"Anwalt, geh doch mal zum Arzt!" = nicht befangen

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 24.05.2021
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht2|6068 Aufrufe

Eine gute Stimmung ist in jeder Verhandlung hilfreich. Dazu gehören manchmal auch kleine lustige Bemerkungen. Natürlich kann Derartiges auch nach hinten losgehen. Vor allem dann, wenn in der Sache bitter gekämpft wird. Hier hatte der Anwalt zunächst erklärt, er habe angesichts des Vorgehens des Gerichts "Bauchschmerzen". Der Richter empfahl daraufhin einen Arzt. 

Der daraufhin gestellte Befangenheitsantrag blieb ohne Erfolg:

 

Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 8. Februar 2021 wird zurückgewiesen.

 Die Kosten des Verfahrens haben die Beklagten zu tragen.

 Der Wert der Beschwerde wird auf 75.938,02 € festgesetzt.

 Gründe: 

 I.

 Der Kläger begehrt Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalls am … September 2014, bei dem es während eines Überholvorgangs des Beklagten zu 2) auf der Nächst … straße in Z…, die der Kläger mit einem Motorrad in östlicher Richtung befuhr, zu einer Kollision beider Fahrzeuge kam. Die Einzelheiten des Unfallhergangs stehen zwischen den Parteien im Streit.

 Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 9. September 2019 erklärte der Beklagte zu 2) im Rahmen seiner persönlichen Anhörung, dass der Kläger vor dem Unfall rechts in einer Parkbucht gestanden und von dort aus auf die Straße eingefahren sei. Der Kläger, der in seiner Klageschrift darauf hingewiesen hatte, dass das vorprozessuale Vorbringen der Beklagten, er sei aus einer Haltebucht in den fließenden Verkehr eingefahren, unzutreffend sei, bestätigte dies in der mündlichen Verhandlung zwar grundsätzlich, gab jedoch an, dass diese Parkbucht, in der er zum Richten seines Nierengurts kurz angehalten hatte, bestimmt 100 m vom späteren Unfallort entfernt gewesen sei. Im Nachgang der mündlichen Verhandlung machten beide Parteien ergänzende Ausführungen zu den örtlichen Gegebenheiten und überreichten verschiedene Fotografien.

 Mit Beschluss vom 9. September 2019 ordnete das Gericht die Einholung eines Unfallrekonstruktionsgutachtens an. Im Rahmen des daraufhin seitens des Sachverständigen am 31. März 2020 anberaumten Ortstermins äußerte der Kläger, dass das von den Beklagten zu den Akten gereichte Foto nicht den Ort darstelle, von dem aus er seine Fahrt begonnen habe. Ergänzend führte der Kläger sodann mit Schriftsatz vom 14. Mai 2020 aus, dass er schon im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren erklärt habe, dass er sich vor dem Unfallereignis in einer Grundstückseinfahrt und nicht einer Park- oder Haltebucht befunden habe.

 Zu dem anschließenden Termin zur mündlichen Verhandlung am 16. November 2020 wurden neben dem Sachverständigen auch der Kläger und der Beklagte zu 2) erneut zur persönlichen Anhörung geladen. Hier erklärte der Kläger, er habe sich vor dem Losfahren an einer Einfahrt befunden, während der Beklagte zu 2) erneut angab, dass der Kläger aus einer Parkbucht gekommen sei. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten wandte sich gegen eine erneute Anhörung der unfallbeteiligten Parteien und führte aus, dass die Örtlichkeit, von der aus der Kläger auf die Straße eingefahren sei, nach Auffassung der Beklagten unstreitig sei. Der Vorsitzende Richter am Landgericht … setzte die Parteianhörung jedoch fort und schließlich lehnten die Beklagten ihn wegen Besorgnis der Befangenheit ab.

 Der abgelehnte Richter hat sich hierzu am 16. November 2020 dienstlich geäußert.

