auf die zulässige Berufung der Klägerin ist wegen der vom Landgericht gewählten, rechtlich nicht haltbaren Tenorierung nach der sogenannten „Karlsruher Formel“ der Tenor teilweise neu zu fassen (I). Die Berufung der Klagepartei hat keinen Erfolg. Die Klagepartei hat sich eine Nutzungsentschädigung anrechnen zu lassen (II). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung außergerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren (III). Da die Beklagte keine Berufung eingelegt hat, steht rechtskräftig fest, dass sich die Beklagte mit der Annahme des streitgegenständlichen Fahrzeugs in Verzug befindet.

 I. 

 Eine Tenorierung nach der sogenannten „Karlsruher Formel“, also unter Vorgabe einer Abzugsberechnung für die Nutzungsentschädigung zum Zeitpunkt der Rückgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs, ist unzulässig, da ein solcher Vollstreckungstitel durchgreifenden dogmatischen Bedenken begegnet, insbesondere mangels hinreichender Bestimmtheit nicht vollstreckungsfähig ist (OLG Karlsruhe, Urteil vom 13. Januar 2021 - 13 U 905/19, Juris Rn. 18).

 1. Zur Zulässigkeit einer Tenorierung in Form der sogenannten Karlsruher Formel werden in Rechtsprechung und Literatur unterschiedliche Standpunkte vertreten.

 a) Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat mit Urteil vom 07. März 2003 - 14 U 154/01, Juris, entschieden, dass bei Vorgabe der Abzugsberechnung der vollstreckbare Inhalt einer solchen Entscheidung eindeutig sei. Bei der Durchführung des Urteilsausspruchs werde auf diese Weise durch die Parteien bzw. ggfls. den Gerichtsvollzieher dann stets beachtet, dass die Gebrauchsvorteile grundsätzlich bis zum Tage der Rückgabe zu vergüten seien. Auch sei eine derartige Tenorierung zweckmäßig, da damit Abwicklungsprobleme vermieden würden, denen sonst nur mittels einer Vollstreckungsabwehrklage begegnet werden könne. Dieser Rechtsprechung haben sich einige Gerichte angeschlossen (vgl. OLG München, Urteil vom 10. April 2013 - 20 U 4749/12, Juris Rn. 4; LG Frankfurt, Urteil vom 29. Dezember 2011 - 2-25 O 159/10, Juris (jeweils ohne nähere Begründung); für einen Gebrauchtwagen: Thüringer Oberlandesgericht, Urteil vom 20. Dezember 2007 - 1 U 535/06, Juris Rn. 35; LG Köln, Urteil vom 26. Juli 2005 - 28 O 70/05, Juris Rn. 13). Nach einer weiteren Auffassung, soll eine Antragstellung auf dieser Basis möglich sein, wobei zumindest in Fällen des Gebrauchtwagenkaufs davon abgeraten wird (Reinking/Eggert, Der Autokauf, 13. Auflage 2017, Rn. 1187, 1190 a).

 Für die Zulässigkeit einer solchen Tenorierung wird weiter angeführt, es sei ausreichend, wenn sich der Zahlungsanspruch aus dem Titel errechnen lasse, im Titel müssten lediglich alle Kriterien für die Bestimmbarkeit des Anspruchsumfangs festgelegt sein. Ein Gerichtsvollzieher könne bei Vorgabe der Faktoren den Anspruch leicht errechnen. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stehe dem nicht entgegen, da der Tachostand dem Käufer bekannt sei und der Gerichtsvollzieher daher nicht auf Auskünfte Dritter vertrauen müsse, vielmehr obliege dem Vollstreckungsgläubiger, die entsprechenden Nachweise zu erbringen (Dastis/Hoeren, Berechnung des Nutzungsersatzes bei der Rückabwicklung von KFZ-Kaufverträgen, NJW 2019, 2430 ff). Gegen eine derartige Titulierung spreche auch nicht das Erreichen einer bestimmten Kappungsgrenze (etwa der verbliebene Zeitwert), denn eine solche widerspreche ohnehin der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Intention des Gesetzgebers. Auch käme es bei einem negativen Saldo ohnehin nicht zu einer Vollstreckung durch den Käufer. Hinsichtlich zugesprochener Zinsen ergäben sich keine Probleme, wenn die Karlsruher Formel einen entsprechenden klarstellenden Zusatz aufweise, wobei aus Vereinfachungsgründen für die Zinsberechnung auf den Zeitpunkt der Rückgabe abzustellen sei (zu all dem Dastis/Hoeren aaO).

 b) Dagegen wird in der Rechtsprechung eingewandt, es fehle an einer hinreichenden Bestimmtheit des Tenors, denn bei dem Tacho handle es sich nicht um eine Urkunde, die ausdrücklich zum Gegenstand des Urteils gemacht worden sei (OLG Koblenz, Urteil vom 16. April 2009 - 6 U 574/08, Juris Rn. 53; vgl. auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 21. Januar 2008 - I-1 U 152/07, Juris Rn. 39).

 Auch spreche die Möglichkeit der Feststellung des Annahmeverzugs im Urteil dagegen. Da der Feststellungsausspruch den Zug-um-Zug-Ausspruch mit Blick auf § 756 ZPO unbedingt vollstreckbar mache, habe der Gerichtsvollzieher keinen Anlass, das Auto in Besitz oder Augenschein zu nehmen (KG Berlin, Urteil vom 18. Dezember 2006 - 2 U 13/06, Juris Rn. 22; OLG Oldenburg, Urteil vom 02. Oktober 2019 - 5 U 47/19, Juris Rn. 48).

 Weiter betreffe die Unbestimmtheit regelmäßig auch den Zinsanspruch. Wenn das Landgericht den Tenor insgesamt und auch zur Hauptforderung unbestimmt gefasst habe, werde davon der gesamte Zinsanspruch betroffen, denn es sei nun unklar, wie und auf welchen Zeitraum die Zinsen berechnet werden sollen, wenn bei Rückabwicklung eine Hauptforderung nicht mehr bestehe, da die Klagepartei insoweit anzurechnende Nutzungen gezogen habe (KG Berlin aaO; vgl. auch OLG Köln, Urteil vom 10. Juni 2020 - 16 U 250/19, Juris Rn. 32).

 Das Argument, durch einen so gefassten Urteilstenor würde einer Vollstreckungsgegenklage vorgebeugt, treffe nicht zu. Würde ein solches Urteil als Vollstreckungstitel zugelassen, so käme mangels hinreichender Bestimmtheit des abzuziehenden künftig anfallenden Betrages allenfalls eine Vollstreckung wegen der bezifferten Forderung, also ohne den Abzug, in Betracht; der Schuldner wäre hinsichtlich der ihm zustehenden weiteren Nutzungsentschädigung darauf angewiesen, diese im Wege der Vollstreckungsgegenklage geltend zu machen. Zwar werde es allgemein als zulässig angesehen, einen Beklagten zur Zahlung einer monatlichen Nutzungsentschädigung bis zur Rückgabe der genutzten Sache zu verurteilen. Dies entspreche den sonstigen zahlreichen Fällen der Titulierung laufender Leistungen (Unterhalt, Renten, Mietzins usw.), die, auch wenn es so nicht in den Tenor aufgenommen werde, materiell-rechtlich unter dem Vorbehalt wesentlich gleichbleibender Verhältnisse stünden und bei deren Änderung die Initiative zur Korrektur des Titels - in der Regel durch Abänderungs- oder Vollstreckungsgegenklage nach §§ 323, 767 ZPO - dem Vollstreckungsschuldner überlassen bleibe. Diese Fälle seien jedoch nicht vergleichbar mit einem Fall, in welchem die Beklagte nicht zur Zahlung einer Nutzungsentschädigung sondern zur Zahlung eines bestimmten Geldbetrages abzüglich einer unbestimmten Nutzungsentschädigung verurteilt worden sei, die zudem nicht eindeutig für bestimmte Zeiträume festgesetzt sei (OLG Koblenz, aaO Rn. 54 - 55, juris).

 2. Der Senat schließt sich der letzteren Auffassung aus folgenden Gründen an:

 a) Eine Titulierung nach der sogenannten „Karlsruher Formel“ weist keinen vollstreckungsfähigen Inhalt auf.

 Ein Vollstreckungstitel ist bestimmt genug und zur Zwangsvollstreckung geeignet, wenn er den Anspruch des Gläubigers ausweist und Inhalt und Umfang seiner Leistungspflicht bezeichnet. Das Vollstreckungsorgan muss in der Lage sein, allein mit dem Titel ohne Verwertung der Gerichtsakten oder anderer Urkunden die Vollstreckung durchzuführen. Zwar ist der Titel selbst der Auslegung fähig. Es genügt jedoch nicht, wenn auf Urkunden Bezug genommen wird, die nicht Bestandteil des Titels sind, oder wenn sonst die Leistung nur aus dem Inhalt anderer Schriftstücke ermittelt werden kann (st. Rspr. vgl. nur BGH, Beschluss vom 13. September 2017 - IV ZB 21/16, Juris Rn. 12).