 Das Landgericht hat das Ablehnungsgesuch durch Beschluss vom 8. Februar 2021 als unbegründet zurückgewiesen. Gegen diesen ihnen am 11. Februar 2021 zugestellten Beschluss haben die Beklagten mit Schriftsatz vom 18. Februar 2021, der am 19. Februar 2021 bei Gericht eingegangen ist, sofortige Beschwerde eingelegt. Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde durch Beschluss vom 22. Februar 2021 nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

 II.

 Die sofortige Beschwerde ist nach §§ 46 Abs. 2, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zulässig, nachdem sie insbesondere innerhalb der in § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO bestimmten Frist eingelegt worden ist.

 In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg.

 Das Landgericht Potsdam hat das Ablehnungsgesuch der Beklagten vom 16. November 2020 zu Recht als unbegründet zurückgewiesen und der dagegen gerichteten Beschwerde die Abhilfe verweigert. Mit Blick auf die Behandlung des Rechtsstreits in der mündlichen Verhandlung vom selben Tag ist eine Besorgnis der Befangenheit des abgelehnten Richters nicht angezeigt.

 Wegen der Besorgnis der Befangenheit kann ein Richter nach § 42 Abs. 1 und 2 ZPO abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dafür ist das Vorliegen eines Sachverhalts erforderlich, aber auch ausreichend, der vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung und Würdigung aller Umstände berechtigten Anlass zu Zweifeln an der Unvoreingenommenheit des Richters gibt (BVerfG, NJW 2003, 3404, 3405; BGH, NJW 2012, 1890 Rn. 10; Zöller/Vollkommer, ZPO, 33. Auflage, § 42 Rn. 9). Dazu zählen Verstöße gegen das prozessuale Gleichbehandlungsgebot, eine negative Einstellung gegenüber einer Partei unter Bevorzugung der anderen Partei, unsachliche Äußerungen oder die willkürliche Benachteiligung oder Behinderung einer Partei in der Ausübung ihrer Rechte (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 33. Auflage, § 42 Rn. 20 ff. m.w.N.). Erforderlich ist stets, dass das Verhalten des Richters geeignet ist, den Eindruck einer unsachlichen, auf Voreingenommenheit beruhenden Einstellung gegenüber der Partei oder der streitbefangenen Sache zu erwecken (vgl. BGH, NJW-RR 1986, 738). Keine tauglichen Ablehnungsgründe sind vorläufige Meinungsäußerungen und Einschätzungen des Richters im Rahmen der materiellen Prozessleitung, bloße Verfahrensverstöße oder fehlerhafte Entscheidungen, soweit die Grenze zur Willkür nicht überschritten ist (Zöller/Vollkommer, ZPO, 33. Auflage, § 42 Rn. 26 ff. m.w.N.).

 Nach diesen Grundsätzen ist eine fehlende Unparteilichkeit des Vorsitzenden Richters am Landgericht … nicht zu besorgen.

 Ausweislich der dienstlichen Stellungnahme des abgelehnten Richters, die insoweit mit den Ausführungen der Beklagten zum Ablauf der mündlichen Verhandlung übereinstimmt, hat der Vorsitzende Richter am Landgericht … die Anhörung der Parteien trotz des Einwandes des Prozessbevollmächtigten der Beklagten und unter Zurückstellung eines Bestreitens des klägerischen Vortrags unter Vorhalt zweier Bilder aus dem Unfallrekonstruktionsgutachten fortgesetzt. Sodann verwies der Prozessbevollmächtigte der Beklagten auf eine andere Ablichtung aus dem Gutachten, woraufhin der zuständige Richter erläuterte, bisher davon ausgegangen zu sein, dass die dort abgebildete Parkbucht auch auf einem der zuvor vorgehaltenen Bilder zu sehen sei. Hierauf äußerte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten, er habe bei diesem gerichtlichen Vorgehen Bauchschmerzen, woraufhin der abgelehnte Richter ihm nahelegte, zum Arzt zu gehen.