 Die genaue Höhe des titulierten Anspruchs ergibt sich aber nicht aus dem Urteil selbst, vielmehr lässt sie sich nur anhand des Tachostandes zum Zeitpunkt der Rückgabe ermitteln, also anhand einer Privaturkunde, die nicht ausdrücklich zum Gegenstand des Urteils gemacht worden ist.

 Unklar ist im Regelfall auch, wie sich der Zinsbetrag errechnen soll, auf Basis des ausgeurteilten Betrages oder nach Abzug der vom Vollstreckungsorgan festzustellenden Nutzungsentschädigung (was wiederum bei einer Zug-um-Zug Leistung mit praktischen Problemen verbunden wäre).

 b) Da die Höhe des titulierten Anspruchs vor der Rückgabe des Fahrzeugs auch nicht durch Auslegung des Urteils ermittelt werden kann, weil es sich nach der Titulierung um ein dynamisches Geschehen abhängig von der weiteren Nutzung handelt, lässt sich zudem die Beschwer der Parteien nicht zweifelsfrei ermitteln. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen im Urteil kein Kilometerstand zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung festgestellt wird. Soweit mit einer Berufung ein entsprechender Antrag gestellt wird, ist ebenso nicht klar bestimmbar, in welcher Höhe eine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung begehrt wird.

 c) Mit dem Fall einer Klage auf zukünftige Leistung nach den §§ 257, 258 ZPO ist der vorliegende nicht vergleichbar, da im Unterschied hierzu gerade unklar ist, wie sich der weitere Verlauf darstellt und kein gewöhnlicher weiterer Verlauf vorausgesetzt werden kann, der Grundlage einer Klage auf zukünftige Leistung ist.

 d) Der in erster Linie auf Zweckmäßigkeitserwägungen gestützten Rechtsprechung zur Zulässigkeit der „Karlsruher Formel“ steht ferner das Erfordernis einer eindeutigen Bestimmbarkeit von Inhalt und Umfang der materiellen Rechtskraft einer Entscheidung (§ 322 ZPO) und das hieraus folgende Interesse der Parteien an Rechtsklarheit und -sicherheit entgegen. Der Sache nach werden mit einer Tenorierung nach der „Karlsruher Formel“ die zeitlichen Grenzen der Rechtskraft über den Schluss der mündlichen Verhandlung verschoben und damit die Abgrenzung zur Vollstreckungsgegenklage (§§ 767 Abs. 2, 796 Abs. 2 ZPO) verwischt und die dem Erkenntnisverfahren vorbehaltene Klärung zur Höhe des von der Klagepartei geltend gemachten Anspruchs unzulässig in das Vollstreckungsverfahren verlagert.

 Das Gesetz sieht im Fall sich ändernder Umstände zwischen Titulierung und Zwangsvollstreckung die Möglichkeit einer Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO vor und gibt damit dem Vollstreckungsgläubiger ein geeignetes Instrument zur Wahrung seiner Interessen an die Hand. Das System der vollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfe kann nicht durch bloße Zweckmäßigkeitserwägungen ausgehöhlt werden.

 e) Hinzu kommt, dass die angeführten Zweckmäßigkeitserwägungen auch deshalb nicht überzeugen, da in den Fällen, in denen - wie auch hier - der Annahmeverzug des Schuldners im Urteil festgestellt worden ist und der Gerichtsvollzieher daher keinen Anlass hat, das Fahrzeug in Besitz oder Augenschein zu nehmen, offen bleibt, wer den Tachometerstand zum Zeitpunkt der Rückgabe feststellen soll. Hierdurch geschaffene Unsicherheiten stehen einer Zweckmäßigkeit entgegen.

 II.

 Die Beklagte haftet der Klagepartei aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB. Der Senat legt der Berechnung des im Rahmen des Vorteilsausgleichs abzuziehenden Nutzungsersatzes (§ 249 BGB) - wie das Landgericht - eine Gesamtlaufleistung von 250.000 km zugrunde, mit der Folge, dass eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 9.946,33 Euro als Vorteil anzurechnen ist. Auf dieser Grundlage kann die Klagepartei von der Beklagten Zahlung von 16.953,67 Euro verlangen.

 1. Die Beklagte hat gemäß §§ 826, 249 ff. BGB der Klagepartei sämtliche aus der sittenwidrigen Schädigung resultierenden Schäden zu ersetzen.

 a) Wenn wie hier der Geschädigte durch Täuschung eines Dritten zum Abschluss eines Vertrags veranlasst wurde, steht ihm im Rahmen der Naturalrestitution ein Anspruch auf Rückgängigmachung der Folgen dieses Vertrags zu, das heißt, Ausgleich der für den Vertrag getätigten Aufwendungen durch den Schädiger gegen Herausgabe des aus dem Vertrag Erlangten (vgl. BGH, Urteil vom 19.07.2004 - II ZR 402/02, juris Rn. 41; Urteil vom 28.10.2014 - VI ZR 15/14, juris Rn. 28; Tiedtke, DB 1998, S. 1019).

 Die Klagepartei hat sich im Wege des Vorteilsausgleichs die von ihr gezogenen Nutzungen anrechnen zu lassen. Soweit prinzipielle Einwände gegen die Berücksichtigung der Nutzung des Fahrzeugs als Abzugsposition im Rahmen der deliktischen Haftung vorgebracht werden, vermögen diese nicht zu überzeugen (vgl. im Einzelnen, BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, juris Rn. 64 - 77; Senat, Urteil vom 06.11.2019 - 13 U 37/19, juris Rn. 110 - 118).

 Nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung dürfen dem Geschädigten neben einem Ersatzanspruch nicht die Vorteile verbleiben, die ihm durch das schädigende Ereignis zugeflossen sind. Gleichartige Gegenansprüche sind automatisch zu saldieren (BGH, Urteil vom 12.03.2009 - VII ZR 26/06, juris Rn. 16; Grüneberg, in: Palandt, BGB, 79. Auflage 2020, Vor § 249 Rn. 71). Solange Ersatzanspruch und Vorteil nicht gleichartig sind, muss der Schädiger Schadensersatz nur Zug um Zug gegen Herausgabe des Vorteils leisten. Der Schadensersatzanspruch des Geschädigten ist nur mit dieser Einschränkung begründet. Darauf, ob der Schädiger die Herausgabe des Vorteils verlangt, kommt es nicht an. Insbesondere bedarf es, anders als in den Fällen der §§ 320, 322, 348 BGB, keines besonderen Antrags oder einer Einrede des Schädigers (BGH, Urteil vom 23.06.2015 - XI ZR 536/14, juris Rn. 23 f.).

 Danach kann die Klagepartei vorliegend Erstattung der von ihr für den Erwerb des Fahrzeugs verauslagten Kosten abzüglich einer Entschädigung für die gezogenen Nutzungen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des erworbenen Fahrzeugs an die Beklagte verlangen.

 b) Die Rechtsprechung geht insoweit für bewegliche Sachen von einer linearen Wertminderung aus (vgl. BGH, Urteil vom 31.03.2006 - V ZR 51/05, juris Rn. 12 f.; Seichter, in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 8. Auflage 2017, § 281 Rn. 72 f.), das heißt, der für jeden gefahrenen Kilometer in Abzug zu bringende Betrag ist in der Weise zu ermitteln, dass der vereinbarte Bruttokaufpreis durch die im Kaufzeitpunkt zu erwartende Rest- (beim Gebrauchtwagenkauf) bzw. Gesamtlaufleistung (beim Neuwagenkauf) geteilt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 09.12.2014 - VIII ZR 196/14, juris Rn. 3).

 Im Rahmen der Vorteilsausgleichung kommt es auf die aus dem erworbenen Fahrzeug (tatsächlich) gezogenen Vorteile an. Diese liegen darin, dass die Klagepartei das Fahrzeug genutzt hat. Darauf, ob es hätte in Betrieb genommen werden dürfen, kommt es nicht an (BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, juris Rn. 81). Dass der Mangel die tatsächliche Nutzung erheblich eingeschränkt hat (vgl. Reinking/Eggert, Autokauf 14. Auflage 2020, Rn. 1173), ist weder ersichtlich noch geht dies aus dem Sachvortrag der Klagepartei hervor.