 Unter Zugrundelegung dieses Geschehensablaufs sind Zweifel an der Unvoreingenommenheit des abgelehnten Richters nicht begründet.

 Die Bewertung des beiderseitigen Parteivorbringens und die daraufhin für erforderlich gehaltene erneute Anhörung einer Partei beinhaltet eine rechtliche Einschätzung des abgelehnten Richters, die keinen Schluss auf seine Voreingenommenheit zulässt. Wie das Landgericht bereits ausgeführt hat, begründet eine solche in der konkreten Verhandlungsführung zum Ausdruck kommende rechtliche Einschätzung keinen Ablehnungsgrund, und zwar auch dann nicht, wenn sie für eine Partei nachteilige Auswirkungen haben kann (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 33. Auflage, § 42 Rn. 26, 28). Es ist Aufgabe des Gerichts, etwaige Widersprüche in den Angaben einer Partei aufzuklären und anschließend rechtlich zu würdigen. Dass das Gericht die Auffassung der Beklagten, die Örtlichkeit und damit der Zeitpunkt des Einfahrens des Klägers auf die Straße seien unstreitig, nicht teilt, begründet keinen Ablehnungsgrund.

 Dies gilt auch für die nach mehrfachen Unterbrechungen der Parteivernehmung durch den Prozessbevollmächtigten der Beklagten und dem Zurückstellen des Bestreitens des klägerischen Vorbringens geäußerte Bemerkung des abgelehnten Richters, der Prozessbevollmächtigte der Beklagte möge, wenn er Bauchschmerzen habe, einen Arzt aufsuchen. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung begründen ein salopper Tonfall (OLGR Brandenburg 2008, 755, 756) oder flapsige Wendungen (OLGR Köln 2008, 535) in der Regel keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Formulierung inhaltlich auf Willkür oder einer unsachlichen Haltung gegenüber einer Partei beruht. Solange sich die Ausdrucksweise des Richters innerhalb seines Verhaltensspielraums bewegt, der sehr weit ist, begründet sie nicht die Besorgnis seiner Befangenheit. Erst wenn er die dabei gebotene Zurückhaltung überschreitet und sich verletzender Ausdrücke oder sonstiger ungewöhnlich scharfer verletzender Formulierungen bedient, kann auf diese Wortwahl ein Ablehnungsgesuch gestützt werden. Erforderlich ist insoweit eine abfällige, höhnische, kränkende oder beleidigende Wortwahl oder eine unangebracht bissige Ironie gegenüber der Partei oder dem Anwalt (Senat, Beschluss vom 14. April 2016, Az.: 1 W 5/16; OLGR Brandenburg 1995, 225); diese Grenze wurde durch die gewählte Formulierung, die lediglich die seitens des Prozessbevollmächtigten der Beklagten verwendete Metapher aufgegriffen hat, nicht überschritten.

 Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG in Verbindung mit § 3 ZPO. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats, mit der er der Auffassung des Bundesgerichtshofs folgt (vgl. BGH, NJW 1968, 796), entspricht der Gegenstandswert für Ablehnungsgesuche dem Wert des zugrunde liegenden Rechtsstreits (vgl. nur Senat, NJW-RR 1999, 1291, 1292).

OLG Brandenburg Beschl. v. 31.3.2021 – 1 W 8/21, BeckRS 2021, 6904 

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2 Kommentare

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Ach ja, Humor. In Politik und Judikatur leider so selten! Vielleicht hätte der Beklagtenvertreter nach dem süffisanten Austausch ( Bauchschmerzen - Arzt) wohl realfaktisch präzisieren sollen, warum ( zB messtechnisch) keine Identität der bildlich  dargestellten Parkbuchten anzunehmen  sei. 

Ich bitte die Moderation, das Thema Würdingers zu beenden, das nichts mehr mit Juristerei, sondern nur noch mit sturköpfiger Rechthaberei und endlosen Wiederholungen zu tun hat.

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