 c) Der Senat schätzt die Gesamtfahrleistung des Fahrzeugs (§ 287 ZPO) auf 250.000 km. Zu berücksichtigen ist, dass die Fahrleistung, die ein Fahrzeug in seiner Lebensdauer zurücklegen kann, von verschiedenen Faktoren abhängig ist, nicht nur von der Lebensdauer des Motors, sondern auch der anderen Bauteile. Die Lebensdauer des Motors ist unter anderem von Größe und Leistung des Motors und insbesondere auch vom Nutzungsverhalten abhängig. Für Dieselfahrzeuge dieser Preisklasse und Qualität wird die durchschnittliche Laufleistung in der Rechtsprechung wie hier überwiegend auf 250.000 km geschätzt (vgl. die Übersicht bei Reinking/Eggert, Autokauf, 14. Auflage 2020, Rn. 3574; BGH, Beschluss vom 09.12.2014 - VIII ZR 196/14, juris Rn. 3 (BMW X5, 3.0d A); ebenso Senat, Urteil vom 06.11.2019 - 13 U 37/19, juris Rn. 108; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 06.12.2018 - 17 U 4/18, juris Rn. 50). Individuelle Leistungsmerkmale, die dem streitgegenständlichen Fahrzeugtyp zur Zugrundelegung einer höheren Gesamtlaufleistung zwängen, zeigt die Klagepartei nicht auf. Es bedarf daher auch nicht der Einholung eines Sachverständigengutachtens.

 d) Die im Rahmen der Vorteilsausgleichung zu berücksichtigende Entschädigung für die gezogenen Nutzungen berechnet der Senat nach der üblichen Formel:

 Bruttokaufpreis * gefahrene Kilometer / Gesamtlaufleistung bzw. Restlaufleistung.

 Der Kilometerstand zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht beträgt unstreitig 99.459 km. Die vom Kaufpreis abzuziehende Nutzungsentschädigung beläuft sich somit - wie das Landgericht zutreffend berechnet hat (Urteil, S. 10) - auf 9.946,33 Euro (= 26.900 Euro * (99.459 - 11.140 km / (250.000 - 11.140) km). Die nach Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht erfolgte Nutzung des Fahrzeugs war nicht zu berücksichtigen, da nur die Klagepartei Berufung eingelegt hat.

 2. Der Einwand, es erscheine unbillig, dass die Beklagte aus der Nutzung des nur auf dem Prüfstand die maßgeblichen Schadstoffgrenzwerte einhaltenden Fahrzeugs einen Vorteil ziehe, dies sei ferner auch dem Geschädigten unzumutbar, greift nicht durch (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 -, Rn. 66, juris).

 III. 

 Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht einen Anspruch der Klägerin auf Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verneint.

 1) Die Klagepartei hat die Beklagte zwar vorgerichtlich mit Anwaltsschreiben vom 19.11.2019 (Anlage K 19 = AS I, 96) unter Fristsetzung bis zum 26.11.2019 aufgefordert, die Haftung wegen sämtlicher Schäden im Zusammenhang mit dem Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs anzuerkennen. Es fehlt aber an erforderlichem schlüssigem Vortrag der Klagepartei dazu, dass sich der Auftrag ihrer Prozessbevollmächtigten zum damaligen Zeitpunkt lediglich auf ein vorgerichtliches Tätigwerden beschränkt hat oder nur ein bedingter Prozessauftrag erteilt worden war (vgl. BGH, Urteil vom 15.08.2019 - III ZR 205/17, juris Rn. 43 f.).

 Zwar hat Klagepartei vorgetragen, dass erst nachdem die Beklagte die ihr im außergerichtlichen Schreiben gesetzte Frist ergebnislos habe verstreichen lassen, die Klagepartei erneut kontaktiert worden sei, um die weiteren Optionen aufzuzeigen und ihr zur Klageerhebung zu raten. Dieses Vorbringen steht allerdings in Widerspruch zu den Ausführungen im vorgerichtlichen Schreiben vom 19.11.2019. Denn dort heißt es, dass die Prozessbevollmächtigten der Klagepartei ohne weitere Erinnerung den gerichtlichen Weg beschreiten werden, wenn sie innerhalb der knapp gesetzten Frist bis zum 26.11.2019 keine Antwort erhalten. Dies deutet darauf hin, dass die Prozessbevollmächtigten der Klagepartei - entgegen ihres Vorbringens - bereits zum damaligen Zeitpunkt beauftragt waren, Klage gegen die Beklagte zu erheben.

 2) Ein gerichtlicher Hinweis zur Ergänzung des Vorbringens zu den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten war nicht veranlasst, da es sich bei den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten um eine Nebenforderung handelt (§ 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Mangels Anspruch auf Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten kann die Klagepartei auch keine Rechtshängigkeitszinsen hieraus beanspruchen.

OLG Karlsruhe Endurteil v. 31.3.2021 – 13 U 546/20, BeckRS 2021, 6886 

 

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